Kommentar

Vorrang für das Völkerrecht: Warum ein UN-Sondertribunal für Putin wichtig ist

Wladimir Putin, Präsident von Russland, hält eine Rede während einer Gedenkfeier anlässlich des 80. Jahrestages des sowjetischen Sieges in der Schlacht von Stalingrad.

Wladimir Putin, Präsident von Russland, hält eine Rede während einer Gedenkfeier anlässlich des 80. Jahrestages des sowjetischen Sieges in der Schlacht von Stalingrad.

Berlin. Rechtlich scheint die Sache klar, moralisch ist sie das sowieso: Wladimir Putin gehört vor Gericht. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nicht zu entschuldigen. Kein Land darf ein anderes überfallen. Grenzen sind zu akzeptieren oder in Verhandlungen zu ändern. Verhandelt wird am Telefon oder an Tischen, aber nicht mit Raketen und Panzertruppen. Und wer wie Putin meint, sich nicht daran halten zu müssen, muss verurteilt werden.

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Die UN-Charta verpflichtet zu Frieden und verdammt Angriffshandlungen. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) kann nicht nur wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen tätig werde, sondern auch wegen Aggressionsverbrechen, also wegen eines Angriffskriegs. Putin ließe sich demnach gleich mehrfach belangen.

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Aber so einfach ist es eben nicht. Denn die einfachste Variante, die Anrufung des IStGH durch den UN-Sicherheitsrat, wird Russland als dessen ständiges Mitglied blockieren. Putin ist ja offenkundig nicht der Meinung, etwas verbrochen zu haben. Ein anderes Land zu verwüsten, dessen Einwohnerinnen und Einwohner zu töten, sie in die Flucht zu treiben, ihnen Gesundheit, Freunde, Familie und Wohnungen zu nehmen – all das passt sich ein in seinen Kosmos aus Machtlust und Wahn. Die Souveränität, seine persönliche Unschuldsvermutung von einem Gericht überprüfen zu lassen, besitzt der russische Präsident wohl nicht – im Zweifel wird er sich mit der Behauptung behelfen, die ganze Welt habe sich gegen ihn verschworen.

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Putin wird nicht vor Gericht erscheinen

Deswegen ist eine zweite Variante ins Spiel gekommen: Mit einem von der UN-Generalversammlung initiierten Sondertribunal könnte der russische Aggressor dennoch vor Gericht kommen. Neutralität ließe sich gewährleisten, wenn die Richter aus vielen, und nicht nur aus Nato-Staaten, kämen. Deshalb müsste auch das internationale Recht die Verhandlungsbasis sein. Der Vorschlag von Außenministerin Annalena Baerbock, ukrainisches Recht zur Grundlage zu machen, wäre der Akzeptanz des Tribunals nicht zuträglich. Der Vorwurf der Voreingenommenheit läge nahe – diesen Verdachtsmoment muss man gar nicht erst aufkommen lassen.

Auch in dieser Variante wird eines wohl kaum passieren: Putin wird nicht vor Gericht erscheinen. Er wäre der Angeklagte. Das ist nicht die Rolle, die er sich selbst zugedacht hat. Vielmehr würde auch ein solches Verfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit von Russland boykottiert und attackiert.

Aber stattfinden könnte das Verfahren. Mit einer Unterstützung der deutlichen Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten wäre es zumindest ein Signal, dass das Völkerrecht auch für die gilt, die über Macht, Geld und Atomwaffen verfügen. Gar nicht so nebenbei sei bemerkt, dass die USA dem Völkerrecht ganz unabhängig vom Ukraine-Krieg zu mehr Bedeutung verhelfen könnten, indem auch sie endlich den Internationalen Strafgerichtshof anerkennen, statt auf einem Sonderstatus zu beharren.

Den Ukraine-Krieg würde die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens nicht beenden.

Putin hält einen Sieg gegen die Ukraine für „unvermeidlich“
Russia WWII Leningrad Siege Breakthrough Anniversary 8355723 18.01.2023 Russian President Vladimir Putin meets with World War Two veterans, residents of besieged Leningrad and representatives of patriotic civil society associations at the State Memorial Museum of the Defence and Siege of Leningrad in St. Petersburg, Russia. Ilya Pitalev / Sputnik St. Petersburg Russia PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xIlyaxPitalevx

Russlands Präsident Wladimir Putin ist nach eigenen Worten fest von einem Sieg in der Ukraine überzeugt.

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Allerdings würde es den Druck erhöhen, wenn nicht auf Putin, dann auf seine Gefolgsleute, die ihr Überleben – politisch wie faktisch – derzeit eng an den Präsidenten koppeln. Wer in Russlands Führung an Ausstiegsszenarien denkt, könnte sich überlegen, dass es allemal besser ist, als Kronzeuge in einem Prozess aufzutreten als als Angeklagter.

Wladimir Putin gehört vor Gericht. Die Unklarheit, ob er dort tatsächlich erscheinen wird, sollte nicht zu Untätigkeit führen. Der Angriffskrieg muss juristisch bewertet werden – und zwar nicht nur in Fachaufsätzen. Das ist die Völkergemeinschaft nicht nur der Ukraine schuldig, sondern auch dem Völkerrecht – und damit sich selbst.

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