Umfragen und Wahlen: Die unterschätzten Wahlerfolge
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EGGOPROT35CLJPBLPAAXMEUFBE.jpeg)
Ein Fähnchen mit dem Logo der AfD (Symbolfoto).
© Quelle: Daniel Karmann/dpa
Halle. In den Wochen vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Jahr 2016 hatte die AfD in den Umfragen um 18 Prozent erreicht und schoss am Ende mit 24,3 Prozent deutlich darüber hinaus. Vorausgegangen war ein steiler Aufstieg der damals noch jungen Partei, angetrieben durch die Flüchtlingskrise.
Am Sonntag ist wieder Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, und wieder hat die AfD eine Aufholjagd hinter sich, nachdem die CDU zu Beginn der Pandemie fast schon enteilt schien. Die Meinungsforschungsinstitute ermittelten im Mai 2021 einen Stimmenanteil der AfD von durchschnittlich 24,3 Prozent, also genau das Wahlergebnis von vor fünf Jahren. Die CDU kommt in den Umfragen mit 27,3 Prozent nur knapp auf Platz eins. Nicht ausgeschlossen, dass sich die Reihenfolge bis zum Wahlabend noch dreht.
Meinungsforschende erheben nicht den Anspruch, Wahlergebnisse korrekt vorhersagen zu können, sondern liefern immer nur Momentaufnahmen. Um ein Gefühl für die Verlässlichkeit von Umfragen zu bekommen, hat das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) die Wahlergebnisse der zurückliegenden Landtagswahlen in allen 16 Bundesländern mit den Umfragewerten kurz zuvor verglichen.
Dabei zeigt sich, dass die Meinungsforschenden bei keiner Partei so häufig danebenlagen wie bei der Alternative für Deutschland, vor allem in Ostdeutschland. Aber auch SPD und CDU wurde in bestimmten Konstellationen ein zu geringer Stimmenanteil zugeschrieben.
Gerade in den Anfangsjahren der AfD wurden die Meinungsforschenden häufig von den Wahlergebnissen der Partei überrascht. Die Landtagswahlen 2014 in Thüringen und Brandenburg brachten der AfD deutlich mehr Stimmen als erwartet. Das Muster wiederholte sich später auf höherem Niveau.
Die letzten Umfragen vor der Wahl 2019 in Brandenburg übertraf die AfD mit 2,5 Prozentpunkten und landete am Ende bei 23,5 Prozent der Wählerstimmen. Auch in Sachsen schnitt die AfD bei der Landtagswahl 2019 sogar noch ein Stück stärker ab als prognostiziert. Da aber auch die CDU am Ende ein besseres Ergebnis einfuhr als gedacht, konnte sich Ministerpräsident Michael Kretschmer in eine Kenia-Koalition mit SPD und Grünen retten.
Befragte antworten absichtlich unwahr
Im Fall der AfD als Partei am rechten Rand des politischen Spektrums ist eine mögliche Erklärung für diese Abweichungen die sogenannte „soziale Erwünschtheit“. Zu diesem Schluss kommen die Sozialforscher Knut Bergmann und Matthias Diermeier in einer Studie für das Institut der deutschen Wirtschaft. Befragte verweigern sich demnach den Umfragen oder antworten absichtlich unwahr, weil ihnen bewusst ist, mit ihren Angaben sonst gegen soziale Normen zu verstoßen.
In der Folge wird von Meinungsforschenden der Anteil derjenigen unterschätzt, die eine vom Mainstream abweichende Meinung vertreten. Auch beim Brexit-Referendum in Großbritannien und der amerikanischen Präsidentschaftswahl hatten Vorhersagen die populistischen „Außenseiter“ teils deutlich unterschätzt.
„Viele AfD-Anhänger lehnen es ab, mit uns zu sprechen. Aus Erfahrungswerten vergangener Wahlen korrigieren wir das Ergebnis daher im Rahmen einer Dunkelziffer nach oben“, sagt Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. Genau das Gegenteil sei bei Grünen-Anhängern der Fall: „Dort gibt es eine geradezu überschwängliche Bereitschaft, fast eine Begeisterung, an Umfragen teilzunehmen. Das korrigieren wir mit einer negativen Dunkelziffer.“
Das Phänomen einer in Umfragen unterschätzten AfD ist in Ostdeutschland häufiger zu beobachten als im Westen. Vor den Wahlen in Baden-Württemberg Anfang 2021 und in Bayern 2018 beispielsweise lag das Wahlergebnis am Ende sogar unter den Umfragewerten. In den norddeutschen Ländern Niedersachsen, Bremen und Hamburg lag die AfD in den vergangenen Wahlen in etwa auf Höhe der Umfragen. In Hessen erreichte die AfD ebenso ziemlich genau das erfragte Niveau.
Doch auch im Westen lagen die Meinungsforschenden schon daneben: Bei der Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg wurden der AfD 4 Prozentpunkte weniger vorhergesagt, als sie letztlich erzielte.
Die folgenden Grafiken zeigen den Verlauf der Umfragewerte und die Wahlergebnisse der Parteien in allen Bundesländern. Klicken Sie auf „größere Zeitspanne“, um sich eine längerfristige Entwicklung anzeigen zu lassen.
Auch die SPD bekam an der Urne schon manches Mal mehr Zustimmung als in Umfragen. Voraussetzung war allerdings, dass die Partei in dem betreffenden Land den Regierungschef stellte. In der jüngsten Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft holte die Partei des Regierenden Bürgermeisters, Peter Tschentscher, überraschend 39 Prozent der Stimmen, obwohl sich in Umfragen kurz zuvor nur 34 Prozent zu den Sozialdemokraten bekannt hatten.
In Niedersachsen lag die CDU 2017 in den Umfragen kurz vor der Wahl noch knapp vor der SPD des amtierenden Ministerpräsidenten Stephan Weil. Am Wahltag machten die Wähler dennoch die Sozialdemokraten zur stärksten Kraft.
SPD hat Wahlforscher oft überrascht
Bei der Wahl 2021 In Rheinland-Pfalz hatten die Demoskopen das starke Abschneiden der SPD von Malu Dreyer nicht auf dem Schirm. Noch einige Wochen vor der Wahl lag die CDU des Herausforderers Christian Baldauf vorn. Am Ende brachten die Sozialdemokraten einen komfortablen Vorsprung von 8 Prozentpunkten nach Hause und konnten weiterhin die Regierung anführen.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern 2016 und Brandenburg 2019 schnitt die SPD mit einem amtierenden Ministerpräsidenten unerwartet gut ab.
Möglicherweise entscheiden sich die Wählerinnen und Wähler, wenn es darauf ankommt, dann doch lieber für die bewährte Kraft. In Umfragen, wenn es um nichts geht, ist der Wille zur Veränderung wohl etwas stärker ausgeprägt als in der Wahlkabine. Das könnte neben den vielen Überraschungserfolgen der SPD möglicherweise auch die Wiederwahl von Annegret Kramp-Karrenbauer im Jahr 2017 als saarländische Ministerpräsidentin erklären. Die CDU erhielt in dieser Wahl 5 Prozentpunkte mehr als vorhergesagt.
Nur einmal gelang es in jüngerer Zeit einem Herausforderer, das Blatt zu wenden. In Nordrhein-Westfalen hatten die Wahlforscher den Wahlsieg der CDU 2017 nicht auf dem Zettel. Die Umfragen vor der Wahl sahen die SPD der amtierenden Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als stärkste Partei. Am Ende zog dennoch Armin Laschet in die Staatskanzlei ein.