Technologien von morgen helfen uns heute nichts
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/K6NIC6IYTRBOBGK5FAENPG4WAY.jpg)
Das Braunkohlekraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen: „Wir müssen schon heute unseren CO₂-Verbrauch überdenken.“
© Quelle: imago images/imagebroker
Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, so sagen es uns die verschiedenen Sachstandsberichte des Weltklimarats, müssen wir unsere Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto Null senken – und danach negative Emissionen verzeichnen. Negative Emissionen bedeutet, salopp formuliert: mehr raus als rein. Wir müssen mehr CO₂ aus der Atmosphäre entziehen, als wir ihr hinzufügen. Dazu benötigen wir Kohlenstoffsenken, also Mittel und Wege, um CO₂ langfristig aus der Atmosphäre zu entfernen. Nur wie?
Anfang 2021 hat Elon Musk auf Twitter für die Lösung auf diese Frage sogar ein Preisgeld von 100 Millionen Dollar ausgesetzt. Die etwas zynische Antwort eines Users: ein Baum. Tatsächlich stellen unsere Wälder eine absolut bemerkenswerte natürliche Kohlenstoffsenke dar. Bäume gibt es zahlreiche auf der Erde, und notfalls könnte man ja sicher noch mehr neue pflanzen. Braucht es also überhaupt komplizierte technologische Lösungen?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/3NOYFYVVVBAQ7AB3DPE6VMH6PQ.jpg)
Klima-Check
Erhalten Sie den Newsletter mit den wichtigsten News und Hintergründen rund um den Klimawandel – jeden Freitag neu.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Nicht alle Prozesse können emissionsfrei werden
Ja, die braucht es. Technische Kohlenstoffsenken sind ein wichtiger Bestandteil der Klimastrategie. Diese teilt der Weltklimarat grob in drei Bereiche auf: erstens das Vermeiden von Treibhausgasemissionen. Zweitens der Austausch von treibhausgasintensive durch weniger emissionslastige Prozesse. Und drittens: die Nutzung von Senken, zum Beispiel durch Kohlenstoffmanagement. Die Priorität liegt ganz klar auf Vermeiden und Ersetzen. Aber nicht alle industriellen Prozesse, wie etwa die Herstellung von Zement, können so zu 100 Prozent emissionsfrei werden. Genau hier setzt Kohlenstoffmanagement an: als Ergänzung.
Bei diesen industriellen Prozessen kann entstehendes CO₂ abgetrennt und in unterirdischen Lagern eingespeichert werden. Hierzu gehören das Abscheiden, Transportieren und Speichern von CO₂, also Carbon Dioxide Capture and Storage (CCS). Auch Carbon Dioxide Removal CDR, also das Entfernen von CO₂ aus der Atmosphäre, welches ebenfalls in geologischen Lagern gespeichert werden kann, zählt zum Kohlenstoffmanagement dazu.
Diese Technologien geben mir Hoffnung
Tatsächlich finde ich all diese Projekte aus theoretischer Sicht sehr spannend: Dass wir unsere Atmosphäre so beeinflussen können, finde ich faszinierend. Dass uns diese Technologien als letzter Baustein in 20 Jahren dabei helfen können, dem 1,5-Grad-Ziel doch näherzukommen, als ich es aktuell für möglich halte, gibt mir Hoffnung. Realistisch betrachtet ist aber eines klar: Keines der Projekte ist aktuell skalierbar auf Größenordnungen.
Und natürlich sind auch diese Technologien nicht ohne Risiko: Ein CO₂ Lager kann lecken, und beim Transport von CO₂ fällt es mir schwer, nicht an das Eisenbahnunglück in Ohio zu denken. Vor allem aber bleibt es weiter zwingend notwendig, dass wir schon heute unseren CO₂-Verbrauch überdenken und schon jetzt reduzieren – und das geht mit Technologie und Innovation von morgen nicht.
Deshalb: So sehr ich mich darauf freue, in 20 Jahren zu denken: „Wie haben wir es nur früher ohne diese Technologie ausgehalten?“, so wenig können wir uns heute darauf verlassen. Das müssen wir aber zum Glück auch gar nicht: Denn zum Beispiel weniger zu konsumieren, das geht in vielen Bereichen auch ganz wunderbar ohne neue Technologien.
Insa Thiele-Eich ist Meteorologin und forscht an der Universität Bonn an den Zusammenhängen zwischen Klimawandel und Gesundheit. Seit 2017 trainiert sie im Rahmen der Initiative „Die Astronautin“ als Wissenschaftsastronautin für eine zweiwöchige Mission auf der Internationalen Raumstation – und wäre damit die erste deutsche Frau im All. Sie ist Mitglied im Stadtrat von Königswinter für die Königswinterer Wählerinitiative. Hier schreibt sie alle zwei Wochen über Raumfahrt, den Klimawandel und die faszinierende Welt der Wissenschaft.