Wie es um den Ausbau der Elektromobilität in Deutschland steht – auch in Ihrem Landkreis
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Deutschland muss die Energiewende schaffen, um den Klimawandel einzudämmen. Wie weit ist das Land mit der Elektromobilität?
© Quelle: Adobe Stock/RND-Montage Weinert
Frankfurt am Main. Ein heftiger Schub bei der Elektromobilität ist nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Denn nur so können die CO₂-Ziele im Verkehrssektor erreicht werden. Im Zentrum stehen die Personenkraftwagen. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen denn auch bis 2030 – also in weniger als sieben Jahren – 15 Millionen E‑Pkw auf unseren Straßen rollen. Davon sind wir noch sehr weit entfernt. Ende 2023 waren rund eine Million Stromer zugelassen. Zwischen Anfang Januar und Ende April 2023 kamen im Schnitt monatlich rund 31.000 Batterie-Elektrische (BEV) hinzu. Geht es mit dieser Geschwindigkeit weiter, wird das 15-Millionen-Ziel weit verfehlt. Dann sind Ende 2030 nämlich noch nicht einmal vier Millionen E‑Pkw hierzulande unterwegs.
Zudem plant die Bundesregierung, dass eine Million Ladepunkte öffentlich zur Verfügung stehen. Allerdings ist diese Zielmarke inzwischen heftig umstritten. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) rechnet vor, dass künftig 15 Autos auf einen Ladepunkt kommen sollen. Dafür müssten wöchentlich 2200 Ladepunkte entstehen, so Hildegard Müller, Präsidentin des VDA. Bisher seien es aber nur 540 wöchentlich, in diesem Tempo werde das Ziel nicht einmal zu einem Drittel erreicht.
Die Kalkulation des Dachverbandes der Energiewirtschaft (BDEW) sieht anders aus. Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, erinnert daran, dass sich seit 2019 die Ladeleistung bei Fahrzeugen und Ladesäulen verdreifacht hat. „Dieser enorme Leistungssprung führt dazu, dass das Ziel von einer Million Ladepunkten technisch überholt ist.“ Heute sei nicht die Anzahl, sondern die installierte Ladeleistung relevant. Die sogenannten Ultra-Schnellladepunkte mit 150 Kilowatt und mehr sind nicht nur erforderlich, weil die Kapazität der Batterien und damit die Reichweite der E‑Autos steigt. Sie sind auch entscheidend, wenn es künftig um das sogenannte bidirektionale Laden geht, also die Nutzung der Batterien als Speicher für unser Stromsystem. Wobei Lademöglichkeiten zu Hause und am Arbeitsplatz hierfür ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.
So viele Ladesäulen gibt es in Deutschland
Um die 1,1 Millionen E‑Autos waren insgesamt bis Ende April 2023 zugelassen, das sind ganze 6 Prozent des Zielwerts. Von den rund 80.000 Ladepunkten verfügt nur rund ein Sechstel über eine Schnelllademöglichkeit. Bei den Ultraschnellen standen Anfang des Jahres 7037 Ladepunkte zur Verfügung – innerhalb des vergangenen Jahres hat sich ihre Zahl immerhin um 80 Prozent erhöht. Zugleich stieg laut BDEW die gesamte Ladeleistung im vorigen Jahr um 40 Prozent, sie lag zu Jahresbeginn bei 2,47 Gigawatt.
Die etwa 14.000 Tankstellen sind fürs Stromtanken besonders wichtig. Aufgrund eines dichten Netzes mit günstigen Standorten – oft auch in innenstadtnahen Lagen – sind sie besonders prädestiniert, den zunehmenden Bedarf nach Stromtanken zu decken.
Zwar war bereits 2020 geplant, die Tankstellenbetreiber zu verpflichten, Jahr für Jahr mehr Tankstellen mit Ladesäulen auszurüsten. Diese Ankündigung wurde aber bisher nicht umgesetzt. Allerdings hat der Koalitionsausschuss kürzlich diesen Punkt wieder aufgegriffen und beschlossen, die Realisierung nun voranzutreiben. Dies ist auch dringend nötig: Nicht zuletzt wegen fehlender Vorgaben kommt die Umrüstung der Stationen nur schleppend in Gang.
E‑Autos und Ladesäulen: große Unterschiede in Deutschland
Die regionalen Unterschiede in der Ladeinfrastruktur sind erheblich, kommen aber nicht ganz überraschend. Bei den Elektromobilen zeigt sich ein starkes West-Ost-Gefälle. Während die meisten westdeutschen Kreise um den Durchschnitt pendeln, liegt der Anteil der E‑Autos im Osten bei etwa der Hälfte dieses Wertes.
In und rund um die Autostädte Wolfsburg, Ingolstadt und Böblingen liegen die Zulassungszahlen zwei- bis dreimal höher. Auf den ersten Blick ergibt sich ein positiver Ausreißer nach oben in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden mit einem E‑Auto-Anteil von 25 Prozent. Die hohe Zahl an E‑Mobilen liegt hier aber an den dort zahlreich gemeldeten Mietfahrzeugen. Einige windstarke Landkreise wie Nordfriesland und Paderborn liegen ebenfalls in der Spitzengruppe. Die Einkommenssituation stellt einen weiteren Indikator dar: Sie dürfte der Grund für die positive Entwicklung im Kreis Starnberg oder im Hochtaunuskreis sein.
Gravierender sind die Unterschiede bei den Ladesäulen. Bezogen auf die Zahl der Ladepunkte dominieren die Standortkommunen der Autohersteller noch deutlicher. Wiederum ist Wolfsburg an der Spitze mit einem Erfüllungsgrad von bereits 72 Prozent, gefolgt vom Ingolstadt mit 39 Prozent sowie Groß-Gerau, Regensburg, Heilbronn, Emden, Dingolfing-Landau und Böblingen mit 25 bis 30 Prozent. Auffällig sind auch bei der Ladeinfrastruktur zum Teil erhebliche Unterschiede bei benachbarten Kreisen: Der Kreis Vechta hat mit 10 Prozent einen doppelt so hohen Erfüllungsgrad wie der Kreis Oldenburg, noch größer ist der Unterschied zwischen dem hessischen Odenwaldkreis (8 Prozent) und dem bayerischen Kreis Miltenberg (3 Prozent).
Wichtiger als die Zahl der Ladepunkte: Die Leistung zählt
Entscheidender als die Zahl der Ladepunkte ist aber die zur Verfügung gestellte Leistung. Die EU jedenfalls hat bereits auf die Leistungsorientierung beim Laden der Akkus umgestellt. Ende März einigten sich die Kommission, das Europarlament und die Vertreter der nationalen Regierungen auf einen Kompromiss für die Verordnung über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR).
Bis Ende 2025 soll eine flächendeckende Ladeinfrastruktur für E‑Pkw aufgebaut werden: alle 60 Kilometer eine Ladeleistung von mindestens 150 Kilowatt entlang der Hauptadern des europäischen Straßennetzes. Und – noch wichtiger – die Mitgliedstaaten sollen zusätzlich pro neu zugelassenem Elektroauto eine Ladeleistung von 1,3 Kilowatt zur Verfügung stellen; für Plug-in-Hybride sind 0,8 kW geplant. Die endgültige Zustimmung der Staats- und Regierungschefs steht noch aus. Ein Einspruch kommt indes vom VDA, der 3 kW für jeden reinrassigen Stromer für notwendig hält.
Nach Berechnungen des BDEW jedenfalls ist die von der EU eingeforderte Versorgung mit Fahrstrom entlang der wichtigsten Autobahnen bereits jetzt in Deutschland gewährleistet. Die Vorgabe bei der Ladeleistung wird in der Summe sogar übererfüllt. Die zu Jahresbeginn zugelassenen 1,1 Millionen BEV und Plug-in-Hybride verlangten nach einer Gesamtladeleistung von rund zwei Gigawatt. Tatsächlich waren aber schon 2,47 Gigawatt installiert.
Vor dem Hintergrund des geringeren E‑Auto-Anteils im Osten dominieren hier die fünf ostdeutschen, gefolgt von den vier norddeutschen Ländern und Bayern. NRW, Hessen, Berlin und das Saarland liegen auf den hinteren Rängen.
Auch bezogen auf die Landkreise bestehen große Unterschiede. Unter den Top Ten rangieren allein fünf Landkreise aus dem Osten: Ostprignitz-Ruppin mit 698 Prozent der empfohlenen Ladeleistung, Saale-Holzland (647 Prozent) Altenburger Land (526 Prozent) und Oberspreewald-Lausitz (502 Prozent). Hinzu kommen zwei Kreise aus Bayern mit Passau (545 Prozent) und Ansbach (422 Prozent) sowie Zweibrücken in Rheinland-Pfalz mit 666 Prozent und die Stadt Ulm in Baden-Württemberg (512 Prozent). Spitzenreiter ist der niedersächsische Heidekreis mit 724 Prozent.
Schlusslichter sind unter anderem solche Kreise mit hohem E‑Auto- und Plug-in-Bestand. Ausgenommen Wiesbaden mit dem hohen Anteil an dort zugelassenen Mietfahrzeugen ist die Ladeinfrastruktur unter anderem in Offenbach (Hessen) mit nur 28 Prozent deutlich von der geplanten EU-Norm entfernt. Auffallend schlecht schneiden auch der Kreis Miltenberg in Bayern und Mülheim an der Ruhr (jeweils 36 Prozent), ferner Leverkusen (37 Prozent) und der Kreis Starnberg (39 Prozent) ab.
Vorbild Norwegen
Bei unserem nördlichen Nachbarn Norwegen fahren bereits über 600.000 Autos rein elektrisch, das entspricht rund 20 Prozent aller dort zugelassenen Pkw. Der umtriebige norwegische E‑Auto-Verband Norsk Elbil-Forening rechnet mit einer weiteren Steigerung bis 2025 auf rund ein Drittel des Bestandes. 2030 sollen es dann 60 Prozent sein, also 1,7 Millionen von insgesamt 2,8 Millionen Fahrzeugen.
Schon ab 2025 sollen nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden. Der Weg dahin ist nicht mehr weit, denn heute schon entfallen 80 Prozent aller Zulassungen auf Elektroautos. Die bisherige Kaufförderung wird langsam zurückgefahren, seit Januar wird die Mehrwertsteuer von 25 Prozent noch für E‑Pkw erlassen, die weniger als 50.000 Euro kosten.
Bis heute wurden in Norwegen rund 4200 Ultraschnellpunkte mit einer Leistung von mehr als 150 Kilowatt (kW) eingerichtet. Hinzu kommen weitere 1800 Ladepunkte mit über 50 kW. Die „Normalladepunkte“ unter 50 kW werden in der Statistik der Elbil-Forening nicht mehr aufgelistet. Selbst in den entlegenen und sehr dünn besiedelten Bezirken in Nordnorwegen finden sich aktuell ausreichend Lademöglichkeiten.
Nach einem Bericht für die norwegische Verkehrsbehörde vom März 2022 werden bis 2030 zwischen 6000 und 10.000 neue Ultraschnelllader für leichte Fahrzeuge und 1500 bis 2500 für schwere Fahrzeuge benötigt.
Im Vergleich mit Deutschland kommen die Norweger heute schon mit deutlich weniger Ladepunkten aus. Für 600.000 E‑Fahrzeuge stehen 6000 öffentliche Ladepunkte zur Verfügung. Im Jahr 2030 soll es für dann 1,7 Millionen E‑Mobile 10.000 bis 14.000 Ultraschnelllader geben. Somit steigt die Zahl der Fahrzeuge pro Ladepunkt von heute 100 auf 120 bis 170. Wobei hier zu bedenken ist, dass gerade in ländlichen Regionen Norwegens das heimische Laden ausgeprägt ist. Das gibt es aber auch in Deutschland. Und hierzulande müssen sich nur 12,5 E‑Mobile eine öffentliche Ladesäule teilen.
Das macht deutlich: Nimmt man Norwegern zum Vorbild, erscheint das Ziel von einer Million Ladepunkten erstens als zu unspezifisch und zweitens als deutlich überhöht. Für 15 Millionen Fahrzeuge müssten dann 2030 maximal 150.000 öffentliche ultraschnelle Ladepunkte erforderlich sein, also gut zehn pro Tankstelle. Aber viele Experten erwarten, dass das Stromtanken künftig auch auf den Parkplätzen von Möbelhäusern, Baumärkten, Burgerrestaurants oder Supermärkten geschieht.
Fazit: Die Ziele müssen angepasst werden – und es fehlen preiswerte E‑Autos
Das Ziel der Bundesregierung muss in dreierlei Hinsicht modifiziert werden. Erstens ist künftig die Anzahl der Schnellladepunkte entscheidend. Zweitens muss sich eine neue Ladestrategie beim öffentlichen Laden auf Sichtbarkeit, Sicherheit, Komfort und Schnelligkeit sowie auf einfache Bezahlmöglichkeiten konzentrieren. Das bieten nur die „traditionellen“ Tankstellen oder sogenannte Ladehubs, die der BDEW fordert. Sie sollen in den Städten dazu dienen, dass die Halter ein Auto auch über Nacht stehen lassen können – für Menschen, die in Mehrfamilienhäusern wohnen quasi als Ersatz für die Wallbox in der Garage.
Hier scheint die Forderung der Bundesregierung nach nur einem Ladepunkt pro Tankstelle wiederum wenig ambitioniert. Gerade angesichts der Flächenknappheit in den Städten müssen die Areale der Tankstellen genutzt werden. Drittens muss privates Laden zu Hause und am Arbeitsplatz für alle ermöglicht werden, auch für Mieter und Eigentümergemeinschaften.
Insbesondere der Ost-West-Vergleich zeigt, dass darüber hinaus nach wie vor preiswerte E‑Fahrzeuge fehlen, die es auch einkommensschwächeren Gruppen ermöglichen auf E‑Mobilität umzusteigen. Übermotorisierung und Überdigitalisierung (rollender Computer) mögen in bestimmten Kundengruppen verfangen, für eine bezahlbare Elektromobilität sind sie aber der falsche Ansatz. „Wir müssen den Massenmarkt erreichen. Das bedeutet in jedem Fall ein breites Angebot mit bezahlbaren Elektroautos. Und ich kann in diesem Zusammenhang nur feststellen, dass die Förderung mit Kaufprämien ein Nachfragetreiber war, der viel geholfen hat“, so BDEW-Chefin Andreae. Ansonsten läuft die Politik Gefahr, den Eindruck von der E‑Mobilität als Luxusgut in der Gesellschaft zu verfestigen. Die Modellpolitik der Autokonzerne muss durch noch deutlichere Änderungen der Förderstrategie angepasst werden. Norwegen kann hier als Vorbild dienen, wo nur noch E‑Autos gefördert werden, die weniger als 50.000 Euro kosten.