Noch 99 Tage bis Olympia: Wie steht es um die Spiele?
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Trotz Pandemie: Ab dem 23. Juli werden 11.000 Athleten um olympische Medaillen in Tokio kämpfen.
© Quelle: imago/McPHOTO/blickwinkel/RND-Montage Behrens
Sabine Krapf atmet nach der Frage, was ihr im Moment am meisten Sorgen bereitet, erst einmal ganz tief durch. „Am meisten Sorgen macht uns der administrative Aufwand, der uns gerade überrollt.“
Und Sabine Krapf weiß, was administrativer Aufwand bedeutet. Seit 2005 ist sie für das sogenannte Games-Management beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zuständig. Sie sorgt mit ihrem mehr als 30-köpfigen Team nicht nur dafür, dass die deutschen Athleten und Athletinnen im einheitlichen und gleichfalls auf die individuellen Körpermaße der Sportler zugeschnittenen Trainingsanzug in ihre jeweilige olympische Wettkampfstätte einlaufen können.
Sie sorgt auch dafür, dass die Athleten überhaupt in die jeweilige Olympiastadt gelangen – und danach hochdekoriert oder einfach nur beseelt von der Teilnahme am großen Weltsportfest heimkehren. Mit anderen Worten: Die 56-Jährige ist die Cheforganisatorin der deutschen Olympiadelegation.
Und dadurch steht sie aktuell vor besonderen Herausforderungen. In 99 Tagen, am Freitag, 23. Juli, sollen in Tokio die bereits einmal verschobenen Sommerspiele der XXXII. Olympiade eröffnet werden. „Olympische Spiele sind die größte logistische und organisatorische Herausforderung im Weltsport – selbst ohne Corona“, sagt Krapf. Und mit Corona? „Da wird alles noch ungleich komplizierter.“
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Endspurt: Die dreimaligen olympischen Goldmedaillengewinner, Tadahiro Nomura (r.) und Saori Yoshida, entzünden die olympische Fackel während der olympischen Feuerankunftszeremonie auf der Matsushima-Basis der Japanischen Luftselbstverteidigungstruppe.
© Quelle: Rodrigo Reyes Marin/ZUMA Wire/dp
Denn wie soll das „Treffen der Jugend der Welt“, wie Gründervater Pierre de Coubertin die Neuauflage der antiken Tradition einst nannte, unter Corona-Bedingungen überhaupt stattfinden? Von einer globalen Herdenimmunität dürfte bis Ende Juli kaum auszugehen sein. Gerade in ärmeren Staaten ist die Impfrate verschwindend gering. Auch in Japan wird noch kaum geimpft. Zu den Olympischen Sommerspielen werden jedoch rund 11.000 Athleten und Athletinnen aus mehr als 200 Nationalen Olympischen Komitees in Tokio erwartet.
Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), beschwört den Kampf um die Austragung von „Tokyo 2020“ im Jahr 2021: „Wir kämpfen diesen Kampf für und wie olympische Athleten: mit voller Hingabe, mit dem Willen erfolgreich zu sein, mit täglich harter Arbeit und mit aller physischen und mentalen Kraft, die wir haben.“
Gedämpfte Euphorie: Werden die Spiele zum Superspreaderevent?
Und doch bleibt die Angst, dass Olympia zum globalen Superspreaderevent werden könnte. „Die Spiele unterliegen dem größten Risiko in ihrer jüngeren Geschichte. Alles andere wäre schöngeredet“, sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann jüngst der „Welt am Sonntag“.
Was im schlechtesten Fall passieren kann, haben einige Sportveranstaltungen zuletzt eindrücklich gezeigt. Nach der Rückkehr vom Fechtweltcup in Budapest wurden vier Mitglieder des deutschen Teams positiv getestet. Nach der Hallen-EM im polnischen Torun vermeldete der Deutsche Leichtathletik-Verband sieben Corona-Fälle unter den 48 Sportlern und 19 Betreuern.
Im britischen Team fingen sich neun Teilnehmer das Virus ein. Im Trainingscamp zum Judo-Grand-Slam in Tiflis infizierten sich so viele Athleten, dass das deutsche Team vom eigenen Verband wieder abgezogen wurde.
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Der Tag
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In Tokio sollen aber nicht nur Athleten aus einer Sportart zusammenkommen, dann werden es Vertreter aus 33 Sportarten sein. Dazu kommen Betreuer, Trainer und eben Planerinnen wie DOSB-Organisatorin Krapf. „Die aktuelle Situation nimmt viel von der olympischen Euphorie. Für viele sind es aber die ersten Olympischen Spiele – und denen wollen wir die Lust nicht nehmen“, sagt sie.
Also bereitet sie mit ihrem Team vor, was gerade so geht. Die Einkleidung der Sportler ist ein Beispiel. Normalerweise wird dieser Termin mit vielen schönen Bildern vom DOSB festlich inszeniert. Die olympische Familie Deutschlands trifft sich dort zum ersten Mal, saugt – noch in der Heimat – schon mal etwas von dem besonderen Flair auf, der den Spielen zugeschrieben wird.
In diesem Jahr wird es jedoch kein kollektives Anprobieren der 900 Delegationsmitglieder, die aus 13 verschiedenen Konfektionsgrößen wählen dürfen, geben. Stattdessen veranstaltet der DOSB eine sogenannte Roadshow.
Das heißt, dass die Einheitskleidung an sieben Olympiastützpunkte transportiert wird, die Athleten sich ihren nächstgelegenen Stützpunkt aussuchen und dort in Kleingruppen Trikots, T-Shirts und Trainingsanzüge anprobieren. „Wir bringen die Kleidung zu den Athleten“, sagt Krapf.
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In den vergangenen Jahren war die Einkleidung ein großes Event für die Athleten und den DOSB, wie Biathlet Benedikt Doll.
© Quelle: dpa
Die Mehrheit derjenigen, die Olympia ausmachen, nämlich die Athleten, sind derweil überwiegend für eine Austragung der schon als Notspiele postulierten Wettkämpfe in Tokio. Für viele ist es möglicherweise die einzige Chance, einmal bei der globalen Leistungsschau zeigen zu können, welche Form sie sich in den Jahren zuvor antrainiert haben. Entsprechend große Kompromisse sind sie bereit einzugehen, auch auf Kosten der Chancengleichheit.
Impfung, Vorbereitung, Infektion: Athletensprecher Hartung kritisiert unterschiedliche Bedingungen
Athletensprecher Max Hartung, selbst Fechter, beklagte zuletzt die verschiedenen Bedingungen, unter denen je nach Land trainiert wird. „Es ist jetzt schon maximal unfair“, sagte der 31-Jährige bei Spox. „Wir haben schon ein Jahr hinter uns, in dem die Trainingsbedingungen wohl so abweichend waren wie noch nie zuvor. Manche konnten in Gruppen trainieren, manche waren einfach nur zu Hause eingesperrt. Jetzt haben wir die Lage, dass manche Kontrahenten um die Medaillen geimpft sind, während wir in Deutschland in den nächsten Monaten mit der ständigen Sorge leben müssen, uns noch vor Tokio zu infizieren.“
Dazu kommen Unwägbarkeiten wegen immer wieder verschobener Qualifikationswettbewerbe. Manch Athlet wird erst wenige Tage vor der Eröffnungsfeier wissen, ob er dabei ist.
Wir haben schon ein Jahr hinter uns, in dem die Trainingsbedingungen wohl so abweichend waren wie noch nie zuvor.
Max Hartung,
Fechter und Athletensprecher
Gleichzeitig wird die Lage im Gastgeberland, das eine weitere Verschiebung ausgeschlossen hat, immer unübersichtlicher. In der Bevölkerung wächst die Ablehnung der Spiele, wie Umfragen zeigen. Im Februar musste der Chef des Organisationskomitees, Yoshiro Mori, wegen sexistischer Aussagen zurücktreten, die bisherige Olympiaministerin Seiko Hashimoto übernahm.
Der mythisch aufgeladene olympische Fackellauf konnte derweil wegen regionaler Corona-Notmaßnahmen nicht durch die Präfektur Osaka geführt werden.
Und in Tokio selbst steigen die – im Vergleich zu Deutschland niedrigen – Corona-Zahlen nach der Aufhebung des Notstands Mitte März wieder an. In einem Gastbeitrag für den US-Sender NBC beteuerte OK-Chefin Hashimoto: „Unsere erste und wichtigste Priorität ist es, eine sichere Umgebung mit Blick auf Covid-19 zu schaffen.“
Immerhin: Im Internationalen Olympischen Komitee ist man von der erfahrenen Politikerin, selbst siebenfache Olympiateilnehmerin im Eisschnelllauf und im Bahnradsport, überzeugt. Die könne das, heißt es.
Eine der ersten Maßnahmen während ihrer Regentschaft: Zuschauer aus dem Ausland wird es trotz zuvor mehr als 600.000 verkaufter Eintrittskarten nicht geben. Außerdem haben die Delegationen, Sponsorenvertreter und Journalisten, die vor Ort sein müssen, bereits sogenannte Playbooks erhalten, in denen Verhaltensregeln verzeichnet sind.
Ausländer müssen demnach in den zwei Wochen vor ihrer Abreise nach Tokio Gesundheitstagebücher führen. Während der ersten zwei Wochen ihres Aufenthalts – und damit praktisch für die Dauer der Spiele – dürfen sie sich im Grunde nur zwischen Unterkunft und den Wettkampfstätten bewegen.
Der Besuch von Sehenswürdigkeiten, Geschäften, Restaurants und Bars ist verboten. Weitere Handbücher mit immer detaillierteren Ausführungen sollen bis kurz vor der Eröffnungsfeier folgen. Die Athleten wiederum müssen spätestens zwei Tage nach ihrem Wettkampf das Land verlassen. Ob dann immer gleich ein Rückflug verfügbar ist? Auch das ist eine der noch unbeantworteten Fragen, die den Arbeitsalltag von DOSB-Organisatorin Krapf strukturieren.
Klar ist: Das Organisationskomitee bastelt an einer gigantischen Olympiablase. Die Kontakte zwischen Einheimischen und Gästen aus dem Ausland sollen so auf ein Mindestmaß reduziert werden. Und wer sich an die Vorgaben nicht hält, muss mit Strafen rechnen. Für sichere Spiele werde man die Regeln extrem streng umsetzen müssen, heißt es aus IOC-Kreisen.
Und so machen sich die Planer der deutschen Mission Gedanken, die früher kaum denkbar gewesen wären. Man überlege, welche Tätigkeiten die Anwesenheit in Tokio zwingend erfordern und welche im Homeoffice zu bewältigen sind, sagt DOSB-Managerin Krapf. „Jede Position wird dahingehend auf den Prüfstand gestellt.“
Das Deutsche Haus, sonst der Ort, wo Sportler auf Sponsoren und Medienvertreter treffen, ist längst abgesagt. „Wir müssen uns fragen: Was kann ich beeinflussen und was nicht? Da müssen wir einfach extrem pragmatisch sein“, sagt die frühere Fechtweltmeisterin.
Zeit zum Durchatmen wird sie nach dieser Mammutaufgabe nicht bekommen. „Tokio allein würde reichen, aber gleichzeitig stecken wir schon mitten in den Vorbereitungen für Peking“, sagt Krapf und verweist auf die im Frühjahr geplanten Winterspiele in der chinesischen Metropole. Immerhin ist die Teamkleidung dafür längst bestellt.
Ob es für die Verteilung wieder eine zentrale Einkleidung geben kann? Noch so etwas, was Krapf und ihr Team nicht beeinflussen können.