„Putins trojanisches Pferd“: So schwächt Erdogan die Nato
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Uzbekistan SCO 8276072 16.09.2022 Russian President Vladimir Putin shakes hands with Turkish President Recep Tayyip Erdogan during a meeting on the sidelines of the 22nd Shanghai Cooperation Organisation Heads of State Council SCO-HSC Summit, in Samarkand, Uzbekistan. Alexandr Demyanchuk / POOL Samarkand Uzbekistan PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xAlexandrxDemyanchukx
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Es war kein schöner Anblick. Die Füße in einer Schlinge baumelte die Gestalt kopfüber an einer Art Galgen. So sieht sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht gerne. Ihn sollte die Puppe darstellen. Die makabre Inszenierung vor dem Rathaus der schwedischen Hauptstadt Stockholm war eine Anspielung auf das Ende des italienischen Faschisten Benito Mussolini. Kommunistische Partisanen erschossen ihn am 28. April 1945 und hängten seine Leiche kopfüber in Mailand auf. „Die Geschichte zeigt, wie Diktatoren enden“, erklärten die Veranstalter der Aktion, das sogenannte „Schwedische Solidaritätskomitee für Rojava“ auf Twitter. Rojava ist eine kurdische Bezeichnung für den Nordosten Syriens, wo die Türkei große Gebiete besetzt hält.
Die türkische Regierung sieht die als Terrororganisation verbotene kurdische PKK sowie deren syrische Ableger PYD und YPG hinter der „widerlichen und abscheulichen Tat“, wie Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin sagte. Das türkische Außenministerium bestellte den schwedischen Boschafter Staffan Herrström ein. Erdogans Anwalt Hüseyin Aydin erstattete Strafanzeige. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte, mit nur einer Entschuldigung werde Schweden „nicht davonkommen“.
Aktion in Schweden spielt Erdogan in die Hände
Aber trotz der öffentlichen Empörung dürfte in Ankara auch so etwas wie klammheimliche Freude mitschwingen. Denn die Aktion spielt Erdogan in die Hände. Sie liefert ihm ein Argument, die Nato-Norderweiterung weiter zu blockieren. Erdogan-Berater Kalin teilte bereits über Twitter mit, „wenn die Aktivitäten von Terrororganisationen (in Schweden) nicht gestoppt werden, kann es keine Fortschritte beim Beitrittsprozess zur Nato geben“.
Dieser Akt spielt Russland direkt in die Hände und schwächt unser Land in der schwierigsten Sicherheitslage seit dem Zweiten Weltkrieg.
Schwedischer Außenminister Tobias Billström
Die Aufnahme Schwedens und Finnlands in das Verteidigungsbündnis rückt damit noch weiter in die Ferne. Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson spricht von einem „extrem ernsten Vorgang“. Er sieht in der Aktion „einen Sabotageakt“ gegen den Nato-Beitritt seines Landes. Der schwedische Außenminister Tobias Billström sagte: „Dieser Akt spielt Russland direkt in die Hände und schwächt unser Land in der schwierigsten Sicherheitslage seit dem Zweiten Weltkrieg.“
Keinen dürfte der neue Streit zwischen Stockholm und Ankara mehr freuen als den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im Juni vergangenen Jahres beschlossen die Nato-Staaten die Aufnahme Schwedens und Finnlands in das Bündnis. Damit sollten die beiden skandinavischen Staaten vor einem befürchteten russischen Angriff geschützt und die Nordostflanke der Allianz gestärkt werden. Aber die Türkei knüpft die Ratifizierung des Beitritts der beiden Länder an immer neue Bedingungen, die Schweden nach den Worten von Ministerpräsident Kristersson „nicht erfüllen kann und will“ – wie die Auslieferung von türkischen Oppositionellen, denen schwedische Gerichte Asyl zugesprochen haben.
Baerbock dringt auf Nato-Beitritt von Schweden und Finnland
Baerbock wies darauf hin, dass Deutschland als eines der ersten Länder die Aufnahmeanträge ratifiziert habe.
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Erdogan: Quertreiber in der Nato
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Erdogan in der Nato als Quertreiber betätigt. 2009 versuchte er, die Berufung von Anders Fogh Rasmussen zum Generalsekretär der Allianz zu verhindern, weil der sich als dänischer Premier gegen ein Verbot der Mohammed-Karikaturen ausgesprochen hatte. Von 2016 bis 2022 blockierte Erdogan die militärische Zusammenarbeit der Allianz mit dem Partnerland Österreich, weil sich die Regierung in Wien für einen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche ausgesprochen hatte. 2017 bestellte Erdogan russische Flugabwehrraketen, 2019 blockierte er die Verteidigungspläne der Nato für Polen und die baltischen Staaten. Seine Forderung: Die Allianz müsse zunächst die syrische Kurdenmiliz YPG als Terrororganisation einstufen. In Wirklichkeit war die Blockade wohl eher ein Geschenk an Putin. Auch Erdogans Konfrontationskurs gegen den Nato-Partner Griechenland und das EU-Mitglied Zypern begünstigt Russland, denn diese Konflikte schwächen die Südostflanke der Allianz.
Keinen ausländischen Staatschef hat Erdogan in den vergangenen Jahren so häufig getroffen wie Putin. Kremlsprecher Dmitri Peskow spricht von einer „Freundschaftsbeziehung“, Erdogan von einem „Vertrauensverhältnis“. Als einziges Nato-Mitglied beteiligt sich die Türkei nicht an den Sanktionen des Westens gegen Russland. Das Land ist damit für Putin ein wichtiges Fenster zur Welt. Er bedankt sich bei Erdogan mit Zahlungserleichterungen für russisches Erdgas. Vergangenes Jahr kündigte Erdogan den Beitritt der Türkei zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOC) an, einer von Russland und China dominierten Staatengemeinschaft. Zu den Zielen der SOC gehört es, den Einfluss der Nato in Asien zurückzudrängen.
Türkischer Präsident Erdogan droht Athen indirekt mit Raketenangriff
Griechenland sei nervös, weil die von der Türkei entwickelte Rakete „Tayfun“ Athen treffen könne.
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Exiljournalist Bülent Kenes: „Putins trojanisches Pferd“ in der Nato
Der in Schweden lebende türkische Exiljournalist Bülent Kenes, der auf Erdogans Auslieferungsliste ganz oben steht, sieht in Erdogan „Putins trojanisches Pferd“ in der Nato. Der türkische Staatschef mache „einen Schritt nach dem anderen, um die Nato von innen heraus zu schwächen“, schrieb Kenes in einem Gastbeitrag für die „FAZ“. Im Fall Kenes entschied der schwedische Oberste Gerichtshof im Dezember gegen eine Auslieferung, weil ihm in der Türkei politische Verfolgung drohe. Der Oppositionelle appelliert an die Staats- und Regierungschefs der Nato, „mit Erdogan auf eine Weise zu sprechen, die Tyrannen verstehen, in einer kraftvollen Sprache und mit einer festen Entschlossenheit“.
Vor den in wenigen Monaten fälligen Wahlen stellt sich Erdogan seinen Anhängern als furchtloser Anführer dar, der es mit der ganzen Nato aufnimmt. Aber im Bündnis wächst die Verärgerung über die Sonderwege der Türkei. Das Land wird zunehmend als problematischer Partner gesehen. Im US-Kongress verhärtet sich jetzt der Widerstand gegen die von Präsident Joe Biden befürwortete Lieferung von F-16-Kampfjets an die Türkei. Bob Menendez, der einflussreiche Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im Senat, will die Lieferung verhindern, solange die Türkei den Nato-Partner Griechenland bedroht und die Aufnahme der skandinavischen Länder blockiert.