Psychotherapeutin: “Der größte Stress ist das Homeschooling”
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Die Corona-Pandemie ist nicht die Zeit für Bestleistungen: Eltern müssen aktuell nicht mit größtem Ehrgeiz ans Thema Lernen gehen.
© Quelle: Mascha Brichta/dpa-tmn
Frau Bange, Sie sind Psychotherapeutin und arbeiten in eigener Praxis mit Kindern und Jugendlichen in Bergisch Gladbach. Wie funktioniert Therapie in Zeiten von Corona?
Das Wesen der Therapie ist die persönliche Bindung zum Therapeuten in einer vertrauten Umgebung. Die meisten Therapeuten in meinem Umfeld haben sich deshalb so wie ich zusammen mit ihren Patienten gegen die Videosprechstunde entschieden. Auch wenn man Mimik und Gestik bei Videomeetings im Unterschied zum Telefonieren sieht, fehlt der vertraute Raum, die kurze Zeit im Wartezimmer zum Besinnen, das Gefühl, für eine Stunde aus dem gewohnten problematischen Alltag herauszukommen. Viele Jugendliche haben zurzeit auch keine Rückzugsmöglichkeit zu Hause, wo sie wirklich ungestört sind und niemand mithört. Einfach weil sich ihre gesamte Familie ganztags zu Hause aufhält.
Können Sie als Therapeutin frei wählen zwischen Videotherapie und Therapiegespräch in der Praxis?
Ja, sofern alle äußeren Voraussetzungen gegeben sind. Mein Wartezimmer befindet sich im Hausflur vor dem Praxiseingang und wird nicht von mehr als einem Patienten zeitgleich genutzt. Ich habe einen Balkon und eine Terrasse zum Lüften und kann problemlos zwei Meter Abstand zum Patientenstuhl halten.
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“Gefühl von Überforderung”
Dann gehören Sie zu den wenigen Glücklichen, deren Alltag durch Corona kaum verändert wurde?
Nein, auch bei mir ist vieles anders als zuvor. Zwei meiner drei Söhne gehen auf ein Gymnasium und müssen unter meiner Anleitung Homeschooling machen. Das erfordert Zeit, sodass ich weniger arbeite und enorme finanzielle Einbußen habe. Trotzdem geht es uns sehr gut. Wir haben einen Garten und sind nicht existenziell bedroht. Dieses Gefühl vermittle ich auch meinen Kindern: wahrnehmen, was da ist, sich nicht nur auf die Mängel konzentrieren. Die alleinerziehende Mutter in der beengten Großstadtwohnung, die trotz geschlossener Kita voll arbeiten muss, um ihren Unterhalt zu sichern, hat größere Probleme als wir.
Es gibt viele gut situierte Familien mit Garten und sicheren Jobs, die nicht existenziell bedroht sind, und trotzdem knirscht es gewaltig im Gebälk. Was ist das größte Problem dieser Familien?
Neben der Frage, wie Mutter und Vater die Kinderbetreuung untereinander aufteilen und wie sie neben dem Homeoffice ihre Kinder begleiten und beschäftigen, sorgt das Homeschooling für den größten Stress. Die Schulschließungen überrollten die Familien innerhalb von 48 Stunden und gaben Familien wie Schulen keine echte Chance zur Vorbereitung. Dadurch entstand bei vielen ein Gefühl der Überforderung.
“Kinder unter drei Jahren kommen ganz gut klar”
Welche Herausforderung ist die größte beim Homeschooling?
Schulkinder müssen erst mal lernen, wie sie isoliert und selbstständig zu Hause rechnen, englische Texte übersetzen oder deutsche Grammatik pauken. Auch die Informationszufuhr der Schulen über verschiedene Medienkanäle wie E-Mail, Zoom oder Google Drive muss sortiert und eingeübt werden. Manch ein Kind braucht zum Lernen auch einfach die persönliche Ansprache oder Gruppenarbeit und keine gestressten Eltern, die ihnen neben beruflichen Telefonaten noch schnell Bruchrechnen beibringen und das Planetensystem erklären. Und bei manchen fehlt es an technischen Geräten und guten familiären Strukturen.
Wie schätzen Sie das Problem der fehlenden Sozialkontakte für Kinder ein?
Das ist abhängig davon, ob ein Einzelkind wochenlang alleine zu Hause sein muss oder Geschwisterkinder hat, und wie sehr es an Kita-Kinder gewöhnt ist. Grundsätzlich denke ich, dass Kinder unter drei Jahren ganz gut klarkommen, wenn sie ein paar Wochen lang ohne Kita auskommen müssen, vorausgesetzt, jemand kümmert sich zu Hause liebevoll um sie. Den Größeren fehlt das gewohnte Freizeitprogramm und der Bereich, der nur ihnen gehört. Generell erlebe ich Kinder aber als sehr flexibel. Sie können sich auf neue Situationen oft besser einstellen als ihre Eltern.
“Eltern wollen, dass alles so ist wie früher”
Woran liegt das?
Eltern bringen ihren Kindern bei, ihre Impulse zu kontrollieren, also nicht alles sofort kaufen, essen, anderen wegnehmen zu wollen, was gerade verlockend aussieht. Wir nennen das Impulskontrolle. Wir Erwachsenen sind es aber nicht mehr gewöhnt, dass grundlegende Bedürfnisse, also das, worauf wir eigentlich ein Anrecht haben, nicht erfüllt werden. Damit haben viele zu kämpfen. Wir wollen unsere Freunde sofort wieder umarmen, wir wollen in Ruhe ohne Kinderlärm arbeiten, wir wollen, dass alles so ist wie früher.
Dass das nicht geht, tut weh. Übertragen wir Eltern unsere Sorgen und unseren Frust dann auf die Kinder – und nicht andersherum?
Das kann passieren, denn Kinder sind in ihrer Wahrnehmung auch von uns abhängig. Wenn sie zu Hause vor allem Niedergeschlagenheit, Wut und Angst erleben, schlägt sich das auf ihre Gefühle nieder. Deshalb ist es wichtig, dass sich Eltern kleine Inseln der Erholung schaffen: 15 Minuten alleine auf dem Balkon, eine Badewanne am Abend, ein Spaziergang.
“Auch die Lehrer machen das alles zum ersten Mal”
Für Viertklässler in Bayern, die gerade für den Übertritt aufs Gymnasium lernen, für Hamburger Sechstklässler, die mit ihren Noten um den Verbleib auf dem Gymnasium kämpfen und für Abiturienten war der Leistungsdruck trotz Corona in den letzten Wochen hoch. Kopfschmerzen, Ängste, Schlaflosigkeit sind die Folge. Was können Eltern tun?
Die Erwartungen an die schulischen Leistungen ihrer Kinder herunterfahren und mit den Lehrern ins Gespräch gehen, wenn es zu viel Stoff ist. Viele Lehrer versuchten anfangs, durch das Aufgeben vieler Aufgaben den Schülern einen strukturierten, schulähnlichen Kontext zu Hause zu ermöglichen. Wir Eltern müssen berücksichtigen, dass auch die Lehrer das alles zum ersten Mal machen. Sie stehen vor der Herausforderung, ihre Pläne, Ideen und Vorgaben vielleicht korrigieren und den Bedürfnissen der Familien entsprechend anpassen zu müssen.
Und wie erkläre ich einer Fünfjährigen, dass sie Oma und Opa nicht mehr besuchen darf, ohne Ängste zu schüren?
Es gibt ein tolles Erklärvideo der Stadt Wien zu Corona.
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Darüber hinaus könnte man es so erklären: Corona ist ein unsichtbares Ding, das von einem Menschen zum anderen springt. Weil ich es nicht sehen kann, weiß ich nicht, bei wem es gerade sitzt. Bei älteren Menschen wie Oma und Opa kann es richtig viel kaputt machen. Deshalb warten wir, bis ein Impfstoff erfunden wurde, das Corona sichtbar macht. Denn Oma und Opa sollen unbedingt gesund bleiben.