Über die Ohnmacht der Seele: die Geschichte der Auschwitz-Überlebenden Trude Simonsohn

„Ich hatte Glück, trotz allem“: die Holocaustüberlebende Trude Simonsohn.

„Ich hatte Glück, trotz allem“: die Holocaustüberlebende Trude Simonsohn.

Frankfurt/Main. Vielleicht kann die Seele ja wirklich in Ohnmacht fallen. Vielleicht ist es eine Art, sich zu schützen, wenn alles ringsum zu schmerzlich und entsetzlich ist: Während der Körper weiter funktioniert, schaltet sie sich einfach ab.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Jedenfalls ist das Trude Simonsohns Erklärung dafür, dass ihre Erinnerung an die Zeit in Auschwitz kurz nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager einfach versagt. Josef Mengele, der die Ankommenden mit einer knappen Bewegung seines Daumens in den Tod schickt, die Schornsteine, die Musik, die überall zu hören war, dann der demütigende Moment, als sie nackt und kahlgeschoren durch ein Spalier von SS-Männern laufen muss – das ist schon fast alles, was aus Auschwitz in ihrem Gedächtnis lagert. „Was mit mir dort passiert ist, habe ich mit einer Macht verdrängt, die ich mir selbst nicht zugetraut hätte“, hat Trude Simonsohn in einem Gespräch mit Schülern einmal gesagt. Wenn Vergessen eine Fähigkeit ist, dann kann sie wohl manchmal ein Geschenk sein.

„Ich war einfach nicht mehr da“

Trude Simonsohn, die an diesem Donnerstag 100 Jahre alt wird, ist eine der letzten noch lebenden Auschwitz-Überlebenden in Deutschland. Geboren wurde sie in Olmütz, in der damaligen Tschechoslowakei, wo sie als junge Jüdin in den Dreißigerjahren noch so etwas wie Harmonie zwischen Deutschen und Tschechen, Juden und Katholiken erfährt. Das ändert sich jedoch schlagartig nach dem 15. März 1939, dem Tag des Einmarsches deutscher Truppen in Prag. „Danach kannte mich kein Deutscher mehr auf der Straße“, so hat sie es einmal beschrieben. „Ich war einfach nicht mehr da.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ich habe getan, was ich konnte, was ich musste.

Trude Simonsohn

Dennoch – oder gerade deshalb – kämpft sie in der zionistischen Jugend weiter für einen eigenen Judenstaat in Palästina. Und weder lässt sie sich davon abbringen, als ihr Vater am 1. September 1939 verhaftet und nach Buchenwald verschleppt wird, noch als sie selbst vor einer Festnahme gewarnt wird. Wobei es, so klang es bei ihr immer durch, vielleicht eher Naivität als übergroßer Mut war, die sie weitermachen ließ: „Ich will weiß Gott nicht sagen, dass ich eine Heldin war“, hat sie einmal gesagt. „Mir hat nur jede Fantasie gefehlt, was diese Drohung bedeutete.“

Qualvolle Einzelhaft

Genau das aber sollte sie bald darauf erfahren: 1942, nach dem Attentat auf den Holocaustorganisator Reinhard Heydrich in Prag, wird sie wegen Hochverrats und illegaler kommunistischer Arbeit festgenommen – auch wenn sie, wie sie betont, mit dem Kommunismus nichts zu tun hat. Das Standgericht verurteilt sie entgegen allen Befürchtungen zwar nicht zum Tod; doch die Monate, die sie dann in Einzelhaft verbringt, sind für Trude Simonsohn äußerst qualvoll – ohne dass eine schützende Ohnmacht der Seele die Erinnerung daran verhindert hätte. Hier, in der Einzelzelle, erhält sie auch die Nachricht vom Tod ihres Vaters im KZ Dachau. „Ich hatte plötzlich das Gefühl: Ich bin ganz allein auf der Welt“, erinnert sie sich. In der Haft denkt sie auch daran, sich das Leben zu nehmen. „Aber die Messer waren zu stumpf.“

Dass sie nach einigen Monaten ins Getto Theresienstadt verlegt wird, gleicht für sie in dieser Situation fast einem Glücksfall – trotz der Epidemien, des Hungers und der Überfüllung, die sie durchaus wahrnimmt. Aber zumindest ist sie nicht mehr allein, sie lernt sogar ihren Mann kennen, den sie noch in Theresienstadt zumindest rituell heiratet, den deutschen Juden Berthold Simonsohn. Und danach wird schließlich alles noch weit schlimmer.

Im Oktober 1944 werden sie beide nach Auschwitz deportiert, an den höllengleichen Ort, an dem ihre Mutter ermordet wird. Und an dem ihre Seele angesichts des größtmöglichen Grauens bald nach der Ankunft das Erinnern verweigert.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Hilfe für traumatisierte Waisen

Die Befreiung erlebt Trude Simonsohn im Mai 1945 in einem Außenlager des KZs Groß-Rosen im heutigen Polen. Mit ihrem Mann geht sie nach dem Krieg zunächst in die Schweiz und kümmert sich um traumatisierte Waisenkinder. Später ziehen sie nach Frankfurt am Main, jene Stadt, von der Trude Simonsohn später sagt, sie sei die erste, in der sie sich wieder heimisch fühle. In der Jüdischen Gemeinde kümmert sie sich hier um die Sozialarbeit, wird von 1989 bis 2001 sogar Gemeinderatsvorsitzende. Seit dem Tod ihres Mannes, der bereits 1978 starb, erinnert sie zudem als Zeitzeugin in Vorträgen und Diskussionen an die Gräuel des Nationalsozialismus – und wird vor allem auch dafür, nachdem sie schon zahlreiche andere Auszeichnungen erhalten hat, im Jahr 2016 zur ersten Ehrenbürgerin Frankfurts ernannt.

Trude Simonsohns 100. Geburtstag wäre daher in normalen Zeiten Anlass für eine große Feier. Angesichts der Pandemie soll es jedoch bei einer Würdigung im kleinen Kreis bleiben, in dem Altenzentrum der Budge-Stiftung im Frankfurter Stadtteil Seckbach, in dem sie seit einigen Jahren lebt. Vielleicht ist ihr das sogar ganz recht so, große Auftritte sind ihr seit jeher wesensfremd. „Ich habe getan, was ich konnte, was ich musste“, hat sie vor einigen Tagen der Nachrichtenagentur epd gesagt. Und: „Ich hatte Glück, trotz allem.“

Mehr aus Politik regional

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken