Eins-zu-eins-Betreuung und Hebammenkreißsäle: Was sich bei der Geburtshilfe künftig ändern soll
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Eine Hebamme tastet den Bauch einer Frau ab, die im neunten Monat schwanger ist.
© Quelle: Caroline Seidel/dpa
In der Geburtshilfe kommt es in Deutschland schon seit Längerem immer wieder zu Engpässen: Viele Frauen haben Probleme, für die Zeit vor und nach der Geburt eine Hebamme zu finden und werden während der Geburt von Hebammen betreut, die gleichzeitig mehrere andere Gebärende begleiten müssen. Das soll sich nun ändern: So sieht es der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vor.
Schon vor Jahren hatten Bund und Länder gemeinsam mit Akteuren und Akteurinnen aus dem Gesundheitswesen eine Art Leitfaden für die Verbesserung der Geburtshilfe in Deutschland erarbeitet und als „Nationales Gesundheitsziel: Gesundheit rund um die Geburt“ veröffentlicht. Darin steht unter anderem, dass die individuelle Begleitung und die Mitbestimmung von Frauen bei der Geburt gefördert werden soll. Und dass unnötige Eingriffe in den Geburtsprozess vermieden werden sollen, da diese in Deutschland zu häufig stattfänden. Fertiggestellt wurde der Leitfaden im Jahr 2017, noch unter Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).
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„Es war damals gemeinsam erarbeitet worden, was eine gesundheitsfördernde Geburtshilfe ausmacht und wie gute Geburtshilfe aus Sicht der Frauen aussieht“, sagt Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes. „Doch danach ging es nicht so richtig weiter.“ Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht nun nicht nur, dass der Leitfaden mit einem konkreten Aktionsplan umgesetzt werden soll. Darüber hinaus wird festgelegt, dass es künftig einen Personalschlüssel für eine Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen bei der Geburt geben soll.
Frauen müssen sich Hebamme mit anderen Gebärenden teilen
„Die Verankerung der Eins-zu-eins-Betreuung im Koalitionsvertrag ist ein totales Novum“, sagt Geppert-Orthofer vom Deutschen Hebammenverband. „2017 war das noch nicht konsensfähig gewesen und wurde als unrealistisch abgetan. Dabei zeigen uns andere Länder längst, wie es geht.“ In Großbritannien oder den skandinavischen Staaten sei der Betreuungsschlüssel bei der Geburt deutlich besser als in Deutschland, wo eine Hebamme meist für mehrere Geburten gleichzeitig zuständig ist. „Selbst in Frankreich betreut eine Hebammen nur 40 Geburten pro Jahr, bei uns sind es 120.“
Dies bedeute, dass sich Frauen während des Geburtsvorgangs eine Hebammen oft mit zwei bis drei weiteren Gebärenden teilen müssen, also nicht die ganze Zeit auf Unterstützung zählen können. Ein klarer Missstand, findet Geppert-Orthofer: „Eine Geburt ist eine große Herausforderung und auch ein psychologischer Prozess. Man sollte damit nicht allein sein.“
Ausgeweitet werden soll künftig außerdem das Konzept der sogenannten Hebammenkreißsäle, von denen es in Deutschland bereits einige gibt. Sie befinden sich zwar in einem Krankenhaus, werden aber genau wie Geburtshäuser von Hebammen geleitet. Nur wenn medizinische Interventionen nötig werden, werden die Gebärenden in einen anderen Kreißsaal gebracht. Von vornherein werden in den Hebammenkreißsälen nur Frauen betreut, bei denen keine Risikofaktoren für eine kompliziertere Geburt festgestellt wurden, wie zum Beispiel eine Mehrlingsschwangerschaft oder eine Steißlage des Babys. Die Idee hinter den Hebammenkreißsälen ist es, Frauen eine selbstbestimmtere und natürliche Geburt zu ermöglichen. Medizinische Eingriffe, die unnötig oder dem Zeitdruck auf Geburtsstationen geschuldet sind, sollen vermieden werden.
Geburten auch in Hebammenkreißsälen sicher
Das Konzept scheint aufzugehen. Eine Studie wurde im Universitätsklinikum der Universität Bonn durchgeführt, das als erstes Uniklinikum in Deutschland 2010 einen Hebammenkreißsaal eingeführt hatte. Der Auswertung zufolge waren Geburten, die dort stattfanden sicher. Es kam nicht häufiger zu Komplikationen als in einer Kontrollgruppe. Im Vergleich zu dieser wurden aber seltener operative Eingriffe vorgenommen sowie weniger Dammschnitte und Periduralanästhesien (PDA).
Bei einem guten Betreuungsschlüssel sei es in den Hebammenkreißsälen besser möglich, die Bedürfnisse der Gebärenden wahrzunehmen sagt Geppert-Orthofer. Im ständigen Kontakt mit den Frauen lasse sich schneller erkennen, wann eine Intervention nötig sei – und wann nicht. In Deutschland sei die Geburtshilfe bislang noch „sehr vom Risikogedanken getrieben“. Sie habe bei einem Besuch in England dort mit Hebammen über deren Arbeit gesprochen, erzählt Geppert-Orthofer: „Ich habe sie gefragt, wann für sie der wichtigste Grund ist, sich für Interventionen zu entscheiden: Die Antwort war immer die Gleiche: Wenn die Frau das will.“ Die allermeisten Gebärenden hätten ein gutes Gespür, was für sie und das Kind in dem Moment das Richtige sei: „Wir brauchen auch in Deutschland ein System, bei dem man besser auf die Wünsche der Frauen eingehen kann.“
Umsetzung der Ziele ist möglich
Noch eine weitere Neuerung ist vorgesehen. So gilt als Hindernis für höhere Personalschlüssel bei der Geburtshilfe bisher die schlechte Planbarkeit von Geburten. Die Zahl der Hebammen richtet sich an der durchschnittlichen Zahl der Geburten aus. Kommt es zufällig zu vielen Geburten auf einmal, sind die Stationen unterbesetzt. In Ballungszentren sei es schon vorgekommen, dass gebärende Frauen von mehreren Krankenhäuser sich wegen Überlastung von der Versorgung abgemeldet hätten, sagt Geppert-Orthofer. Hieran sollen künftig Vorhaltepauschalen etwas ändern. Das heißt: Geburtsstationen sollen finanziell so ausgestattet werden, dass genug Personal bereitsteht, auch bei einem plötzlichen höheren Aufkommen. Eine sinnvolle Regelung findet die Hebamme: „Das ist ähnlich wie bei der Feuerwehr. Für den Fall, dass es brennt, muss vorgesorgt sein.“
Auch der Verein Motherhood, der sich für eine bessere geburtshilfliche Versorgung einsetzt, begrüßte grundsätzlich die Pläne der neuen Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag seien „einige vielversprechende Maßnahmen“ vorgesehen. Manches geht dem Verein aber noch nicht weit genug. Wie etwa das Vorhaben, die Eins-zu-eins-Betreuung nur in wesentlichen Phasen der Geburt zu gewährleisten. „Die Beschränkung auf ‚wesentliche Phasen der Geburt‘ kritisieren wir an dem ansonsten wichtigen Vorhaben. Gebärende brauchen in allen Phasen der Geburt das Angebot einer guten Begleitung“, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins. Aber sind die Pläne der neuen Bundesregierung insgesamt überhaupt umsetzbar? Ja, glaubt Ulrike Geppert-Orthofer. „Die Ziele sind ehrgeizig und ihre Umsetzung bedeutet sicherlich eine Herausforderung, sie ist aber auf jeden Fall möglich.“