Genaue Definition bisher ungeklärt

Anthropozän: Wann genau begann das Menschenzeitalter?

Die Menschen haben die Natur bereits stark verändert.

Die Menschen haben die Natur bereits stark verändert.

Auf der Suche nach einem exakt definierten Startpunkt des Anthropozäns – des Erdzeitalters des Menschen – haben Geologen zwölf Sedimentabfolgen in die engere Wahl genommen. Einen dieser Bohrkerne wollen sie als eine Art Referenz festlegen, um daran den Beginn des Menschenzeitalters festzumachen. Noch Ende diesen Jahres soll dazu eine vorläufige Entscheidung fallen, schreiben Colin Waters und Simon Turner im Fachmagazin „Science“. Die beiden Forscher stehen an der Spitze jener Expertengruppe (Anthropocene Working Group; AWG), die die Referenzprobe festlegen soll.

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Menschen haben die Natur bereits stark verändert

Geologinnen und Geologen teilen die Erdgeschichte in verschiedene Zeitalter ein. Demnach lebt die Menschheit derzeit im Holozän, das vor knapp 12.000 Jahren nach dem Ende der letzten Eiszeit begann. Die AWG-Experten sind aber der Meinung, dass das Holozän seit Mitte des 20. Jahrhunderts beendet ist. Grundlage dafür ist, dass Veränderungen in der Natur, in der Atmosphäre, im Boden und in den Sedimenten zu einem großen Teil auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen sind – und dauerhafte geologische Spuren hinterlassen.

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Geprägt wurde der Begriff „Anthropozän“ im Jahr 2000 von dem US‑Biologen Eugene Stoermer und dem niederländischen Meteorologen und Nobelpreisträger Paul Crutzen, dem früheren Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz. Seitdem wird das Wort zwar ständig verwendet, um den immensen – meist negativen – Einfluss der Menschheit auf die Erde herauszustellen. Als offizielle Epoche ist das Anthropozän aber noch nicht bestätigt. Die Festlegung eines Referenz-Sedimentsprofils ist ein Schritt dorthin.

Dass die Menschheit spätestens seit Beginn der Industrialisierung massiv Einfluss auf unseren Planeten genommen hat, ist offensichtlich. Die Atmosphäre erwärmt sich, der Meeresspiegel steigt, ganze Ökosysteme sind verschwunden. Durch Industrie und Landwirtschaft verschieben sich Kreisläufe etwa von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor. Stoffe wie Plastik, Aluminium und Betonpartikel finden in globalem Ausmaß ihren Weg in die Umwelt. Tier- und Pflanzenarten breiten sich zum Teil weit über ihre ursprünglichen Gebiete aus, andere sterben aus.

Verschiedene Bohrkerne sollen bei der Definition Aufschluss geben

Auch in den Sedimenten ist dieser Wandel sichtbar und messbar, denn bestimmte Stoffe aus dem Wasser oder der Luft lagern sich mit der Zeit dort ab. Fachleute können dadurch mitverfolgen, wie sich die Erde an der Oberfläche verändert. Als sogenannte Marker fungieren dabei unter anderem radioaktive Niederschläge aus Atomwaffentests, Flugasche aus industrieller Produktion oder das Verhältnis bestimmter Stickstoffisotope. Letzteres weist auf Änderungen im Stickstoffhaushalt hin, also etwa auf Überdüngung durch den Beginn der industriellen Landwirtschaft, wie Reinhold Leinfelder, Emeritus an der FU Berlin, erklärt. Er gehört ebenfalls der AWG‑Gruppe an.

Die zwölf Bohrkerne, die nun in der engeren Auswahl sind, sind bewusst aus sehr unterschiedlichen Ökosystemen entnommen, damit die neue Grenze auch überall identifizierbar wird. So gibt es unter anderem einen von den Sedimenten der Ostsee, aus einem Korallenriff vor Australien, vom Grund eines kanadischen Sees, einen Eisbohrkern aus der Antarktis und eine Probe aus einem Torfgebiet in Polen. „Zusammen­genommen bieten die zwölf Stellen eine vielfältige Perspektive auf die geologische Realität des Anthro­pozäns“, schreiben Waters und Turner.

Alle Proben haben gemeinsam, dass sie aus Sedimentschichten oder Eiskernen bestehen, die sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte nach und nach aufgebaut haben. Die Marker sind so gewählt, dass sich ihre Konzentration zu einem bestimmten Zeitpunkt rund um die Jahrhundertmitte stark erhöht hat – und diese Änderung an einer bestimmten Stelle der Bohrkerne auch messbar ist. Eine oder mehrere solcher erstmals erscheinender oder auch stark zunehmender Partikel oder Stoffkonzentrationen sollen als primäre Marker den formalen Start des Anthropozäns definieren.

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Das Menschenzeitalter bisher noch nicht auf der geologischen Zeitskala

Gesucht wird nun der Bohrkern, der ideale Voraussetzungen als Referenzprobe mitbringt. „Im Idealfall bietet der Probenort präzise datierbare Schichten mit einer Auflösung, die es zulässt, den Beginn des Anthropozäns auf ein bestimmtes Jahr festzulegen“, schreiben Waters und Turner. Demnach würde ein solche Referenz­probe dazu beitragen, die Effekte der menschlichen Aktivitäten auf den Planeten genauer beschreiben zu können – im Kontrast zum relativ stabilen Holozän.

„Die Definition eines geologischen Zeitabschnitts mit solchen Referenzprofilen ist Standard, damit Geologinnen und Geologen auf der ganzen Welt dasselbe unter dem jeweiligen Zeitabschnitt verstehen und Referenzprofile auch immer wieder von anderen in Augenschein genommen werden können“, erklärt Leinfelder.

Bis das Menschenzeitalter tatsächlich in die geologische Zeitskala übernommen wird, dürfte es aber noch dauern. So muss der Referenzvorschlag noch von mehreren Gremien verabschiedet werden. Zunächst von der Subcommission on Quaternary Stratigraphy (SQS), danach von der Internationalen Kommission für Strati­graphie (ICS) und schließlich vom Exekutivkomitee der International Union of Geological Sciences (IUGS).

RND/dpa

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