Gas: Das große Zittern geht weiter
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/J2NEBL7IUPS7GATR6K2L4PCD7I.jpg)
Wenn es Putin gefällt, guckt Deutschland in die Röhre.
© Quelle: Jens Büttner/dpa
Berlin. Ein klein wenig Erleichterung dürften wohl die meisten Menschen in Deutschland verspürt haben, als die Nachricht kam, dass das Gas aus Russland wieder fließt. Der vollständige Lieferstopp und die ganz große Eskalation bleiben zumindest vorerst aus – immerhin.
Wir nehmen, was wir kriegen können, das gilt beim Gas wie bei den (halbwegs) guten Nachrichten. Pandemiejahre, Rekordinflation und der Krieg mitten in Europa haben Deutschland bescheiden gemacht.
Gaslieferungen aus Russland: Nord Stream 1 läuft wieder
Die Pipeline, die russisches Erdgas nach Europa liefert, war seit dem 11. Juli wegen einer jährlichen Wartung für zehn Tage außer Betrieb.
© Quelle: Reuters
So verständlich die Sehnsucht nach Zeichen der Hoffnung in diesen düsteren Zeiten auch ist; einer Illusion sollten wir uns nicht hingeben: dass die Gaskrise nun vorbei ist. Das ist sie leider ganz und gar nicht. Die Wiederaufnahme der Lieferung bedeutet allenfalls eine kleine Verschnaufpause im Wirtschaftskrieg, mehr nicht. Zumal das Verwirrspiel des Kremls bereits munter weitergeht.
Schon das Hin und Her bei den angekündigten Lieferungen, den sogenannten Nominierungen, war eine Provokation. Hatte Gazprom zunächst Liefermengen in einer Größenordnung von rund 50 Prozent der Gesamtkapazität der Nord-Stream-Pipeline in Aussicht gestellt, wurde diese Zahl später auf etwa 30 Prozent reduziert. Die realen Gasflüsse, die die Netzbetreiber am Donnerstag registrierten, deuteten dann allerdings darauf hin, dass am Ende des Tages eine Auslastung von etwa 40 Prozent der Röhren erreicht werden würde – und damit exakt jenes Volumen, dass Russland bereits vor der Wartung geliefert hatte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Eine Turbinensaga als billiger Vorwand
Gleichzeitig beklagten sich Offizielle in Moskau über angeblich fehlende Dokumente für die nun aus Kanada zurückgeschickte Gasturbine, während Russlands Präsident Wladimir Putin die anstehende Reparatur einer weiteren Turbine verkündete, und über zusätzliche Drosselungen der Gasmenge fabulierte, falls man diese nicht zurückbekommen sollte. In Berliner Regierungskreisen, wo man die ganze Turbinensaga für einen billigen Vorwand Moskaus hält, machen derweil Berichte die Runde, dass es die russische Seite mit der Rücknahme der jüngst überholten Strömungsmaschine alles andere als eilig gehabt habe.
Die Verbreitung von Desinformation, Unsicherheit und Chaos ist eine Disziplin, in der es Wladimir Putin in den zurückliegenden Jahren zu einiger Größe gebracht hat. Derzeit liefert der Ex-KGB-Agent sein Meisterstück ab.
Das aus deutscher Sicht Perfide an der Situation ist, dass es nun ganz an Putin liegt, wie die Sache weitergeht. Der Staatskonzern Gazprom hat in der Frage nichts mehr zu melden, die Entscheidungen fallen einzig und allein im Kreml. Von dort wird man die Liefermengen mal steigen und mal sinken lassen, ganz so, wie es dem Despoten gerade gefällt. Und Börsen, Politikerinnen, Politiker, Medien und Verbraucherinnen und Verbraucher im Westen werden jedes Mal verlässlich reagieren. Die diebische Freude, die Putin bei diesem Spiel empfinden dürfte, spottet jeder Beschreibung.
Es bleibt deshalb der einzig richtige Weg, so schnell wie irgend möglich die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. Selbst wenn die Lieferungen in den kommenden Wochen verlässlicher kommen sollten, darf Deutschland bei seinen Bemühungen nicht nachlassen. Einsparen, ersetzen, diversifizieren – das sind die Aufgaben für die kommenden Monate. Sich nicht kirre machen zu lassen kommt noch hinzu.
Das Zittern um Gas wird weitergehen. Und trotzdem wäre Panik die denkbar schlechteste Reaktion. Das Beste zu hoffen, sich auf das Schlechteste vorzubereiten und einen kühlen Kopf zu bewahren scheint in der aktuellen Lage immer noch die beste Strategie zu sein.