Hauptangeklagter gibt sich völlig unschuldig

Aussage von Ex-Wirecard-Chef Braun: kein Geld veruntreut und von nichts gewusst

Der Hauptangeklagte und ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun sagt erstmals persönlich im Betrugsprozess aus.

Der Hauptangeklagte und ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun sagt erstmals persönlich im Betrugsprozess aus.

München. Markus Braun ist besorgt. „Ist die Akustik gut?“, fragt der ehemalige Wirecard-Chef und Hauptangeklagte des Betrugsprozesses zu Beginn seiner Aussage. Der 53-jährige Wiener will, dass man ihn gut versteht. Denn was er zu sagen hat, zeichnet ein ganz anderes Bild des Kriminalfalls, als das bisher vor Gericht enthüllte. Ermittler und der mitangeklagte, aber geständige Kronzeuge Oliver Bellenhaus haben in den zwölf vorangegangenen Prozesstagen eine Betrügerbande unter Brauns Führung für Untreue in dreistelliger Millionenhöhe, Betrug und kriminelle Marktmanipulation verantwortlich gemacht. Bei Braun klingt es anders. „Ich hatte keinerlei Kenntnis von Fälschungen und Veruntreuungen“, sagt der Angeklagte und sieht sich als Opfer.

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Erstmals spricht Braun selbst am Landgericht München, wo der spektakuläre Fall wohl bis ins Jahr 2024 hinein verhandelt wird. Nur Dinge, an die er sich verlässlich erinnern könne, würde er jetzt erzählen, verspricht der langsam und bedacht redende Mann im schwarzem Rollkragenpullover. Sinn für Theatralisches kann man ihm nicht absprechen, als er auf das Ende des Zahlungsdienstleisters aus Aschheim bei München zu sprechen kommt.

Ehemaliger Wirecard-Chef Markus Braun verantwortet sich vor Gericht

Zweieinhalb Jahre nach der Pleite des Finanzdienstleisters hat in München der Prozess gegen Ex-Chef Braun und zwei weitere frühere Manager begonnen.

„Ich hatte nie einen Zweifel, dass das Geld da ist“

„Es war ein Tag des tiefen Bedauerns, ein Tag des Schmerzes,“ sagt Braun und bekundet, mit Aktionären wie mit den rund 6.000 Beschäftigten seines untergegangenen Konzerns fühlen zu können. Noch wenige Tage vor der Pleite im Juni 2020 habe er an ein voll existentes und nicht nur vorgegaukeltes Geschäft sowie Guthaben auf Wirecard-Konten im Umfang von 1,9 Milliarden Euro geglaubt. „Ich hatte nie einen Zweifel, dass das Geld da ist“ versichert er und spricht von einem Schockerlebnis, als dann das Gegenteil zur Gewissheit wurde.

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Das dürften auch viele der an diesem Tag im vollen Gerichtssaal anwesenden rund 150 Personen so sehen. Denn unter ihnen sind einige Ex-Aktionäre, die viel Geld mit der Pleitefirma verloren haben. Sie hören dem Mann, der alle Anklagepunkte von sich weist, stundenlang gespannt zu. Der kommt bald darauf zu sprechen, wer die wahren Täter seien.

Brauns anklagender Finger weist auf Jan Marsalek

Ausgegangen seien alle Untaten vom Verantwortungsbereich Jan Marsaleks, des flüchtigen Ex-Vertriebschefs von Wirecard. Auch Oliver Bellenhaus sieht Braun als dessen Komplizen. Viel über den Kronzeugen sagen könne er aber nicht, weil er kaum einmal mit ihm gesprochen habe, versichert Braun. Bellenhaus hatte früher im Prozess von zwei Gesprächen mit Braun berichtet und diesen schwer beschuldigt. „Das Gespräch hat es nie gegeben“, sagt Braun dazu zwei Mal. Wort steht gegen Wort und das nicht nur in diesen beiden Fällen.

Mit seinem Landsmann Marsalek wiederum habe ihn anfangs persönliche Freundschaft verbunden und eine starke Vertrauensbasis, erzählt der gebürtige Wiener Braun. In technischen Dingen sehr talentiert und ein Glücksfall für Wirecard sei der heute Flüchtige gewesen. Als Marsalek dann 2010 in den Vorstand aufgestiegen und er selbst geheiratet habe, sei die Beziehung zu einem rein beruflichen Verhältnis abgekühlt.

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Das Geschäft, das Wirecard über sogenannte Drittpartner in Asien zumindest auf dem Papier gemacht hat, sei von da an „ganz klar“ in Marsaleks Verantwortung gefallen. Es ist das Geschäft, von dem Ermittler glauben beweisen zu können, dass es nie existiert hat. Immer weiter nähert sich Brauns Wirecard-Geschichte dem Zeitraum der mutmaßlichen Betrügereien an. Da spricht er einen wichtigen Satz. „Ich habe mich aus dem Tagesgeschäft rausgezogen.“

Prozess und Pleitekonzern

Über hundert Verhandlungstage bis ins Jahr 2024 hinein sind für den Wirecard-Prozess angesetzt, was ihn schon von daher außergewöhnlich macht. Wegen Untreue, Bandenbetrug, Bilanzfälschung und Marktmanipulation angeklagt sind drei Personen. Neben dem früheren Wirecard-Chef Markus Braun und dem als Kronzeugen fungierenden IT-Spezialisten Oliver Bellenhaus ist das der Ex-Chefbuchhalter Stefan E. Nicht auf der Anklagebank sitzt der frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, obwohl auch er als Hauptverdächtiger gilt. Der 42-jährige ist flüchtig und wird in Moskau vermutet. Ein Zahlungsdienstleister wie Wirecard ist ein modernes Digitalunternehmen, das an der Schnittstelle des bargeldlosen Bezahlens sitzt. Es transferiert Geld auf elektronischem Weg, zum Beispiel vom Konto eines Verbrauchers auf das eines Händlers, bei dem der Kunde eingekauft hat. Dafür kassiert der Zahlungsdienstleister eine geringe Gebühr. Wegen der Masse solcher Zahlungsvorgänge, können sich solche Gebühren insgesamt stark aufsummieren. Voraussetzung ist natürlich, die Zahlungsvorgänge sind real und nicht frei erfundene Scheinumsätze.

Braun kommt in Erklärungsnot

Als es nach Aussage des Kronzeugen und der Anklageschrift begann, dass Umsätze und Gewinne frei erfunden wurden, will Braun also operativ keine Detailkenntnisse mehr gehabt haben. Weil aber zu dem Zeitpunkt in Zeitungsberichten große Zweifel an der Existenz großer Teile des Geschäfts aufkamen, wurde vom Aufsichtsrat eine Sonderprüfung in Auftrag gegeben, die Braun als ursprünglich seine Idee beschreibt.

„Wir haben nichts zu verbergen“, habe er damals dafür geworben und sich gegen Bedenken von Marsalek durchgesetzt. Erst im Verlauf der Sonderprüfung durch KPMG-Wirtschaftsprüfer will Braun erkannt haben, dass es in Marsaleks Vorstandsressort ernste Probleme gibt. Das sei der Zeitpunkt gewesen, als dieser ihm Anfang 2020 eröffnet hatte, schon Monate zuvor im Geheimen die Treuhänderbanken gewechselt zu haben, wo angeblich 1,9 Milliarden Euro zu Verfügung von Wirecard hätten liegen sollen.

„Ich habe ihn gefragt, ob er den Verstand verloren hat“, erzählt Braun. Richter Markus Födisch veranlasst das zu Nachfragen, die Braun erstmals in Erklärungsnot bringen. Warum er es dann trotz Bedenken hinsichtlich Marsalek diesem überlassen habe, KPMG Auskünfte zur Sonderprüfung zu liefern, will Födisch wissen. Eine überzeugende Antwort liefert der Hauptangeklagte nicht. „Vieles von dem, was sich damals dargestellt hat, macht heute keinen Sinn“, sagt Braun an einer Stelle und klingt dabei alles andere als überzeugend. In den nächsten Verhandlungstagen will der Richter bei Braun weiter nachbohren.

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