Wie Till Lindemann zwischen die Fronten der russischen Politik geriet

Till Lindemann bei einer Autogrammstunde in Moskau (Archivfoto).

Till Lindemann bei einer Autogrammstunde in Moskau (Archivfoto).

Moskau. Dass es ein Fehler sein kann, zu denken, man stehe über den Regeln, hat in Russland schon mancher erfahren müssen. Nun hat es Till Lindemann erwischt, den Frontmann der Neue-Deutsche-Härte-Band Rammstein.

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Es war mitten in der Nacht, als Lindemann in seinem Hotel in dem beschaulichen zentral­russischen Ferienort Zavidovo in der Nacht auf vergangenen Samstag Besuch von der Polizei bekam. Grund der dringenden Aufwartung: Die Beamten überreichten dem Sänger eine Mahnung, die sicherstellen sollte, dass er die geltenden Corona-Schutz­maßnahmen in Russland befolgt. Lindemann hätte aus Sicht der Behörden gegen die Pandemie­beschränkungen bei Groß­veranstaltungen verstoßen, wenn er wie geplant zwei Tage später beim Maklarin-Festival in der zentral­russischen Großstadt Twer (160 Kilometer nordwestlich von Moskau) aufgetreten wäre.

Benannt nach Maksim Larin, dem Gründer des örtlichen Brauhauses Afanasy, hätte das Festival auf dem Gelände der Brauerei stattfinden sollen. Doch nicht nur sah sich Lindemann genötigt, seine Teilnahme nach der offiziellen Abmahnung abzusagen, sondern auch Veranstalter Larin ließ auf Druck der Behörden das Konzert zum größten Teil kurzfristig platzen.

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Lindemanns mitreisender Produzent Anar Reiband bekam außerdem Ärger wegen seines Visums. Er habe seine Einreise mit touristischen Motiven begründet, warfen ihm die russischen Behörden vor, doch tatsächlich sei er nach Russland gekommen, um das Festival in Twer mit zu organisieren, also aus beruflichen Gründen. Reiband wurde die Deportation angedroht.

Eine ganz neue Erfahrung

Dass das Festival tatsächlich wegen geltender Infektions­schutz­regeln ins Wasser fiel, glaubt kaum einer der Beobachter. Denn das Konzert war als Wahl­veranstaltung für Maksim Larin gedacht, der bei den Kommunal­wahlen Mitte September für die Oppositions­partei Rodina (Heimat) ins Regional­parlament von Twer einziehen will. Die Staatsmacht betrachtet so etwas derzeit schnell als Provokation: Schon seit Monaten geht sie mit bislang ungekannter Härte gegen Oppositionelle vor, um den Erfolg der kremlnahen Partei Einiges Russland bei den Wahlen sicherzustellen.

Für Lindemann dürfte die Konfrontation mit den russischen Ordnungskräften allerdings eine ganz neue Erfahrung sein. Der Sänger, der sich ausweislich seines Instagram-Accounts gerne und oft in Russland aufhält, konnte dort bislang eher sehr viel Zuspruch erwarten: Rammstein genießt bei russischen Fans seit Jahren Kultstatus und der Frontmann der Band ist in den russischen Medien eine gefragte Person. Mit den Demokratie­defiziten im Land hat Lindemann offensichtlich kein großes Problem: 2016 äußerte er sich im Boulevardblatt „Komsomolskaja Prawda“ sogar lobend über Präsident Wladimir Putin.

Insofern stellt sich die Frage, warum sich der 58-Jährige nun in diese widrige Situation begeben hat.

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„War Lindemann bewusst, in welches Ränkespiel er da geraten ist?“

Der Moskauer Literatur­kritiker und Dichter Jan Schenkman erklärt es sich in einem Artikel in der unabhängigen Tageszeitung „Nowaja Gaseta“ schlicht mit der Ignoranz des Musikers: „War Lindemann bewusst, in welches Ränkespiel er da geraten ist?“, fragt der Publizist, um die Antwort gleich selbst zu geben: „Mit hoher Wahrschein­lichkeit – nein. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass er für die Rodina-Partei zu Opfern bereit ist. Für ihn ist das ein Geschäft: Du zahlst – ich singe. Er selbst hat mehrmals gesagt (und darauf bestanden), dass er sich nicht mit Politik beschäftigt und nichts davon versteht.“

Zu einer ähnlichen Auffassung gelangte im April schon der Oppositionelle Andrej Borowikow, der unter dem Vorwand, den von den Behörden als Pornografie eingeschätzten Videoclip zum Rammstein-Song „Pussy“ in sozialen Netzwerken verbreitet zu haben, zu einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Als der große Rammstein-Fan Borowikow daraufhin hoffte, dass die Band gegen dieses Unrecht öffentlich Stellung beziehen würde, erfüllte sich dieser Wunsch nicht. Trotz mehrfacher Nachfrage durch deutsche und russische Medien verweigerte Lindemann eine Stellungnahme. Das Schweigen ist aus Sicht Borowikows durch die finanziellen Interessen der Band begründet: „Inzwischen sehe ich ihre rebellischen Auftritte etwas anders“, sagte der inhaftierte Oppositionspolitiker dem unabhängigen russischen Onlineportal „Mediazona“: „Sie tun so, als ob sie außerhalb des Systems stünden, aber dann ist Geld eben doch Geld.“

RND

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