Konsum statt Besinnlichkeit: Warum wir an Weihnachten so viel und teuer schenken

Die Geschenkestapel unter dem Weihnachtsbaum werden immer größer.

Die Geschenkestapel unter dem Weihnachtsbaum werden immer größer.

Drei-Gänge-Menü, festliche Garderobe und unter dem geschmückten Baum stapeln sich Geschenke. In der Weihnachtszeit lassen wir uns es richtig gut gehen. Und das kostet. 500 Euro gibt jeder Bürger hierzulande durchschnittlich für Geschenke aus. So lautet das Ergebnis einer aktuellen Umfrage der FOM Hochschule für Ökonomie und Management. Der Handelsverband Deutschland (HDE) setzt die Zahl niedriger an: Er rechnet damit, dass jeder Deutsche im Schnitt 245 Euro in diesem Jahr für Weihnachtsgeschenke bezahlt.

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An Heiligabend beschenken wir uns. Doch nicht immer waren die Gaben so hochpreisig wie sie heute sind. Wer mit den Großeltern über die Weihnachtsfeste ihrer Kindheit redet, hört davon, dass es kargere Zeiten gab. Das weiß auch Ingo Balderjahn von der Uni Potsdam. Der Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Marketing reist gedanklich hundert Jahre in der Zeit zurück: „Damals arbeiteten die Menschen mehr und hatten trotzdem weniger Geld für Konsumzwecke zur Verfügung. Außerdem: Was Händler zu dieser Zeit anboten, entsprach nicht der Vielfalt, wie wir sie heute kennen.”

Verhältnis zu Dingen verändert sich

Dem stimmt sein Kollege Dirk Hohnsträter von der Forschungsstelle Konsumkultur der Uni Hildesheim zu. „Die Menschen beschenken sich schon sehr lange. Aber die Verfügbarkeit der Dinge ist historisch gesehen eine besondere Situation”, sagt der Kulturwissenschaftler. Unser Verhältnis zu den Dingen habe sich aber in den vergangenen Jahrzehnten stark geändert, weil die Menschen ihren Sachbesitz immer häufiger austauschten.

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Außerdem gehe es bei der Kaufentscheidung längst nicht mehr nur um den Nutzen eines Produkts. Wichtig sei auch, was für ein Lebensgefühl es repräsentiere. „Man kauft mit den Dingen gleichsam Identitätsversprechen und kann sich durch den Kauf immer wieder neu erfinden”, erklärt Hohnsträter. Mit einem Geschenk zeige man dem Beschenkten zudem, wie man ihn oder sie wahrnimmt.

Diesen Aspekt hat das Marketing immer mehr erkannt und sich dahingehend professionalisiert.

Schenken ist „sozial gewachsene Norm”

Der stationäre Einzelhandel nutze in der Weihnachtszeit seinen Vorteil gegenüber Online-Shops - Corona-Schwankungen außen vor gelassen - und biete laut BWL-Professor Balderjahn ein emotionales Einkaufserlebnis. Eine Strategie, die offenbar funktioniert. Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Umsatz im November und Dezember laut HDE von 78,7 Milliarden Euro auf 102,6 Milliarden Euro gesteigert.

„Zu Weihnachten jemanden zu beschenken, ist eine historisch gewachsene soziale Norm. Das ist das sogenannte Reziprozitätsprinzip: Ich werde beschenkt, also muss ich auch jemanden beschenken”, erklärt Wissenschaftler Balderjahn. Und wenn es ein Geschenk für eine nahestehende Person zu einem besonderen Anlass ist, steckten die meisten viel Eifer in das Aussuchen. „Wir denken, der Beschenkte erwartet von uns eine besondere Anstrengung, besonderes Engagement”, sagt der Forscher, zu dessen Schwerpunkten nachhaltiges Wirtschaften und ethischer Konsum zählen.

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Christliche Tradition von Weihnachten

Eigentlich ist Weihnachten aber ja keine Konsumparty, sondern ein christliches Fest. Die Geburt Jesu und der Besuch der Heiligen drei Könige dürfen bei keinem Krippenspiel fehlen. Gold, Weihrauch und Myrrhe bringen sie dem Neugeborenen als Geschenke mit. Doch sich am Heiligabend zu beschenken, ist eine eher junge Tradition. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts feierten viele Katholiken Weihnachten ohne Präsente. Das schreibt der Theologe und Brauchtumsforscher Prof. Manfred Becker-Huberti in einem Gastartikel für die Rheinische Post.

Bescherung gab es am Nikolaustag statt an Heiligabend. „Dabei ging es eben nicht um besonders kostbare und möglichst viele Geschenke, sondern um die Symbolik: Ich bin nicht vergessen, ich bin geliebt als Kind Gottes“, erklärt Experte Becker-Huberti.

Christkind ist Idee von Martin Luther

Dass sich heute Geschenke am 24. Dezember unter dem Weihnachtsbaum stapeln, ist einer Idee Martin Luthers geschuldet. Denn der Reformator wollte der Verehrung von Heiligen entgegenwirken. Einer aber war zu beliebt in der Bevölkerung: der barmherzige Nikolaus, der Plätzchen und Nüsse an die Kinder verteilte. Also erfand Luther kurzerhand den Brauch, sich an Weihnachten vom Christkind beschenken zu lassen, um den Nikolaus in Vergessenheit geraten zu lassen.

Geklappt hat das eher mäßig. Denn heute bekommen Menschen hierzulande in der Regel am 6. und am 24. Dezember Geschenke, einmal vom Nikolaus und einmal vom Christkind oder dem Weihnachtsmann.

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Tradition wichtiger als Geburt Jesu

Ursprünglich einmal sollten die Weihnachtsgeschenke laut Brauchtumsforscher Becker-Huberti das sogenannte Geschenk Gottes symbolisieren, der Menschwerdung seines Sohnes als Erlöser. Wie viele Menschen sich daran erinnern, wenn sie in buntes Papier verpackte Pakete aufreißen? Eher wenige. Nur jeder Vierte gedenkt an Heiligabend der Geburt Jesu, lautet das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des evangelischen Magazins chrismon. 69 Prozent feiern Weihnachten, „weil die Familie zusammenkommt”. Und zwei Fünftel freuen sich über die schöne Tradition mit Lichtern, Musik und Plätzchenduft. Und zur Weihnachtstradition gehört eben auch das Schenken.

„Sich Geschenke zu machen, ist ein gesellschaftliches Ritual der Zugehörigkeit. Schon lange vor unserer modernen Konsumkultur beschenkten sich die Menschen”, sagt Kulturwissenschaftler Hohnsträter. Er erklärt, dass es beim Konsum mehrere Ebenen gibt: darunter die Gebrauchsebene, die Zeichenebene und die Erlebnisebene.

In einer wohlhabenden Gesellschaft rücke der Nutzwert von Dingen in den Hintergrund. Öfter gehe es um das Einkaufserlebnis oder die Erlebnisse, die man durch das gekaufte Produkt, ob Fahrrad oder Konzerttickets, machen könne.

Erlebnis statt Nutzen von Dingen

Der Konsumkultur-Forscher erläutert die verschiedenen Ebenen anhand des Kaufs eines neuen Smartphones. Auf der Gebrauchsebene könne man damit telefonieren oder ins Internet gehen. Auf der Zeichenebene spiele der Status eine Rolle, für den das neue Telefon steht. „Aber das greift zu kurz. Viele Produkte symbolisieren noch andere Zugehörigkeiten”, erklärt Hohnsträter. Man kaufe sie, weil man besonders cool oder nachhaltig rüberkommen wolle oder den Beschenkten so sehen wolle.

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Nachhaltige Schenk-Alternativen

Nachhaltigkeit beim Schenken umzusetzen, ist gar nicht so leicht. Immerhin: In Deutschland gebe es ein starkes Bewusstsein für Klima- und Umweltschutz, meint BWL-Professor Balderjahn. „Menschen versuchen, ihren Konsum danach auszurichten. Aber an Weihnachten spüren viele die Erwartung, etwas Besonderes schenken zu müssen”, sagt er. Der Wissenschaftler geht aber davon aus, dass Menschen untereinander überschätzen, was für Geschenke andere von ihnen erwarten.

Wer auch unter dem Tannenbaum auf die Umwelt achten möchte, könne beispielsweise Erlebnisse verschenken. „Die verbrauchen oft weniger CO₂ als materielle Produkte und kommen häufig sogar besser an”, sagt Balderjahn. Eine gute Idee ist darüber hinaus Selbstgemachtes, zum Beispiel aus Kirschen vom Baum im Garten gekochte Marmelade oder Plätzchen. Denn die Binsenweisheit stimmt: Ein gutes Geschenk kommt von Herzen.

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