Metropolit Mark zum Krieg in der Ukraine: „Ich traue den Bildern nicht mehr“
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Metropolit Mark ist Erzbischof der Diözese Berlin und Deutschland der russisch-orthodoxen Kirche im Ausland (Moskauer Patriarchat)
© Quelle: RND
München. Metropolit Mark empfängt den RND-Reporter in der kleinen Bibliothek im kleinen Kloster des heiligen Hiob von Pocaev in München-Obermenzing. Der geistliche Führer der mit dem Moskauer Patriarchat verbundenen russisch-orthodoxen Auslandskirche nimmt Platz und fragt freundlich, aber bestimmt, was ich denn wissen wolle. Er hätte nicht viel Zeit. Dann wird es doch eine Stunde, zwischendurch telefoniert er auf Russisch. Ich frage ihn zuerst nach seinen Wurzeln.
Eure Eminenz, Sie sind Metropolit in der russisch-orthodoxen Auslandskirche und stehen der Diözese Berlin und Deutschland vor. Ihr Geburtsort ist Chemnitz. Welche Beziehungen haben Sie nach Sachsen?
Nach dem Fall der Mauer war ich ein paarmal aus Neugier in Chemnitz. Inzwischen bin ich dort sogar Ehrenbürger.
Wollten Sie schon als kleiner Junge Priester werden?
Ich kann mich nicht daran erinnern, aber ich glaube das nicht. Wahrscheinlich hatte ich andere Wünsche – obwohl: Mein Großvater war evangelischer Pastor. Er wurde von den Nazis abserviert.
Sie hätten Musiker werden können wie Ihre Eltern.
Ja, das wäre nicht unwahrscheinlich gewesen.
Welches Instrument spielen Sie?
Inzwischen keines mehr. Aber ich habe praktisch alle gespielt. Wir sind so erzogen worden, dass wir vielseitig waren. Ich habe mich hauptsächlich auf die Geige konzentriert, später dann Bratsche.
Sie kommen aus protestantischem Elternhaus, Ihre Familie floh aus der DDR in den Westen. Was war der Auslöser?
Der Aufstand 1953, vor allem, dass er nichts bewirkt hat – höchstens, dass die Unfreiheit in den Folgejahren wuchs.
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Metropolit Mark ist Erzbischof der Diözese Berlin und Deutschland der russisch-orthodoxen Kirche im Ausland (Moskauer Patriarchat)
© Quelle: RND
Ich habe gelesen, dass Sie Anfang der 1960er-Jahre bei der Bundeswehr waren. Was haben Sie dort gemacht?
Bei der Bundeswehr habe ich den normalen Wehrdienst früher als nötig abgeleistet, weil ich nicht als Akademiker mit 27 Jahren einem viel jüngeren Unteroffizier unterstellt sein wollte. Auf der anderen Seite war ich einfach dankbar dafür, dass mich dieser Staat aufgenommen hat. In der DDR hätte ich nie die Bildung bekommen, die ich wollte.
Metropolit Mark
Metropolit Mark ist der Erzbischof von Berlin und Deutschland der russisch-orthodoxen Kirche im Ausland (Roka). Er wurde am 29. Januar 1941 im sächsischen Chemnitz geboren. Sein weltlicher Name lautet Michael Arndt. Seine Eltern waren Musiker, er hat zwei Geschwister. Johann Arndt, ein bedeutender evangelisch-geistlicher Schriftsteller im 16. Jahrhundert, gehört zu seinen Vorfahren. Nach dem Arbeiteraufstand in der DDR floh die Familie nach Frankfurt am Main. Dort kam der junge Michael Arndt in Kontakt mit russischen Emigranten und entwickelte Interesse an der Orthodoxie. 1964 konvertierte er noch während des Studiums der Slawistik in Heidelberg zum russisch-orthodoxen Glauben. Er wurde promoviert mit einer Arbeit über die Literatur des russischen Fürstentums Twer. 1975 wurde Arndt zum Priestermönch der Roka geweiht. 1979 erhielt er das theologische Diplom der Universität Belgrad, ein Jahr später die Bischofsweihe. 1990 wurde Mark in den Rang eines Erzbischofs erhoben. Zugleich führt er als Abt seit Jahrzehnten die Mönchsgemeinschaft des Klosters zum heiligen Hiob von Počaev in München.
Gewöhnlich wollten Geflüchtete aus der DDR nichts mehr von dem wissen, was in irgendeiner Form mit dem Russischen zu tun hatte. Bei Ihnen war das anders. Warum?
Ich meinte, wenn ich gegen den Kommunismus kämpfen will, dann muss ich die Sprache kennen. Über die Sprache habe ich mich in die Kultur eingearbeitet, später Slawistik studiert und in Heidelberg promoviert. Die altrussische Literatur schlug mich in ihren Bann. Darüber bin ich zum orthodoxen Glauben gekommen.
Was hat Sie am orthodoxen Christentum fasziniert?
Die alte russische Literatur ist sehr stark durchwoben von kirchlichen Dingen und Ereignissen. Ich habe begriffen, dass die orthodoxe Kirche die älteste ist, sozusagen das Christentum pur. Dem wollte ich mich zuwenden.
Sie waren evangelisch getauft?
Ja, und mein Taufpate war Jude. 1941! Das sagt viel über meine Familie aus.
Was haben Ihre Eltern dazu gesagt, als Sie konvertierten?
Zunächst waren sie schockiert. Aber dann haben sie es mit Würde getragen.
Ausgerechnet die russisch-orthodoxe Kirche.
Meine Eltern haben vielleicht besser noch als ich zwischen sowjetisch und russisch unterscheiden können. Wir gingen in der DDR in Konzerte solch herausragender Künstler wie David Oistrach. Andere lehnten das ab, weil er aus der Sowjetunion kam. Wissen Sie, in Israel werde ich öfter auf mein Deutschsein angesprochen. Ich bin dankbar dafür, wenn die Menschen dann unterscheiden zwischen Deutschen und Nazis.
Die russisch-orthodoxe Kirche im Ausland entstand als Reaktion auf die bolschewistische Revolution 1917 durch russische Flüchtlinge. Ist dieser Geist, der von Migranten in der Diaspora, noch heute in der Kirche zu spüren?
Ja. Dieser Geist ist vor allem darin zu spüren, dass wir uns ein demokratisches Verständnis angeeignet haben. Das ist in Russland so gut wie nicht bekannt. Wir haben Gemeinderäte, die alle zwei Jahre gewählt werden, einen Vorsitzenden, einen Schatzmeister, Kommissionen. Alles streng demokratisch. Diese Dinge sind bereits 1918 im Allrussischen Konzil der Kirche festgelegt worden. Aber in Russland sind sie nie zum Zug gekommen.
Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die russisch-orthodoxe Auslandskirche sich 2007 wieder mit der Mutterkirche unter Moskauer Patriarchat vereinigte. Warum?
Nach der langen Zeit des Kommunismus sah ich die Zeit für angebrochen. Wir wollten niemals eine getrennte Kirche sein, sondern wir waren nur administrativ, zeitweilig getrennt, zeitweilig geteilt. Das hat sehr lange gedauert, aber die Notwendigkeit sowie die Art der Vereinigung waren in unseren Statuten von Anfang an festgelegt. Wir haben sehr hart verhandelt. Im Ergebnis gehören wir zu einer Kirche, aber wir sind nicht untertan, sondern weitgehend autonom. Wir wählen zum Beispiel unsere eigenen Bischöfe.
Was ist ein Metropolit?
Das Amt des Metropoliten kennzeichnet einen Bischof oder Erzbischof, der mehreren Bistümern vorsteht. In die Zuständigkeit von Metropolit Mark als Bischof in Deutschland fällt auch die Eparchie Großbritannien, die Gemeinde in Kopenhagen und die „Russische geistliche Mission“ in Jerusalem. Die russisch-orthodoxe Auslandskirche entstand 1927 als Reaktion auf die bolschewistische Revolution und ist seit 2007 eine selbstverwaltete Kirche innerhalb des Patriarchats von Moskau. Ihr Sitz ist in New York. Oberhaupt ist Ersthierarch Metropolit Hilarion.
Der Moskauer Patriarch Kirill begrüßt diesen Krieg, weil er Russland schütze.
Diese Sichtweise kann ich nicht unterschreiben.
Warum sagt er so etwas?
Ich weiß, dass die offizielle russische Kirche in der kommunistischen Zeit immer wieder den Kommunismus gerechtfertigt hat und die Verbrechen des kommunistischen Staates. Damals habe ich gesagt, ich will das nicht mittragen – aber ich kenne die Beweggründe nicht. Das muss ich auch heute angesichts dieses Kriegs klar sagen.
Wissen Sie, wie viele ukrainische Geflüchtete derzeit von Ihrer Kirche unterstützt werden?
Sehr, sehr viele kommen zu uns. Als der Zustrom an Flüchtlingen in Deutschland einsetzte, haben wir an alle Ministerpräsidenten und viele Bürgermeister geschrieben, dass wir unser Wissen und unsere Sprachkenntnisse gern zur Verfügung stellen. Dies wird auch genutzt. Wir unterstützen ebenfalls Konvois, die Lebensmittel und Kleidung in die Ukraine bringen. Wir geben, was wir haben, in ein Kloster in der östlichen Ukraine, das mitten in der Kampflinie liegt. Dort sind mehr als 1500 Flüchtlinge untergebracht.
In einer Videobotschaft im März haben Sie gesagt, dass nun ein großer Teil Ihrer Kirche in diesen Krieg verwickelt ist. Wie meinten Sie das?
Nun, auf der einen Seite helfen wir. Andererseits haben viele unserer Gläubigen Verwandte in Russland, Belarus oder in der Ukraine. Das berührt unmittelbar, da wir alle in einer Kirche vereint sind.
Wie verkraftet die Kirche diesen Bruderkrieg?
Durch das Gebet.
Sie haben jüngst Gebete als Munition bezeichnet. Für wen? Und klingt es nicht ein bisschen sehr martialisch für einen Geistlichen?
Das erste Wort, das einem über die Zunge kommt, ist nicht immer das treffendste. Wir können und wollen nicht an einem Krieg in irgendeiner Form teilnehmen. Aber wir leisten Beistand durch unsere Gebete. Auf beiden Seiten kämpfen Mitglieder unserer Kirche. Das ist herausfordernd. In manchen Gemeinden führt die Situation zu Konflikten.
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Patriarch Kirill.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Welche Sicht haben Sie auf den Krieg in der Ukraine?
Ich halte diesen Krieg für ein Verbrechen. Manche meinen, er dauert in Wahrheit schon acht Jahre und dass es zum Beispiel ein Fehler der ukrainischen Regierung war, in den Schulen den Gebrauch der russischen Sprache zu verbieten. Wahrscheinlich ist das so. Dies kann aber niemals die Rechtfertigung für einen Krieg sein. Auf keinen Fall.
Putin begründet diesen Angriff weiterhin damit, die Ukraine von Nazis zu säubern. Was sagen Sie dazu?
Es gibt in der Westukraine tatsächlich kleine Gruppierungen, die dem Geist des früheren NS‑Kollaborateurs Stepan Bandera nahestehen. Das ist aber auch alles. In Kiew und der Ukraine regieren keine Nazis. Das ist Unsinn.
Was empfinden Sie, wenn Sie Bilder aus Mariupol oder anderen zerstörten Orten sehen und von Kriegsverbrechen hören?
Ich fühle mich an meine Kindheit erinnert. Das alles ist schrecklich. Aber ich traue den Bildern nicht mehr. Auf ihnen ist nicht erkennbar, wer welches Ziel getroffen hat.
Warum sollten Ukrainer ihre eigenen Städte zerstören?
In einem Krieg werden Bevölkerung und Städte durch Kriegshandlungen beider Seiten in Mitleidenschaft gezogen. Ich erlaube mir da kein Urteil.
Es gibt regierungsunabhängige Organisationen, die ganz klar Zerstörungen und Kriegsverbrechen von Russen in der Ukraine nachgewiesen haben.
Für solche Informationen wäre ich dankbar. Aber in vielen Fällen weiß man wirklich nicht, von wem zerstört wurde. Denn es wird ja von beiden Seiten geschossen.
Wobei die einen angreifen und die anderen verteidigen.
Trotzdem wird geschossen. Aus Berichten meiner Priester oder Diakone kenne ich auch Fälle, in denen die ukrainische Armee ihre Panzer zwischen bewohnte Hochhäuser gestellt hat. Ist nicht damit zu rechnen, dass die Russen auf sie schießen und dabei Unschuldige treffen? Ich verstehe auch nicht, warum unser Kloster mit all seinen Flüchtlingen – von wem auch immer – unter Beschuss geraten ist.
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Ausgebrannte Fahrzeuge in der Nähe des bombardierten Stahlwerks von Azovstal.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Sollten sich die Russen aus der Ukraine zurückziehen?
Ist das eine Frage? Ja, ganz bestimmt! Und zwar vollkommen.
Was wünschen Sie sich für den Frieden?
Ich hoffe auf mehr Spielraum für die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine. Die will nicht mehr als das Recht, ihre Sprache zu sprechen. Mir ist unverständlich, warum das so schwer sein soll. Sinnvoll erscheint mir die EU-Mitgliedschaft der Ukraine, auch wenn dies auf russischer Seite wieder große Ressentiments hervorrufen kann.
Wird der Krieg Russlands in der Ukraine Ihre Kirche verändern?
Ganz sicher, und leider nicht zum Guten.
Was befürchten Sie?
Mir fällt es schwer zu glauben, dass der ukrainische Teil unserer Kirche bei dem russischen bleiben will. Und die Ukrainer sind die gläubigsten Mitglieder in der russisch-orthodoxen Kirche.
Die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland klagen über dramatischen Mitgliederschwund. Wie sieht es in Ihrer Diözese aus?
Unsere Entwicklung verläuft genau andersherum. Das hängt damit zusammen, dass seit 1990 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion viele Russlanddeutsche in die Bundesrepublik kamen. Viele brachten ihren orthodoxen Glauben mit, viele fanden jedoch auch erst hier dazu. Somit ist die Besinnung auf den Glauben in einer chaotischer werdenden Welt der zweite Grund für die positive Mitgliederentwicklung. Der dritte ist das Heimatgefühl durch die Sprache.
Und warum fallen in den anderen christlichen Kirchen so viele Menschen vom Glauben ab?
Ich könnte mir vorstellen, dass es vielen nicht gefällt, dass sowohl die evangelische als auch die katholische zu sehr versuchen, sich der Gegenwart anzupassen. Das ist bei uns nicht der Fall. Na gut, wir nutzen auch Computer und reisen nicht mehr mit dem Esel.
Was meinen Sie mit Anpassung?
Als ich in Erlangen lehrte, wohnte ich gegenüber einer katholischen Kirche. Am Sonntag lud der Pfarrer Motorradfahrer ein, sogar in die Kirche hineinzufahren. Das kann man machen. Aber was soll das? Auch Motorradfahrer verstehen, dass das eine seltsame Geschichte ist. Von Gott ist da keine Rede. Das meine ich mit übermäßiger Anpassung an die Welt.
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Zu angepasst? Vor dem DFB-Pokalfinale haben Fans von RB Leipzig und dem FC Freiburg sowie Vertreter von evangelischer und katholischer Kirche gemeinsam am 21.5.2022 Gottesdienst in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche gefeiert.
© Quelle: IMAGO/epd
Wie viele Gemeinden sind in Ihrer Diözese versammelt?
Wir haben 75 Gemeinden mit etwa 70 Priestern und 30 Diakonen. Ein paar Gemeinden haben nur ein- bis zweimal im Monat Gottesdienst. Aber die meisten haben heute ihren ständigen Priester. Allerdings: Viele der Priester sind zusätzlich anderweitig berufstätig, weil die Gemeinden nicht so finanzkräftig sind.
Wie reagieren die Deutschen darauf, dass ein Erzbischof der russisch-orthodoxen Kirche ein Landsmann ist?
Darauf sprechen mich nur wenige an. Es ist aber regional sehr unterschiedlich. In Süddeutschland sind die Menschen offener gegenüber der orthodoxen Kirche. Sie sprechen mich an und sagen: „Danke, dass Sie so angezogen gehen.“ In Norddeutschland passiert es eher, dass abfällige Bemerkungen gemacht werden. Meine liebste Begegnung hatte ich einmal in Berlin. Dort sagte mir ein Taxifahrer: „Sie haben sich aber schön verkleidet.“
Wie haben Sie reagiert?
Ich sagte dem Mann, dieses Kostüm gehört bei mir einfach dazu.
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