20 Jahre Gefangenenlager Guantanamo: Der Schandfleck bleibt

11. Januar 2002, Guantanamo Bay: Soldaten der US-Armee bringen einen Gefangenen in das berüchtigte Camp X-Ray auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay.

11. Januar 2002, Guantanamo Bay: Soldaten der US-Armee bringen einen Gefangenen in das berüchtigte Camp X-Ray auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay.

Brüssel. Die ersten 20 Gefangenen werden an einem Freitag in die Käfige aus Draht gesperrt – wie Hunde in einen Zwinger. Die Männer sind in orangefarbene Overalls gekleidet, ihre Augen sind verbunden, auf den Ohren sitzen Kopfhörer. Sie tragen einen medizinischen Mundschutz und Ketten an Händen, Füßen und um den Bauch. Wochenlang werden die Männer in diesen Käfigen gehalten. Sie sind dem tropischen Wetter an der Südostspitze Kubas schutzlos ausgesetzt.

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Die Bilder aus Camp X-Ray auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay gehen an diesem 11. Januar 2002 um die Welt. Sie sind der erste Hinweis darauf, wie die US-Regierung den sogenannten Krieg gegen den Terror führen will. Guantanamo wird zum Symbol für Menschenrechtsverletzungen, Willkür, Folter und Ungerechtigkeit.

11.01.2002, Guantanamo Bay: In orangefarbene Overalls gekleidete Häftlinge knien im US-Gefangenenlager Guantánamo.

11.01.2002, Guantanamo Bay: In orangefarbene Overalls gekleidete Häftlinge knien im US-Gefangenenlager Guantánamo.

Zwanzig Jahre später ist Camp X-Ray längst Geschichte. Dickes Gras mit scharfen Rändern wächst in den Käfigen. Bananenratten, groß wie Katzen, hängen faul im Drahtgebälk. Leguane schleichen herum. Das Buschwerk hat Camp X-Ray verschlungen.

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Doch nur ein paar Kilometer weiter hat sich nichts verändert. Das Lager Guantanamo, das Kritiker als rechtsfreien Raum bezeichnen, existiert weiter. Es wurden neue Gefängnisgebäude in Strandnähe errichtet. Die Gefangenen werden schon seit April 2002 nicht mehr wie Hunde gehalten. Doch was heißt das schon?

Eine direkte Folge von 9/11 und dem Beginn des Afghanistan-Feldzuges

Seit nunmehr 20 Jahren hält das US-Militär Menschen auf der Karibik-Insel in Gefangenschaft. Zeitweise waren es mehr als 770. Heute sind es noch 39, von denen die allermeisten ohne Anklage einsitzen und wenig Aussicht haben, Kuba zu Lebzeiten verlassen zu können.

Das Lager Guantanamo ist eine direkte Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 und dem Beginn des Afghanistan-Feldzugs im Herbst 2001. Damals suchte die US-Regierung unter Präsident George W. Bush händeringend nach einem Ort, um „die Schlimmsten der Schlimmen“ unterzubringen, wie es der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagte.

Die Suche endete in Guantanamo, einem Flottenstützpunkt, den die USA seit Anfang des 20. Jahrhunderts von Kuba gepachtet haben. Guantanamo wurde zum Aufbewahrungsort für jene Männer, die so fanatisch seien, dass sie die hydraulischen Kabel eines Flugzeugs zerkauen würden, nur um es zum Absturz zu bringen, wie sich General Richard B. Myers, damals Chef des US-Generalsstabs, ausdrückte.

Der Ort für das Lager war gefunden. Es musste nur noch das internationale Recht verbogen werden. In den Augen der US-Regierung waren die mutmaßlichen Terroristen keine Kriegsgefangenen, aber auch keine Straftäter. Also erdachten Regierungsjuristen die Kategorie der „feindlichen Kämpfer“ – die Gefangenen wurden damit praktisch für rechtlos erklärt.

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„Ein Schandfleck für die amerikanische Republik“

So ist es bis heute geblieben. „Guantanamo ist und bleibt ein Schandfleck für die amerikanische Republik und für den internationalen Kampf gegen den Terrorismus“, sagt Reinhard Bütikofer. Er sitzt für die Grünen im Europaparlament und ist ein ausgewiesener USA-Kenner. Leider hätten sich inzwischen viele liberale Stimmen in den USA, aber auch Partner der USA von dem Problem Guantanamo abgewandt, sagt Bütikofer. „Etliche internationale Partner der USA wollen sich nicht sehr gerne an Guantanamo erinnern, weil das symbolisch auch für die eigene Komplizenschaft mit einer Politik steht, in der der antiterroristische Zweck auch illegitime Mittel rechtfertigen sollte.“

Im Laufe der Jahre wurde öffentlich, welche Mittel das waren. Murat Kurnaz aus Bremen, der viereinhalb Jahre in Guantanamo saß, bevor er im August 2006 freikam, berichtete von Folterungen und Demütigungen.

Das Guantanamo-Folteropfer Murat Kurnaz am 19. Oktober 2015 in Berlin.

Das Guantanamo-Folteropfer Murat Kurnaz am 19. Oktober 2015 in Berlin.

Der Palästinenser Abu Zubeidah wurde 1600 Tage lang von der CIA an einem geheimen Ort festgehalten, bevor er 2006 nach Guantanamo überstellt wurde. Er musste Waterboarding über sich ergehen lassen, wurde in eine Kiste von der Größe eines Sargs gesperrt. Die CIA sagte beschönigend, es habe sich dabei um „erweiterte Verhörtechniken“ gehandelt. Doch der US-Kongress nannte es Folter.

Zubeidah ist einer der 14 Gefangenen in Guantanamo, die wahrscheinlich nie mehr freikommen werden. Er gilt als Gefahr für die nationale Sicherheit der USA. Eine Anklage gegen ihn gibt es aber nicht.

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Gegen zehn Gefangene hat das US-Militär Anklage erhoben

Neben diesen 14 Inhaftierten gibt es eine Gruppe von 13 Männern, die freigelassen werden könnten, wenn sich denn ein Land fände, dass sie aufnehmen würde. Doch das US-Militär hat hohe Ansprüche, was die Überwachung solcher Männer in den Aufnahmeländern angeht. 14 der Häftlinge stammen aus dem Jemen. Dort ist Bürgerkrieg. Und in Pandemiezeiten ist die Bereitschaft, Gefangene aus Guantanamo aufzunehmen, ohnehin nirgendwo besonders ausgeprägt.

Gegen zehn Gefangene hat die US-Armee tatsächlich Anklage erhoben. Unter ihnen ist Khaled Scheich Mohammed. Der Pakistaner war nach eigenen Angaben der Architekt der 9/11-Attacken. Er sitzt seit 2006 in Guantanamo. Ihm droht die Todesstrafe, sollte ein US-Militärgericht ihn verurteilen.

Doch das kann noch dauern. Die Verfahren haben noch nicht einmal offiziell begonnen. Seit 2012 verhaken sich Ankläger und Anwälte in einem Streit über Feinheiten. Viele Angehörige der 9/11-Opfer klagen seit Jahren darüber, dass die Anschläge juristisch nicht aufgearbeitet werden.

Auch wird schon seit vielen Jahren darüber debattiert, den Schandfleck Guantanamo durch die Schließung des Lagers zu beseitigen. Barack Obama war der erste US-Präsident, der das versucht hat. Nur Tage nach seinem Amtsantritt im Januar 2009 ordnete er die Schließung an, scheiterte aber am Widerstand zahlreicher Politiker aus der eigenen demokratischen Partei.

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Trump dachte nicht an eine Schließung

Obamas Nachfolger Donald Trump dagegen dachte nicht im Traum daran, Guantanamo zu schließen. Nicht einmal das Argument, dass die USA auf Kuba das teuerste Gefängnis der Welt betreiben und viel Geld sparen könnten, zog bei dem Geschäftsmann. Auch die Aussage eines US-Marinejuristen vermochte Trump nicht zu überzeugen. Der Rechtsanwalt nannte das Lager auf Kuba „Amerikas winzigstes Gefängnis, das ausschließlich für Dschihadistengreise reserviert ist“.

Dabei würde sich ein Ende des Lagers finanziell durchaus lohnen. Die „New York Times“ hat 2019 Zahlen veröffentlicht, die das eindrücklich belegen. Demnach verschlang der Betrieb des Gefängnisses, in dem mehr als 1500 Soldaten Tag und Nacht damals gerade einmal 40 Gefangene bewachten, mehr als 540 Millionen US-Dollar. Das machte pro Häftling und Jahr mehr als 13 Millionen Dollar.

Dagegen ist die Inhaftierung von Insassen in Gefängnissen auf dem US-Festland, die die höchste Sicherheitsstufe haben, geradezu billig zu haben. Im sogenannten Supermax-Knast in den Bergen von Colorado kostet ein Häftling pro Jahr nur 78.000 Dollar.

Auch der Nachfolger des Populisten Trump, der Demokrat Joe Biden, versucht es wieder. Biden verkündete kurz nach Amtsantritt im Januar 2021, er wolle einen neuen Anlauf unternehmen, um Guantanamo zu schließen. Doch seither ist wieder knapp ein Jahr vergangen, und nichts ist geschehen. Biden müsste einen Weg finden, die Gefangenen von Guantanamo in Gefängnisse auf dem US-Festland zu verlegen, um ihnen dort vor zivilen Gerichten einen regulären Prozess machen zu können.

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Doch der Widerstand in den USA ist groß, und das hat vor allem einen Grund. „Konservative Propagandisten nutzen den Umstand aus, dass einzelne ehemalige Guantanamo-Häftlinge nach ihrer Freilassung zu ihren terroristischen Ursprüngen zurückkehrten“, sagt der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer.

21.11.2013, Guantanamo: Auf diesem vom US-Militär überprüften Dateifoto schließt ein Soldat das Tor des inzwischen aufgegebenen Camp X-Ray. Über die Schließung des Gefängnisses an sich wird immer wieder diskutiert.

21.11.2013, Guantanamo: Auf diesem vom US-Militär überprüften Dateifoto schließt ein Soldat das Tor des inzwischen aufgegebenen Camp X-Ray. Über die Schließung des Gefängnisses an sich wird immer wieder diskutiert.

Solche Worte wiederum scheinen in konservativen, aber auch demokratischen Kreisen in den USA zu verfangen. „Nur die radikalsten Terroristen verbleiben in Guantánamo“, schrieb der republikanische Kongressabgeordnete Mike Waltz vor einigen Monaten. Würden sie freigelassen, „werden sie zu Rockstars in der Welt der islamistischen Extremisten und stellen eine noch größere Bedrohung für Amerika und die Welt dar“.

Erst vor ein paar Tagen musste Präsident Biden eine neue Niederlage hinnehmen. Der Kongress beschloss, dass die Regierung grundsätzlich keine Mittel verwenden darf, um Gefangene aus Guantánamo in die USA oder in bestimmte andere Staaten zu überstellen. Auch für eine Schließung des Lagers dürfe kein Geld ausgegeben werden.

20 Jahre nach der Ankunft der ersten Gefangenen in Camp X-Ray sieht es ganz danach aus, als würde das Lager auch die Amtszeit von Präsident Biden überdauern. Das gilt besonders, wenn die Republikaner bei den US-Kongresswahlen im Herbst dieses Jahres die Mehrheit der Demokraten in Repräsentantenhaus und Senat brechen. Und das ist nicht unwahrscheinlich.

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Guantanamo-Kritiker werden also voraussichtlich noch lange Zeit erfolglos gegen das Lager mobil machen. Oder wie es der Grünen-Politiker Bütikofer sagt: „Wir müssten uns mit Blick auf Guantanamo ein Vorbild an Cato dem Älteren nehmen: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Guantanamo geschlossen werden muss.“

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