Eins-zu-eins-Betreuung und Hebammen­kreißsäle: Was sich bei der Geburts­hilfe künftig ändern soll

Eine Hebamme tastet den Bauch einer Frau ab, die im neunten Monat schwanger ist.

Eine Hebamme tastet den Bauch einer Frau ab, die im neunten Monat schwanger ist.

In der Geburts­hilfe kommt es in Deutschland schon seit Längerem immer wieder zu Engpässen: Viele Frauen haben Probleme, für die Zeit vor und nach der Geburt eine Hebamme zu finden und werden während der Geburt von Hebammen betreut, die gleichzeitig mehrere andere Gebärende begleiten müssen. Das soll sich nun ändern: So sieht es der Koalitions­vertrag der neuen Bundes­regierung vor.

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Schon vor Jahren hatten Bund und Länder gemeinsam mit Akteuren und Akteurinnen aus dem Gesundheits­wesen eine Art Leitfaden für die Verbesserung der Geburts­hilfe in Deutschland erarbeitet und als „Nationales Gesundheits­ziel: Gesundheit rund um die Geburt“ veröffentlicht. Darin steht unter anderem, dass die individuelle Begleitung und die Mitbestimmung von Frauen bei der Geburt gefördert werden soll. Und dass unnötige Eingriffe in den Geburts­prozess vermieden werden sollen, da diese in Deutschland zu häufig stattfänden. Fertiggestellt wurde der Leit­faden im Jahr 2017, noch unter Gesundheits­minister Hermann Gröhe (CDU).

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„Es war damals gemeinsam erarbeitet worden, was eine gesundheits­fördernde Geburts­hilfe ausmacht und wie gute Geburts­hilfe aus Sicht der Frauen aussieht“, sagt Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammen­verbandes. „Doch danach ging es nicht so richtig weiter.“ Im Koalitions­vertrag der neuen Bundes­regierung steht nun nicht nur, dass der Leitfaden mit einem konkreten Aktions­plan umgesetzt werden soll. Darüber hinaus wird fest­gelegt, dass es künftig einen Personal­schlüssel für eine Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen bei der Geburt geben soll.

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Frauen müssen sich Hebamme mit anderen Gebärenden teilen

„Die Verankerung der Eins-zu-eins-Betreuung im Koalitions­vertrag ist ein totales Novum“, sagt Geppert-Orthofer vom Deutschen Hebammen­verband. „2017 war das noch nicht konsens­fähig gewesen und wurde als unrealistisch abgetan. Dabei zeigen uns andere Länder längst, wie es geht.“ In Großbritannien oder den skandinavischen Staaten sei der Betreuungs­schlüssel bei der Geburt deutlich besser als in Deutschland, wo eine Hebamme meist für mehrere Geburten gleichzeitig zuständig ist. „Selbst in Frankreich betreut eine Hebammen nur 40 Geburten pro Jahr, bei uns sind es 120.“

Dies bedeute, dass sich Frauen während des Geburts­vorgangs eine Hebammen oft mit zwei bis drei weiteren Gebärenden teilen müssen, also nicht die ganze Zeit auf Unterstützung zählen können. Ein klarer Missstand, findet Geppert-Orthofer: „Eine Geburt ist eine große Heraus­forderung und auch ein psychologischer Prozess. Man sollte damit nicht allein sein.“

Ausgeweitet werden soll künftig außerdem das Konzept der sogenannten Hebammen­kreißsäle, von denen es in Deutschland bereits einige gibt. Sie befinden sich zwar in einem Kranken­haus, werden aber genau wie Geburts­häuser von Hebammen geleitet. Nur wenn medizinische Interventionen nötig werden, werden die Gebärenden in einen anderen Kreiß­saal gebracht. Von vorn­herein werden in den Hebammen­kreißsälen nur Frauen betreut, bei denen keine Risiko­faktoren für eine kompliziertere Geburt fest­gestellt wurden, wie zum Beispiel eine Mehrlings­schwangerschaft oder eine Steiß­lage des Babys. Die Idee hinter den Hebammen­kreißsälen ist es, Frauen eine selbstbestimmtere und natürliche Geburt zu ermöglichen. Medizinische Eingriffe, die unnötig oder dem Zeit­druck auf Geburts­stationen geschuldet sind, sollen vermieden werden.

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Geburten auch in Hebammen­kreißsälen sicher

Das Konzept scheint aufzugehen. Eine Studie wurde im Universitäts­klinikum der Universität Bonn durchgeführt, das als erstes Uni­klinikum in Deutschland 2010 einen Hebammen­kreißsaal eingeführt hatte. Der Auswertung zufolge waren Geburten, die dort stattfanden sicher. Es kam nicht häufiger zu Komplikationen als in einer Kontroll­gruppe. Im Vergleich zu dieser wurden aber seltener operative Eingriffe vorgenommen sowie weniger Damm­schnitte und Peridural­anästhesien (PDA).

Bei einem guten Betreuungs­schlüssel sei es in den Hebammen­kreißsälen besser möglich, die Bedürfnisse der Gebärenden wahr­zunehmen sagt Geppert-Orthofer. Im ständigen Kontakt mit den Frauen lasse sich schneller erkennen, wann eine Intervention nötig sei – und wann nicht. In Deutschland sei die Geburts­hilfe bislang noch „sehr vom Risiko­gedanken getrieben“. Sie habe bei einem Besuch in England dort mit Hebammen über deren Arbeit gesprochen, erzählt Geppert-Orthofer: „Ich habe sie gefragt, wann für sie der wichtigste Grund ist, sich für Interventionen zu entscheiden: Die Antwort war immer die Gleiche: Wenn die Frau das will.“ Die allermeisten Gebärenden hätten ein gutes Gespür, was für sie und das Kind in dem Moment das Richtige sei: „Wir brauchen auch in Deutschland ein System, bei dem man besser auf die Wünsche der Frauen eingehen kann.“

Umsetzung der Ziele ist möglich

Noch eine weitere Neuerung ist vorgesehen. So gilt als Hindernis für höhere Personal­schlüssel bei der Geburts­hilfe bisher die schlechte Planbarkeit von Geburten. Die Zahl der Hebammen richtet sich an der durchschnittlichen Zahl der Geburten aus. Kommt es zufällig zu vielen Geburten auf einmal, sind die Stationen unterbesetzt. In Ballungs­zentren sei es schon vorgekommen, dass gebärende Frauen von mehreren Kranken­häuser sich wegen Überlastung von der Versorgung abgemeldet hätten, sagt Geppert-Orthofer. Hieran sollen künftig Vorhalte­pauschalen etwas ändern. Das heißt: Geburts­stationen sollen finanziell so ausgestattet werden, dass genug Personal bereit­steht, auch bei einem plötzlichen höheren Aufkommen. Eine sinnvolle Regelung findet die Hebamme: „Das ist ähnlich wie bei der Feuer­wehr. Für den Fall, dass es brennt, muss vorgesorgt sein.“

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Auch der Verein Motherhood, der sich für eine bessere geburts­hilfliche Versorgung einsetzt, begrüßte grundsätzlich die Pläne der neuen Bundes­regierung. Im Koalitions­vertrag seien „einige vielversprechende Maßnahmen“ vorgesehen. Manches geht dem Verein aber noch nicht weit genug. Wie etwa das Vorhaben, die Eins-zu-eins-Betreuung nur in wesentlichen Phasen der Geburt zu gewährleisten. „Die Beschränkung auf ‚wesentliche Phasen der Geburt‘ kritisieren wir an dem ansonsten wichtigen Vorhaben. Gebärende brauchen in allen Phasen der Geburt das Angebot einer guten Begleitung“, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins. Aber sind die Pläne der neuen Bundes­regierung insgesamt überhaupt umsetzbar? Ja, glaubt Ulrike Geppert-Orthofer. „Die Ziele sind ehrgeizig und ihre Umsetzung bedeutet sicherlich eine Heraus­forderung, sie ist aber auf jeden Fall möglich.“

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