„Schockstarre“: Wie sich die Krise in der Baubranche plötzlich verschärft
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Großbaustelle in Düsseldorf: Die Krise der Baubranche verschärft sich plötzlich.
© Quelle: picture alliance / Jochen Tack
Frankfurt am Main. Die Bauwirtschaft spricht von „Schockstarre“, die Immobilienbranche von „dröhnenden Alarmsignalen“. Die Krise am Bau wurde am Freitag mit jeder Menge frischer Zahlen belegt. Die IG Bau fordert neue staatliche Förderprogramme.
Erschreckend ist der Rückgang des Auftragseingangs im Januar beim Wohnungsbau. Das Minus beträgt im Vergleich zum Vorjahr fast 33 Prozent. Das ist das Resultat rückläufiger Baugenehmigungen. Auch bei den Umsätzen des Bauhauptgewerbes geht es laut Statistischem Bundesamt (Destatis) mit minus 9,5 Prozent (preisbereinigt) deutlich bergab.
Auftragsbestände reichen nicht mehr lange
Das wird sich nach Einschätzung des Hauptverbandes der Bauindustrie weiter fortsetzen. „Die Investoren treten zu Jahresbeginn auf die Bremse“, so Geschäftsführer Tim-Oliver Müller. Die hohen Preis- und Zinssteigerungen hätten die Verunsicherung weiter verstärkt. Er hofft, dass sich die Schockstarre bald löst, denn die Auftragsbestände würden nicht mehr lange reichen, um die Unternehmen noch auszulasten. Vereinzelt würden Firmen bereits überlegen, ihre Beschäftigten in Kurzarbeit zu schicken.
Die Lage ist bizarr. Denn gleichzeitig ist nach Müllers Worten der Bedarf nach Wohnungen und beim Ausbau von Infrastruktur für die Energiewirtschaft und den Verkehr so hoch wie nie. Nach den Berechnungen der Wiesbadener Statistiker lag das Auftragsminus für die gesamte Branche (preis- und kalenderbereinigt und inklusive Straßenbau) zu Jahresbeginn bei 21 Prozent. Einen heftigeren Rückschlag habe es zuletzt im Januar 2009 gegeben.
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Das Ende des Baubooms: Wo sollen nur 400.000 neue Wohnungen herkommen?
Der Bau rutscht in die Krise: Inflation, fehlende Baustoffe und Zinswende machen der Branche zu schaffen. Immer mehr Fachleute warnen vor einem Absturz. Schon in ihrem ersten Amtsjahr steckt die neue Bauministerin Klara Geywitz in ihrer größten Bewährungsprobe.
Ähnlich weit zurückreichend sind die Entwicklungen bei den Immobilienpreisen – ein weiterer Indikator für die Baukrise. Laut Destatis haben sich Wohnimmobilien im vierten Quartal von 2022 um durchschnittlich 3,6 Prozent verbilligt. Das sei der erste Rückgang gegenüber einem Vorjahresquartal seit Ende 2010. Noch stärker hatten sich die Kaufpreise für Wohnungen sowie Ein- und Zweifamilienhäuser zuletzt Anfang 2007 verringert.
Projektentwickler bewerten die Geschäftslage schlechter denn je
Besonders deutliche Rückgänge (minus 5,9 Prozent) gab es für Eigenheime in kreisfreien Großstädten. Dort, wo das Preisniveau insbesondere für Eigentumswohnungen niedrig ist – in dünn besiedelten Gebieten –, blieb es hingegen weitgehend stabil. Auch in den für den Immobilienmarkt enorm wichtigen Top-sieben-Metropolen (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf) ging es unterdurchschnittlich mit minus 2,9 Prozent für Ein- und Zweifamilienhäuser und mit minus 1,6 Prozent für Wohnungen zurück. Ursache für den Schrumpfkurs sei „eine gesunkene Nachfrage infolge gestiegener Finanzierungskosten und der anhaltend hohen Inflation“, so Destatis.
Der Dachverband der Immobilienwirtschaft (ZIA) warnt: Projektentwickler bewerteten die Geschäftslage schlechter denn je, und deren Situation gebe erfahrungsgemäß oft eine realistische Vorstellung von der künftigen Entwicklung. „Die Signale verheißen nichts Gutes: Es wird genau das passieren, was wir verhindern wollten – beim Wohnungsbau geht es noch weiter bergab, wenn die politischen Entscheiderinnen und Entscheider nicht bald reingrätschen“, so ZIA-Präsident Andreas Mattner.
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Die Stimmung im Wohnungsbau bleibe negativ. „Insbesondere die zunehmenden energetischen Auflagen plus stetig steigende Baukosten sowie schwindende Zahlungsfähigkeit der Mieterinnen und Mieter belasten die Ertragserwartungen. Hinzu kommen Probleme in Zeiten hoher Inflation, die auf die Gewinnmargen drücken und neue Projekte unwirtschaftlich werden lassen“, heißt es zum aktuellen Immobilienstimmungsindex, den der ZIA gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft erhoben hat.
„Der Staat sitzt am Hebel“
Eine aktuelle Sonderbefragung zu geplanten Neubau- und Modernisierungsprojekten hat ergeben, dass fast die Hälfte der Immobilienunternehmen im laufenden Jahr weniger investieren will. Besserung könne es vor allem durch das Beschleunigen von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie das Aufstocken bestehender Bundesförderprogramme geben. „Gerade diese Signale belegen: Der Staat sitzt am Hebel, wenn es darum geht, endlich wieder Schwung in den Immobilienmarkt zu bringen“, sagt ZIA-Präsident Mattner.
Ähnlich sieht es die Baugewerkschaft: „Notwendig ist eine Wohnungsbau-Sonderinvestition durch den Bundeshaushalt. Allein für den sozialen Wohnungsbau braucht es in einem ersten Schritt dringend eine Förderung in Höhe von rund 50 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025“, sagte Robert Feiger, Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Das Geld sei mehr als gut investiert, denn der Effekt sei dreifach: Es stütze die Bauwirtschaft, es sichere und schaffe Arbeitsplätze und es sorge für den dringend benötigten Wohnraum. „Ähnlich verhält es sich bei den notwendigen energetischen Sanierungen der Altimmobilien, auch hier müssen die Fördertöpfe noch größer werden“, so Feiger.