Experte über Hass im Netz

Linnea polarisiert auf Tiktok: „Es ist eine Art Machtfantasie“

Das Logo der Video-App Tiktok ist auf einem Smartphone zu sehen (Symbolbild).

Das Logo der Video-App Tiktok ist auf einem Smartphone zu sehen (Symbolbild).

Regelmäßig teilt die junge Bloggerin Linnea unter dem Usernamen @linneasky auf Tiktok kleine Vlogs mit ihrer Community. Dabei wird sie mit negativen Sprüchen förmlich überschüttet, mehr als viele andere Creatorinnen und Creatoren auf der Plattform. Es gibt kaum ein Video, unter welchem man keinen Hate findet. Trotzdem lässt sie sich nicht beirren und postet weiterhin Tiktoks über ihren Alltag.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Linnea: „Excuse me, wir haben 2022″

Der Ursprung von Linneas Tiktok-Reichweite liegt im vergangenen Jahr. Als Linnea einen Kommentar dafür erhielt, dass sie keinen BH trägt, reagierte sie in einem Video mit dem Satz „Excuse me, wir haben 2022!“. Das Video ging auf der Plattform viral, und noch immer werden ihre Kommentarspalten mit diesem Satz zugespamt. Zuschauende machen sich offensichtlich darüber lustig. Das zeigen auch viele Videos, die andere Nutzerinnen und Nutzer der Plattform mit dem Sound gepostet haben.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auch Linneas Aussprache wird oft kritisiert und in den Kommentaren nachgeäfft. Beispielsweise wird sie damit aufgezogen, „Wimperntuschi“ und „Toasti“ zu sagen – Kommentare dieser Art lassen sich bei fast jedem ihrer Tiktoks finden.

Die 23-Jährige ist nur eines von vielen Beispielen. Wie extrem sich Hass im Netz zuspitzen kann, zeigt der Fall des Youtubers „Drachenlord“. Auch er wurde – teils durch eigene Provokation – mit negativen Nachrichten und sogar Drohungen überschüttet. Da außerdem sein Wohnort bekannt war und von Hatern als Pilgerstätte behandelt wurde, kam es neben der Cyberhetze auch immer wieder zu Auseinandersetzungen und Zerstörungen.

Experte gibt Tipps zu Hass im Netz

Woher kommt dieser Hass? Wie kann man als Person des öffentlichen Lebens damit umgehen? Und was macht es mit den betroffenen Personen? Antworten auf diese Fragen hat Cybermobbing-Experte Christian Scherg.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Herr Scherg, ist man selbst verantwortlich für Hass im Netz, wenn man sich öffentlich im Internet präsentiert und somit angreifbar macht?

Das hängt davon ab, wie ich mich positioniere. Aber: Ich muss damit rechnen, wenn ich online gehe, dass es auch Menschen gibt, denen das missfällt und die anderer Meinung sind. Dementsprechend muss ich das Thema Hate zumindest einkalkulieren.

Freuen sich manche möglicherweise auch über Hate und die damit verbundene Aufmerksamkeit?

Ja, absolut. Es gibt genug Promis, die in erster Linie davon leben, dass sie aufmerksamkeitsstarke Dinge tun. Ob diese von allen gut aufgenommen werden, ist zweitrangig. Hauptsache, sie haben Publicity. Und das gilt natürlich auch für Social-Media-Bekanntheiten. Menschen, die, egal, was es kostet, einfach eine Reichweite und möglichst viele Follower haben wollen.

Denken Sie, es beeinflusst diese Menschen trotzdem emotional, gehatet zu werden?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ja. Es gibt genug Menschen, denen macht das sogar ganz viel aus. Menschen, die nicht darauf vorbereitet sind, Hass zu bekommen. Menschen, die positive Nachrichten vermitteln und das aus persönlicher Überzeugung tun. Diese Menschen sind dann schon wahnsinnig erschreckt darüber. Es ist auch psychisch sehr belastend, wenn ich permanent nur Hate bekomme. Bin ich zum Beispiel Influencer, habe ich auch noch mal den existenziellen Druck, weil mein Geschäftsmodell in großen Teilen auf Reichweite basiert. Dieses droht dann auseinanderzubrechen.

Was verleitet Menschen dazu, eine einzelne Person immer und immer wieder zu haten?

Es ist eine Art Machtfantasie. Ich kann Macht ausüben, indem ich andere Menschen zerstöre, kaputtmache. Es ist ein bisschen so wie das Hänseln auf dem Schulhof, nur halt deutlich intensiver, deutlich verletzender und deutlich bedrohlicher. In der Regel geht es ja um moralische Dinge, um Verfehlungen dieser Person. Es kann sein, dass jemand zu dick ist, zu dünn ist, die Nase zu lang ist, jemand die falschen Freunde hat, die falschen Dinge gelikt hat. Da hat sich jemand falsch geäußert, einen falschen Witz gemacht, ein falsches Produkt beworben. Jemand ist nicht authentisch, nicht glaubwürdig. Wir haben es mittlerweile mit einer Gesellschaft zu tun, die dann fordert, dass diese Menschen gecancelt werden. Oder tatsächlich glaubt, ein Urteil sprechen zu können, und dann diese Person einfach platt macht. Und wenn man einmal merkt, dass man durchdringt, dass die Personen darauf reagieren, dann machen viele weiter.

Zur Person

Christian Scherg, Geschäftsführer der „Revolvermänner“, ist Reputationsmanager, Berater, Autor und Dozent. Er studierte Betriebswirtschaft, Philosophie, Psychologie, Germanistik und Film.

Bis sie zu weit gehen.

Darüber, wie sich jemand auf der anderen Seite fühlt, denken viele einfach nicht nach. Sie fühlen sich in der Situation im Recht, das zu tun, was sie tun, weil es eben so viele machen. Daraus ergibt sich eine Gruppendynamik. Das individuelle Bewusstsein wird ersetzt durch ein Kollektivbewusstsein. Und im Kollektivbewusstsein geht jede Scham oder jedes individuelles Verantwortungsgefühl ein.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Gibt es etwas, das man als Person des öffentlichen Lebens gegen Hate im Netz tun kann?

Die Kernfrage ist: Wer hatet mich eigentlich? Ist das wirklich meine ureigenste Community, die mich hatet? Dann habe ich natürlich ein großes Problem, weil ich dann die Glaubwürdigkeit in meinem inneren Zirkel verloren habe. Oder ist es eine Community, die nicht meine Zielgruppe ist? Kann ich meine eigene Community motivieren, mir zu helfen? Ich kann diese Hater bannen. Ich kann dafür sorgen, dass andere mir zur Seite stehen, die eine starke Reichweite haben. Man kann das Ganze auch erst einmal ruhen lassen und den Umgang mit dem Kanal jemand anderem überlassen, der oder die weniger emotional darauf reagiert. Ich kann mich juristisch beraten lassen, je nachdem, wie intensiv der Hass ist. In dem Moment, wo ich beleidigt werde, wo Morddrohungen ausgesprochen werden oder Ähnliches, kann ich das Ganze zur Anzeige bringen. Was ich nicht tun sollte, ist, auf die Kommentare der Hater zu reagieren. Dann komme ich aus dieser Spirale nicht mehr heraus.

Dieser Text ist zuerst bei MADS erschienen.

Mehr aus Promis

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken