Gesunde Beziehung: Warum sich Paare auch mal streiten müssen
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Dem Ärger einmal ordentlich Luft machen kann der Beziehung sehr gut tun, meint Paartherapeutin Nele Sehrt.
© Quelle: skynesher/iStockphoto
Frau Sehrt, während es bei manchen Paaren meist harmonisch bleibt, kriselt es in vielen Beziehungen häufiger. Was sagt der Streit über die Beziehung aus?
Eine Studie hat mal untersucht, was glückliche und unglückliche Paare voneinander unterscheidet – und die Menge an Streit ist es nicht. Die glücklichen Paare können sich genauso herzzerreißend streiten, wie die eher unglücklichen. Ein Streit sagt zwar etwas über die Kommunikationsstruktur aus, aber nicht über die Qualität der Beziehung. Bei Paaren, die sich so gut wie nie streiten, kann die vermeintliche Harmonie womöglich auch bedeuten, dass Probleme totgeschwiegen werden. Streit ist nicht per se schlecht – es kann etwas Gutes und Klärendes haben.
Wie kann Streit der Beziehung also gut tun?
Wichtig ist es, seinen eigenen verzweifelten Gefühlen Luft zu machen und nicht den anderen anzuklagen oder ihm etwas vorzuwerfen.
Nele Sehrt, Paartherapeutin
Ich halte es für wahnsinnig wichtig, dass man erfährt, wer der Partner ist und was seine Ansichten sind. Gerade wenn man nicht gelernt hat, seine Bedürfnisse zu äußern, kann es sein, dass die ersten Versuche sehr emotional aus einem herausbrechen. In einer Partnerschaft begleitet man sich ja auch in der Entwicklung. Und wir alle sind nicht perfekt und dürfen auch mit gewissen Dingen Schwierigkeiten haben. Wenn beispielsweise schon länger ein unausgesprochenes Thema die Beziehung begleitet, dann kann es sehr wohltuend sein, dem Ärger Luft zu machen. Das darf dann auch mal emotional sein.
Wichtig ist es, seinen eigenen verzweifelten Gefühlen Luft zu machen und nicht den anderen anzuklagen oder ihm etwas vorzuwerfen. Denn sonst erreicht man meist nur, dass der andere abblockt. Streit trennt und führt dazu, dass man neu aufeinander zugehen muss – das muss nichts Schlechtes sein, solange man im Streit nicht übergriffig wird. Lauter werden kann für den einen befreiend sein und auf den anderen beängstigend wirken. Und genau da wird Partnerschaft spannend: Wer bin ich, wer bist du – und wie wollen wir miteinander umgehen, dass wir uns beide maximal wohl fühlen?
Nele Sehrt ist Diplom-Psychologin, Sexual- und Paartherapeutin in Hamburg.
© Quelle: Claudius Pflug
Dennoch leiden viele Beziehungen auch enorm unter ständigen Konflikten.
Genau. Ein Streit kommt nämlich zustande, wenn man sich nicht verstanden und gar "entwertet" fühlt. Und wenn man sich immer wieder streitet, befindet man sich irgendwann in einer permanenten Stresssituation, weil man immer wieder damit rechnet, dass der Partner mit einem neuen Streitthema um die Ecke kommt. Dadurch entwickelt man ein grundlegendes Stresslevel, was wiederum die Bereitschaft erhöht, sich zu streiten. Das kann ein richtiger Teufelskreis werden.
Schwierig ist es auch immer dann, wenn man Dinge nicht anspricht, wenn sie passieren, sondern so lange wartet, bis man sich streitet. Dann wird aufgelistet und die Wahrscheinlichkeit, eines der angesprochenen Probleme zu lösen, ist gering. Auch wird der Streit umso intensiver, je mehr Ärger und Wut im Spiel sind. Denn wer zuvor sehr viel heruntergeschluckt hat, wird oft auch sehr verletzend. Deshalb ist es sinnvoll, Dinge möglichst früh anzusprechen, die einen stören. Denn für den Partner, der vor Wut überkocht, ist es schon lange vor dem Streit eine Stresssituation gewesen. Und der Stress wird beim Streit dann an den anderen Partner abgegeben – so haben beide nichts davon. Passiert das ständig, sind das keine guten Bedingungen für eine langfristige, harmonische Beziehung.
Sollten Probleme also immer direkt angesprochen werden?
Ziel sollte es also sein, nicht jedes Problem direkt anzusprechen – aber auch nicht zu lange zu warten. Das muss man für sich ausprobieren.
Nele Sehrt, Paartherapeutin
Probleme nicht anzusprechen kann für eine gewisse Zeit klappen, aber irgendwann wird immer der Punkt erreicht, an dem es gesagt wird. Das Resultat ist dann oft ein besonders intensiver Streit. Das heißt nicht, dass man alles immer sofort ansprechen muss – denn gewisse Dinge erledigen sich auch von selbst. Manches Verhalten vom Partner, das einen stört, kann auch einfach ein einmaliger Zufall gewesen sein. Das muss man nicht immer sofort ansprechen. Beim zweiten Mal kann man auch nochmal abwarten und das Thema im Hinterkopf behalten. Wenn es aber häufiger passiert und es mich immer wieder stört, sollte ich es aber ansprechen – nur so kann man einen alternativen Umgang finden, mit dem sich beide gut fühlen. Ziel sollte es also sein, nicht jedes Problem direkt anzusprechen – aber auch nicht zu lange zu warten. Das muss man für sich ausprobieren.
Ständiger Streit ist in manchen Fällen sogar ein Trennungsgrund. Muss das immer so sein?
Eine Trennung ist bei zu häufigem und intensivem Streit zwar immer eine Option, das Problem ist nur, dass man sich selbst und sein Streitverhalten dann auch mit in die nächste Beziehung nimmt. Wenn mein Kommunikationsmuster schlecht ist, sollte ich zunächst daran arbeiten – und das geht am besten, indem ich in der Beziehung lerne, besser zu kommunizieren. Denn sonst ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ich diese Probleme mit in die neue Beziehung nehme. Grundsätzlich sagt ein Streit viel mehr über mich aus, als über meinen Partner. Man sollte sich daher fragen: Warum lasse ich mich aus der Ruhe bringen? Warum schaffe ich es nicht, Dinge vernünftig anzusprechen? Das sind alles eigene Probleme, an denen man erstmal arbeiten kann.
Wie schafft es ein "Streithahn", an seinem Kommunikationsmuster zu arbeiten?
Ein großer Faktor für ständigen Streit ist Stress. Wer ohnehin schon von äußeren Umständen gestresst ist, braucht meist auch nicht mehr viel, um zu explodieren. Ich würde daher jedem empfehlen, seinen Stress grundsätzlich im Leben zu reduzieren, um nicht immer wieder Gefahr zu laufen, mit dem Partner wegen Kleinigkeiten zu streiten. Denn wer seinen Alltag so gestaltet, dass alles immer funktionieren muss, stört sich auch an jeder Kleinigkeit, die diese Struktur durchbricht. Ein "Streithahn" hat häufig permanent das Gefühl, dass andere das, was ihm wichtig ist, nicht verstehen. Wir können aber nicht erwarten, dass andere immer wissen, was uns wichtig ist. Das muss immer wieder kommuniziert werden – in einer ruhigen Situation, wenn beide aufmerksam sind. Wenn ich selbst verstanden werden möchte, muss ich auch versuchen, die andere Sicht zu verstehen – da kommt man leider nicht drum herum.
Und wie können Paare es gemeinsam schaffen, sich weniger zu streiten?
Paare sollten sich außerdem bemühen, einen Ausgleich zwischen Wertschätzung und konstruktiver Kritik zu finden.
Nele Sehrt, Paartherapeutin
Bei ständig streitenden Paaren empfehle ich, einen streitfreien Raum zu schaffen. Dafür eignet sich zum Beispiel die Wohnung, zumal hier oft besonders intensiv und emotional gestritten wird. Beim Streit überwiegt dann nicht mehr die Logik, sondern eher die Emotionen. Ein ratsamer Weg ist es, den anderen nach einem für ihn richtigen Zeitpunkt zu fragen, weil man da ein Thema hat, über das man in den nächsten Tagen gerne reden möchte. Und dies dann beispielsweise mit einem gemeinsamen Spaziergang zu verbinden.
Paare sollten sich außerdem bemühen, einen Ausgleich zwischen Wertschätzung und konstruktiver Kritik zu finden. Denn es ist eine fatale Grundlage für eine Beziehung, wenn man nie etwas erwähnt, was gut läuft. Wenn ich hingegen immer nur das anspreche, was nicht gut läuft, schaffe ich eine giftige Grundstimmung in der Beziehung. Und wenn man sich nur noch streitet, hat man immer wieder das Gefühl, nicht richtig zu sein. Und in so einem Umfeld hält sich niemand gerne auf. Wir müssen uns Zeit nehmen, dem Partner mehr Wertschätzung zu geben und wir müssen uns Zeit nehmen ihm zu sagen, was er toll macht. Und das wird zu selten getan.