Chef tritt ab

Autozulieferer in der Krise: der lange Überlebenskampf von Leoni

Ohne Teile des Kfz-Zulieferers Leoni stehen in der europäischen Autoindustrie viele Bänder still.

Ohne Teile des Kfz-Zulieferers Leoni stehen in der europäischen Autoindustrie viele Bänder still.

München. Es ist eine bittersüße Bilanz. „Ich bin stolz, dass es Leoni noch gibt“, sagt Aldo Kamper. Zu dem Zeitpunkt hat der Chef des Nürnberger Kfz-Zulieferers schon fast eine Stunde lang einen Leidensweg skizziert, der es in sich hat. Von Anfang an, als der 52-jährige Niederländer, vom Lichttechnik­konzern Osram kommend, beim fränkischen Spezialisten für Bordnetze und Kabelbäume angeheuert hatte, war Krisen­management angesagt. Erst galt es hausgemachten Fehlern in Form überehrgeizigen Wachstums. Dann kam Schlag auf Schlag eine externe Krise nach der anderen. Pandemie, Chipmangel, Ukraine-Krieg. Leoni war immer mittendrin, wobei spezielle Nackenschläge dazukommen. Ein Sanierungsplan ist gerade geplatzt. Nun verlässt auch noch Kamper das Unternehmen.

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Ende März ist Schluss für ihn, was inner- wie außerhalb von Leoni für einige Überraschung gesorgt hat. „Es ist eine Gelegenheit, die nur einmal im Leben kommt“, erklärt Kamper seine Fahnenflucht. Er wechselt zu Ams-Osram, dem Konzern, der vor gut zwei Jahren per Übernahme des Traditions­konzerns Osram durch den kleineren österreichischen Sensorik­spezialisten Ams entstanden ist. „Das ist für mich ein Heimkommen“, beteuert Kamper. Vor seiner Zeit bei Leoni hatte er über zwei Jahrzehnte bei Osram gemanagt. Mit seiner Familie wohnt der Manager immer noch am Osram-Standort Regensburg.

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Insofern könnte man Verständnis haben für den Wechsel des jugendlich wirkenden Mannes, käme er nicht just zu einem Zeitpunkt, wo es so eng für Leoni wird, wie wohl noch nie im gut vierjährigen Kampf ums Überleben. Mitte Dezember wurden die Nürnberger von einer Hiobsbotschaft aus Thailand aus allen Sanierungs­träumen gerissen.

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Die thailändische Stark Corporation hatte sich im Mai 2022 verpflichtet, Leoni das Kabelgeschäft abzukaufen, was rund 400 Millionen Euro in die mehr als leeren Kassen gebracht hätte. Die Franken sitzen auf einem Schuldenberg von 1,5 Milliarden Euro. Mit Banken wurde ein Sanierungsplan erarbeitet, dessen zentrales Element der Verkauf mit anschließender Schulden­tilgung war. Kurz vor Weihnachten aber wollte Stark von der Übernahme nichts mehr wissen.

Der Deal ist unwiderruflich vom Tisch. „Einen Gesprächs­faden gibt es nur noch vor Gericht“, stellt Kamper mit Blick auf Stark klar. Leoni verklagt die Thailänder, weil sie vertragsbrüchig geworden sind, heißt das. Irgendwann einmal könnte das eine heute nicht kalkulierbare Geldsumme bringen. Kurzfristig aber hat sich ein Sanierungsplan, der bis 2025 erst einmal Sicherheit geben sollte, in Luft aufgelöst. Praktisch in letzter Minute wurden zum Jahres­wechsel auslaufende Leoni-Kreditlinien noch einmal, aber auch nur vorübergehend, verlängert.

Eigentlich zu wichtig, um unterzugehen

Wie prekär die Lage ist, zeigt die Personalie Hans-Joachim Ziems. Anfang 2023 hat Leoni verkündet, dass der erfahrene Sanierungs­profi nun zum zweiten Mal binnen drei Jahren in Nürnberg den Feuerwehr­mann geben muss und als Vorstand ins Haus geholt wird. Sein Job ist es, mit Gläubigern einen Weg zu finden, der Leoni vor der Pleite rettet. „Wir brauchen eine Lösung, die ohne Verkauf funktioniert“, stellt Kamper klar. Denn wann man wieder einen Käufer für das von Stark verschmähte Kabelgeschäft findet und was der zahlt, wisse derzeit niemand.

Ob eine Insolvenz denn jetzt überhaupt noch zu vermeiden ist, wird Kamper da gefragt. „Der Lösungsraum ist kleiner geworden“, antwortet er vorsichtig. Bis Mitte des Jahres müsse die Finanzierungs­frage beantwortet sein. „Bis Ende März müssen wir im Wesentlichen durch sein“, sagt er mit Blick auf die von Ziems geführten Verhandlungen mit Gläubigern. Schließlich sei Leoni eine Firma mit viel Substanz und mit seinen konzernweit fast 100.000 Beschäftigten sowie gut 5 Milliarden Euro Jahresumsatz für die europäische Autoindustrie zu wichtig, um unterzugehen.

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Das Unternehmen und seine Ursprünge

Das Traditions­unternehmen Leoni ist ein fränkischer Kfz-Zulieferer, dessen Ursprünge auf das Jahr 1569 zurück­gehen. Als leonische Waren bezeichnete man damals Produkte wie Siebe oder Drähte, die unter anderem auch für Christbaum­schmuck verwendet wurden. Gefertigt wurde so etwas seinerzeit vor allem im spanischen Leon und und französischen Lyon, was die Namens­gebung erklärt. Über die Zeit wurden aus den leonischen Waren die heutigen Kfz-Zuliefer­produkte Bordnetze und Kabelbäume. 1999 erfolgte die Umfirmierung zur Leoni Aktien­gesellschaft. Für den Konzern arbeiteten Ende September 2022 noch knapp 96.000 Beschäftigte weltweit. Etwa jeder zehnte Arbeitsplatz ist in Deutschland. 2021 wurden 5,1 Milliarden Euro umgesetzt. Für 2022, das noch nicht bilanziert ist, waren einmal 3,8 Milliarden Euro Umsatz angepeilt. Allerdings war daraus das Kabelgeschäft heraus­gerechnet, dessen Verkauf vor wenigen Wochen geplatzt ist. Leoni schreibt rote Zahlen und ist hoch verschuldet.

Letzteres hat einiges für sich. Als zwei ukrainische Leoni-Werke für Kabelbäume voriges Jahr kriegsbedingt nicht mehr liefern konnten, standen auch bei BMW, VW und anderen Auto­herstellern die Bänder still. Kabel­bäume sind im Autobau ein besonders kritisches Produkt. Denn es wird für den jeweiligen Ausstattungs­wunsch maßgeschneidert und erst kurz vor der Produktion des jeweiligen Autos geliefert. Die optimierte Lieferkette der Industrie ist hier extrem anfällig, was auch für die Bordnetze von Leoni gilt.

Ob Banken und andere Gläubiger sich davon beeindrucken lassen, dass die Nürnberger für Europas Autoindustrie von einiger Relevanz sind, ist allerdings eine ganz andere Frage. Zugleich verdeutlicht das, wie kritisch der Augenblick des Ausscheidens von Kamper ist. „Wir sind nicht führungslos“, beteuert er. In den Wochen bis zu seinem Abgang könne noch etwas erreicht werden. Es gehe schließlich für die Banken wegen der Milliarden­schulden von Leoni um viel Geld. Am Ende werde es aber wohl nur eine Lösung geben, die für alle Beteiligten schmerzhaft wird, räumt Kamper ein.

Diese Schmerzen beschreibt nun eine Ad-hoc-Mitteilung von Leoni. Ohne Kapitalschnitt zu Lasten bestehender Aktionäre mit folgender Kapital­erhöhung werde es keine Zukunft geben, heißt es dort. Die Pierer-Gruppe als Leoni-Großaktionär habe „unter bestimmten Bedingungen“ bereits einem deutlichen Sanierungs­beitrag zugestimmt. Gläubiger müssten zudem ihre Forderungen in Eigenkapital wandeln. Ob auch wirklich alle zustimmen, ist aber noch nicht klar.

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