Ukrainer leiden unter anhaltenden Angriffen: Es gibt keine sicheren Orte im Krieg
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Ein Ermittler inspiziert die Stelle, an der ein Hubschrauber abgestürzt ist. Bei einem Hubschrauberabsturz am 18.01.2023 nahe der Hauptstadt Kiew ist der ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyj ums Leben gekommen. Bei dem Unglück habe es mindestens 14 Tote gegeben.
© Quelle: Daniel Cole/AP/dpa
Browary. Mit einem kleinen Besen und einem Kehrblech versucht Olga Prensilewitsch entlang der Straße in einem Kiewer Vorort inmitten von Trümmern ein wenig Ordnung zu schaffen. Neben ihr ragt ein abgesperrter Hügel aus verkohlten Fahrzeugen und Schutt auf.
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Doch so sehr sie sich auch abmüht, kann sie den Anblick doch nicht vergessen. Davon, wie der Regierungshubschrauber mit Innenminister Denys Monastyrskyj und anderen an Bord durch den Nebel und auf den Kindergarten stürzte. Oder von den hektischen Versuchen, die Kinder zu retten; von den kleinen Körpern, die in Flammen standen. „Ich stehe noch immer unter Schock“, sagt die 62-Jährige.
In der Nähe schaut die 33-jährige Oksana Jurij Ermittlern zu, die den Unglücksort fotografieren und versuchen, zusammenzusetzen, wie es zu dem Absturz vom Mittwoch kam. „Ich dachte, dies sei ein sicherer Ort“, sagt sie. „Jetzt weiß ich, dass es so etwas nicht gibt.“
Angriff vom 14. Januar kostete 45 Zivilisten das Leben
Es ist eine harte Lektion, die den Ukrainern in einer Woche mit mindestens 59 Toten an Orten, die viele für sicher hielten, im elften Monat des russischen Angriffskrieges gegen ihr Land zuteil wurde.
Zahlreiche Opfer nach russischem Raketenangriff in Dnipro
Nach dem Raketenangriff in der ukrainischen Stadt Dnipro ist die Zahl der Opfer weiter gestiegen.
© Quelle: Reuters
Seit Februar werden die Toten durch Raketenangriffe und Kämpfe auf den Schlachtfeldern am Boden betrauert, Zivilisten, die in Schulen, Theatern, Krankenhäusern und Wohngebäuden starben. Viele haben Unwiederbringliches verloren: einen geliebten Menschen, ihr Zuhause, und, in einigen Fällen, jede Hoffnung auf eine Zukunft.
Doch die letzte Woche war von besonderer Grausamkeit. Es begann mit einem russischen Raketenangriff auf einen Wohnkomplex, den etwa 1700 Menschen ihr Zuhause nannten, in der südöstlichen Stadt Dnipropetrowsk. Der Angriff vom 14. Januar kostete 45 Zivilisten das Leben, darunter sechs Kinder.
Dann kam der Hubschrauberabsturz vom Mittwoch im Kiewer Vorort Browary mit 14 Toten, darunter der Innenminister, weitere Mitglieder seines Ministeriums, die Besatzung und ein Kind am Boden. 25 Menschen wurden verletzt, darunter elf Kinder. Eine Ursache wurde noch nicht offiziell bekanntgegeben.
„Ich versuche, durchzuhalten“
Am Freitag türmten sich Blumen am Zaun vor dem Kindergarten. Eine 73-Jährige hängte dort eine Plastiktüte mit Aloe Vera auf, in der Hoffnung, dass die Pflanzen die Leiden der Verbrennungsopfer lindern könnten. Doch nicht nur in Dnipropetrowsk und Browary wurde getrauert.
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Auf einem Friedhof in Butscha, nahe der Hauptstadt, wurde Oleksij Sawadskij zu Grabe getragen, der in Bachmut im Kampf gefallen war. Seine Verlobte Anja Korostenstka warf Erde auf seinen Sarg, als er in die Erde gelassen wurde. Dann brach sie unter Tränen zusammen.
„Der Mut unseres Militärs und die Motivation des ukrainischen Volkes sind nicht genug“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Kiew. Einen Tag zuvor hatte er sich per Video beim Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos zugeschaltet. Seine Zuhörer bat er darum, zu Ehren der bei dem Hubschrauberabsturz getöteten zu schweigen. Seine Frau Olena Selenska, die nach Davos gereist war, um persönlich Unterstützung für die Ukraine zusammenzutrommeln, wischte sich Tränen aus den Augen, als sie von dem Unglück erfuhr.
Bei einer Veranstaltung im Kiewer Fairmont Hotel sagte US-Botschafterin Bridget Brink den Teilnehmern, dass einige Mitarbeiter der Botschaft bei Kämpfen an der Front getötet worden seien.
In einem Krankenhaus in Dnipropetrowsk, wo sie sich von dem Raketenangriff auf die weitläufige Wohnanlage in der Stadt erholte, feierte die 40-jährige Olha Botwinowa mit Ballons ihren Geburtstag. Es sei nicht ihr wirklicher Geburtstag, sagte sie. Aber sie glaube, durch ihr Überleben im Grunde ein zweites Mal geboren worden zu sein. „Wir planen, weiterzuleben“, sagte sie.
Botwinowa flüchtete im Jahr 2014 aus Donezk, als von Moskau unterstützte Separatisten die Stadt im Donbass einnahmen. Im Frühjahr 2022 musste ihre Familie erneut fliehen, diesmal aus Cherson, als die Russen dort die Oberhand gewannen. Sie dachte, in Dnipropetrowsk sei sie in Sicherheit.
Der Raketenangriff zerstörte Wände in Dutzenden Wohnungen. In einer Wohnung im achten Stock steht eine Schale mit Äpfeln seither unberührt in einer Küche mit knallgelben Wänden. Viele Bewohner müssen noch immer ohne Fenster auskommen. Oleksij Kornieiew kehrte von der Front im Osten zurück, um seiner Frau beim Aufräumen zu helfen.
Die Stimmung in der Familie sei niedergeschlagen, sagt er. Die Familie müsse mit Stromausfällen bei winterlichen Temperaturen zurechtkommen. „Aber wir sind glücklich, am Leben zu sein.“ In der Stadt wurden Kleidung, Kissen, Decken und Matratzen ausgegeben. „Gestern hatten sie alles und heute haben sie nichts“, sagt die Helferin Uljana Borsowa über die Betroffenen. „Ich versuche, durchzuhalten“, sagt sie. „Denn andernfalls werden wir alle nur in Trauer ertrinken.“
RND/AP
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