Multiresistente Keime: Die Killer aus dem Krankenhaus

Er trägt den Krankenhauskeim in sich: Michael Krieger in der Klinik mit einem seiner kleinen Söhne.

Er trägt den Krankenhauskeim in sich: Michael Krieger in der Klinik mit einem seiner kleinen Söhne.

Hannover. Es war wohl nur ein winziger Moment, der Michael Kriegers Leben für immer veränderte. Ein kurzes Niesen, ein falscher Handgriff, eine Nachlässigkeit beim Umgang mit dem OP-Besteck – keiner kann mit Sicherheit sagen, was dazu führte, dass Michael Krieger womöglich nie wieder normal laufen kann.

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Der 49-Jährige aus Berlin trägt einen MRSA-Keim in sich. Das ist die Abkürzung für Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus, ein Bakterium, das resistent gegen Antibiotika ist. MRSA hat es als Krankenhauskeim zu traurigem Ruhm gebracht. Meist wird er in Kliniken übertragen und löst schwer zu behandelnde Infektionen aus.

Vor gut eineinhalb Jahren hat sich Krieger den Keim in einer Berliner Klinik eingefangen, bei einer Operation am Schienbein. Ein Routineeingriff: Eine Fehlstellung sollte korrigiert werden, um fortschreitende Arthrose aufzuhalten. Eine stabilisierende Platte wurde eingesetzt. Die war offenbar nicht steril – ein Keim geriet in seine Blutbahn.

Zellen des Eiter-Erregers Staphylococcus aureus: Bakterien dieser Spezies verursachen Wundinfektionen, in ernsteren Fällen auch Lungenentzündung, Meningitis, Endokarditis, Toxisches Schock-Syndrom und Sepsis.

Zellen des Eiter-Erregers Staphylococcus aureus: Bakterien dieser Spezies verursachen Wundinfektionen, in ernsteren Fällen auch Lungenentzündung, Meningitis, Endokarditis, Toxisches Schock-Syndrom und Sepsis.

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Für Krieger markiert jener Tag im November 2017 den Beginn einer schmerzhaften Odyssee: mit ständigen Terminen beim Orthopäden, dann der Notarzt, dann wochenlang Krankenhaus und wieder von vorn. Die Antibiotika schlagen nicht an, das Bein heilt nicht, Krieger muss starke Medikamente schlucken – er zählt 21 Tabletten am Tag und hat Angst, süchtig zu werden. Der Bautechniker kann ein Dreivierteljahr nicht arbeiten, läuft nur an Krücken, wenn überhaupt. Er kann nicht mehr im Garten helfen, nicht mit seinen Söhnen raufen. Seine Frau, die selbstständig ist, verliert Einkommen – weil sie immerzu für ihn da sein muss. „Das Schlimmste ist, dass ich nicht genug für meine Kinder da sein kann. Sie brauchen doch Bewegung – mit Papa.“ So sagt es Krieger, der einmal viel Fußball gespielt hat, mit gedämpfter Stimme.

700.000 Europäer infizieren sich im Jahr

Geschichten wie die von Michael Krieger gibt es immer häufiger. Multiresistente Keime haben sich in den letzten Jahren rasant ausgebreitet. Die aktuellste Studie kommt von der europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC. Demnach infizierten sich im Jahr 2015 fast 700.000 Menschen in Europa mit multiresistenten Keimen. Das sind doppelt so viele wie acht Jahre zuvor. Mehr als 33.000 Patienten starben an den Folgen der Infektion. "Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien sind eine Bedrohung für die moderne Gesundheitsversorgung", resümieren die Autoren der Studie im Fachjournal "Lancet".

Vor allem Kliniken sind die perfekte Spielwiese für die Mikroben. Besucher schleppen sie ein, oder die Patienten selbst tragen sie auf der Haut oder im Mund- und Rachenraum. Weil die Keime immer mehr Resistenzen bilden, ist die Behandlung einer Infektion schwierig, teilweise gar nicht mehr möglich.

Antibiotika: In der Tiermast werden sie tonnenweise verabreicht

Die Menschen in den Industrienationen haben das zum großen Teil selbst verschuldet, durch sorglosen und übermäßigen Einsatz von Antibiotika. In der Tiermast werden sie tonnenweise verabreicht. Und die Keime werden immer aggressiver: Auf dem Vormarsch sind insbesondere gramnegative Bakterien, die die Enzyme Extended Spectrum Beta Lactamasen (ESBL) bilden. Sie zerstören sogar die Antibiotika, die beim Kampf gegen MRSA noch wirksam sind.

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Elektronenmikroskopische Aufnahme von Clostridium difficile.

Elektronenmikroskopische Aufnahme von Clostridium difficile.

Gleichzeitig, das ist das Dilemma, verabschieden sich immer mehr Pharmaunternehmen aus der Entwicklung von Antibiotika. Die Präparate gelten als unwirtschaftlich – weil sie nicht dauerhaft eingenommen werden und neue Entwicklungen sehr teuer und aufgrund der Resistenzen schnell überholt sind. Erst 2018 hatte Novartis, einer der größten Pharmahersteller der Welt, seine Forschung an neuen Medikamenten gegen antibiotikaresistente Bakterien gestoppt. Der Konzern betont stattdessen die Bedeutung neuer Medikamente gegen Krebs und Herzerkrankungen. Beides gilt als deutlich lukrativer.

Todesopfer könnten sich auf 10 Millionen weltweit erhöhen

"Wenn es keine neuen Wirkstoffe mehr gibt, wenn sich am Einsatz von Antibiotika und in der Hygiene nichts ändert, wird sich die Zahl der Toten durch multiresistente Keime wohl auch in Deutschland drastisch erhöhen." Das sagt Dirk Heinz, wissenschaftlicher Leiter des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig, einer der renommiertesten Einrichtungen für die Erforschung von resistenten Keimen und Antibiotika-Wirkstoffen. Er verweist auf Schätzungen einer Studie der britischen Regierung: Ohne weitere Gegenmaßnahmen könnte sich die Zahl der weltweiten Todesopfer von derzeit etwa 700.000 jährlich bis zum Jahr 2050 auf zehn Millionen erhöhen. Dann würden mehr Menschen an multiresistenten Keimen sterben als an Krebs.

Was also tun?

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HZI-Chef Heinz setzt auf die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie. Erst Ende Februar hat das Braunschweiger Zentrum eine neue Kooperation im Kampf gegen resistente Keime ausgerufen: Mit dem börsennotierten Biotechunternehmen Evotec will man ein neues Antibiotikum entwickeln, das vor allem gegen die gefährlichsten gramnegativen Bakterien wirkt.

Das Ziel: Plattform für vielversprechende Substanzen

Die neue Hoffnung heißt Cystobactamid, die Substanz wurde bereits 2011 von HZI-Forschern entdeckt und ist seitdem optimiert worden, sagt Heinz. Die Entwicklung zum Medikament, schätzt er, dauere noch einmal fünf bis zehn Jahre. Die Idee ist ambitioniert: „Dann hätten wir nach 40 Jahren ein strukturell neues Antibiotikum gegen gramnegative Keime.“

Und das soll nur der Anfang sein. Das Ziel ist eine Plattform, auf der öffentliche Forschungseinrichtungen wie das HZI gemeinsam mit Evotec vielversprechende Substanzen zugänglich machen. „Wenn wir auf diese Weise attraktive Leitstrukturen entwickeln, steigt der Anreiz für größere Pharmaunternehmen, wieder in die Antibiotikaforschung zu investieren“, hofft Heinz.

„Antivirulenz-Strategie“: Erreger nicht töten, sondern entwaffnen

Doch die Zeit drängt. Die Frage steht im Raum: Was können wir ohne Antibiotika tun? Damit beschäftigen sich Forscher auf der ganzen Welt, sie tüfteln an Alternativen zu den herkömmlichen Bakterienkillern – und rufen regelmäßig kleine Sensationen aus. Ihre Ideen sind mal vielversprechend, mal unrealistisch, manchmal etwas eklig. Die Wunderwaffe war noch nicht dabei.

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Eine ernstzunehmende Alternative heißt „Antivirulenz-Strategie“, auch das ist ein Schwerpunkt in Braunschweig. Der Grundgedanke: Wenn man Bakterien mit Antibiotika abtötet, übt man einen erheblichen Selektionsdruck auf sie aus – die Keime bilden dann häufig Resistenzen aus, die sich rasant unter ihnen verbreiten. Beschränkt man sich dagegen darauf, die Erreger zu entwaffnen, indem man gezielt krankmachende Proteine, bakterielle Gifte oder Signalstoffe blockiert, die sie für eine Infizierung benötigen, umgeht man den Effekt.

„Wir suchen die Achillesferse von Krankenhauskeimen“

Eva Medina, Leiterin der Arbeitsgruppe Infektionsimmunologie am HZI, hat dies bei Mäusen schon erfolgreich getestet. „Wir suchen die Achillesferse von wichtigen Krankenhauskeimen. Greifen wir dort an, legen wir die Bakterien lahm, ohne ihr Leben zu bedrohen, und hoffen, so die Spirale der Resistenzbildung anzuhalten“, sagt die Professorin. Allerdings wirken die Antivirulenz-Medikamente immer nur sehr spezifisch bei einem Erreger – manchmal auch nur in bestimmtem Körpergewebe. Zudem dürfen sie nur wenig Nebenwirkungen aufweisen, räumt die Mikrobiologin ein: „Der Weg zu einem Medikament ist auch für eine solche Substanz lang und hürdenreich.“

Professorin Eva Medina vom HZI forscht im Bereich der „Antivirulenz-Strategie“.

Professorin Eva Medina vom HZI forscht im Bereich der „Antivirulenz-Strategie“.

In den Laboren des Zentrums am südlichen Rand von Braunschweig arbeitet auch Susanne Häußler. Sie ist Leiterin der Molekularen Bakteriologie, ihre Waffe im Kampf gegen die Krankenhauskeime ist Prävention: „Natürlich brauchen wir neue Wirkstoffe, aber wir brauchen auch dringend eine schnellere Diagnostik, um herauszufinden, ob ein Krankheitserreger resistent ist – und gegen welche Antibiotika.“

Derzeit sei das Verfahren, um Patienten zu testen, noch viel zu aufwendig. Die Keime werden auf Nährstoffplatten ausgestrichen, die jeweils verschiedene gängige Antibiotika enthalten, und im Brutschrank zum Wachsen gebracht. „Man sieht dann, ob die Keime trotz Anwesenheit von Antibiotika noch wachsen – das zeigt uns, welche Antibiotika gegen sie nichts ausrichten können“, sagt Häußler, „aber es dauert in der Regel 48 Stunden, bis man das Ergebnis hat.“

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Wertvolle Zeit, die man nutzen könnte, um gleich das richtige Antibiotikum gegen den jeweiligen Keim einzusetzen.

Schnellere Diagnosen: das Erbgut des Erregers bestimmen

Die Abhilfe, an der Häußler und ihr Team arbeiten: schnellere Diagnosen auf Basis molekularer Analytik. So wird das Erbgut des Erregers bestimmt und sein Stamm zweifelsfrei identifiziert. Damit ließe sich nicht nur ein Überblick über die Eigenschaften des jeweiligen Keims gewinnen, man könne darüber hinaus Verwandtschaften zwischen Bakterienstämmen ermitteln.

Häußler ist für ihre Forschung mit hoch dotierten Wissenschaftspreisen ausgezeichnet worden. Allerdings arbeitet noch keine Klinik mit ihrem Verfahren. Bisher habe sich auch noch keine Pharmafirma gefunden, die in die Systeme investieren will. Dafür, sagt Häußler, seien die alten Verfahren zu etabliert.

Molekularbiologin Susanne Häußler will Profile der Keime erstellen.

Molekularbiologin Susanne Häußler will Profile der Keime erstellen.

Die Molekularbiologin sitzt in ihrem Büro, an der Wand das Bild einer riesigen Giraffe, die ihr zuzuzwinkern scheint. Irgendwann, da ist Häußler sicher, wird es, auch mithilfe von künstlicher Intelligenz, sehr schnell gehen: „Ich denke, dass wir in fünf bis zehn Jahren zur Resistenzbestimmung keine Keime mehr auf Platten ausstreichen werden.“

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Patienten wie Michael Krieger fordern, dass der Kampf gegen die Keime forciert wird. Er hat das Berliner Krankenhaus inzwischen verklagt und hofft, dass dort künftig mehr auf Hygiene geachtet wird. Zwar ist der Familienvater auf dem Weg der Besserung, doch die Angst vor einem Rückfall ist da. Denn der Keim schlummert in ihm. Eine weitere Operation, schon eine Wunde könnte bewirken, dass er sein zerstörerisches Werk wieder aufnimmt. So lebt Krieger in ständiger Habachtstellung: „Das Risiko werde ich mein Leben lang in mir tragen.“

Von Sonja Fröhlich/RND

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