Sachsen-Anhalt vor der Wahl: Willkommen im Land der Rechtsblinker

Wahlkampfplakat in Magdeburg, Sachsen-Anhalt. Der amtierende Ministerpräsident Reiner Haseloff tritt wieder für die CDU an.

Wahlkampfplakat in Magdeburg, Sachsen-Anhalt. Der amtierende Ministerpräsident Reiner Haseloff tritt wieder für die CDU an.

Lutherstadt Wittenberg. Frank Scheurell, 58, ist optimistisch. Nein, der CDU-Landtagsabgeordnete aus der Lutherstadt Wittenberg tritt nach 19 Jahren nicht noch einmal an. „Ich bin nicht Abgeordneter aus Berufung, sondern Abgeordneter mit Beruf“, sagt der selbstständige Dachdeckermeister, der daheim mal wieder im Auto unterwegs ist. Doch die Wahl werde „klar ausgehen. Reiner Haseloff wird das gut schaffen – hier im Wahlkreis sowieso.“

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Wenn man Scheurell fragt, wie es nach der Landtagswahl am 6. Juni weitergeht, reagiert er zurückhaltend. „Natürlich möchte ich, dass so viel CDU-Politik durchgesetzt wird wie möglich und nicht die Gendersternchen“, sagt der Christdemokrat. „Vielleicht“ wäre die FDP nach der Wahl „ein besserer Partner“ – gemeint ist: ein besserer Partner als die Grünen. Und die AfD? „Abgrenzung ja, Ausgrenzung nein“, erwidert er. Schließlich würden deren Abgeordnete gewählt wie andere auch.

Wittenberg ist Sachsen-Anhalt in einer Nussschale

Das alles ist bemerkenswert, weil Ministerpräsident Haseloff ebenso aus Wittenberg kommt wie Scheurell. Beide haben lange gemeinsam Kommunalpolitik gemacht und sich dabei bisweilen aneinander gerieben, weil Scheurell immer schon weiter rechts stand. Es ist ferner bemerkenswert, weil Scheurell in den letzten Jahren zu jenen CDU-Parlamentariern zählte, die gewisse Sympathien für die AfD hegten – was Haseloff nie tat.

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Und schließlich ist Frank Scheurell nicht allein. Während er nicht erneut für den Landtag kandidiert, tut dies jetzt sein Bruder, der vier Jahre jünger ist und Volker heißt. Er kandidiert für die AfD. Wittenberg ist Sachsen-Anhalt in einer Nussschale.

Haseloff – 1954 unweit von Wittenberg geboren – war einst Arbeitsamtsdirektor in der Lutherstadt. Überdies war er lange Jahre der weit und breit aktivste Kommunalpolitiker. 2002 wurde der verheiratete Vater von zwei Söhnen Staatssekretär für Wirtschaft in der Landesregierung unter seinem ebenfalls aus Wittenberg kommenden Vorgänger Wolfgang Böhmer, 2006 folgte der Aufstieg zum Wirtschaftsminister und 2011 die letzte Karrierestufe: die Wahl zum Ministerpräsidenten.

Haseloff galt in der CDU eher als Linker – bis die AfD kam

Der katholische Sozialpolitiker konnte in der CDU lange als eher Linker gelten. Noch 2015 sagte er bei einer Veranstaltung in der Berliner Landesvertretung gemeinsam mit seinem Innenminister Holger Stahlknecht (ebenfalls CDU), dass die zunehmende Zahl von Flüchtlingen hilfreich sein könne, um dem alternden Sachsen-Anhalt demografisch auf die Beine zu helfen.

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Mit dem Erstarken der AfD änderte Haseloff seine Linie. Er forderte nun eine „Landesobergrenze“ für Asylsuchende – und rettete sich nach der Landtagswahl 2016 mit Glück und Geschick aus der Großen Koalition in eine bundesweit einmalige Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Seither ist Haseloff, der 2021 eigentlich nicht wieder antreten wollte, eine Art politischer Jongleur.

Auf der einen Seite muss der 67-Jährige jene Teile der CDU-Landtagsfraktion auf Abstand halten, die lieber mit der AfD kooperieren würden. So setzten beide Fraktionen eine Kommission zur Untersuchung des Linksextremismus in Sachsen-Anhalt ein, obwohl der Verfassungsschutz vor dem Rechtsextremismus warnte.

Haseloffs Spagat zwischen Nähe und Distanz zur AfD

Zwei Fraktionsvertreter befanden in einem Thesenpapier, es werde Zeit, das Nationale und das Soziale wieder miteinander zu versöhnen. Da gingen Aufschreie durch die Republik. CDU und AfD zogen auch gemeinsam gegen den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk zu Felde. Die beiden Autoren des Thesenpapiers stehen auf Platz drei und vier der Landesliste, der Hauptakteur im Rundfunkstreit auf Platz fünf.

Auf der anderen Seite versuchte derselbe Haseloff, der AfD-nahe Kreise auf Abstand hielt und 2020 deren Gallionsfigur Stahlknecht nach langem Streit vor die Tür setzte, „die Themen der AfD“ zu „besetzen“, wie ein Vertrauter sagt. Das betraf die Flüchtlingspolitik ebenso wie die Corona-Politik.

So lehnte der Regierungschef Bußgelder für Maskenverweigerer ab und klagte zuletzt, die Bundesnotbremse stärke nur die AfD. 2017 empfing er Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán in seiner Heimatstadt. Am Wochenende monierte er „linke Identitätspolitik“.

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Armin Laschet (CDU, r.), spricht im Bauhausmuseum neben Reiner Haseloff (CDU, l.), Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt.

Armin Laschet (CDU, r.), spricht im Bauhausmuseum neben Reiner Haseloff (CDU, l.), Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt.

Tauscht Haseloff die Grünen gegen die FDP?

Haseloff wandelt auf dem Hochseil. Seine persönliche Popularität hat deutlich zugenommen. Der Ministerpräsident, derzeit Präsident des Bundesrates, absolviert Termine in Berlin mittlerweile routiniert. Zugleich verharren CDU und AfD in den Umfragen ungefähr bei ihren Wahlergebnissen von 2016. Die Frage ist, ob die Kenia-Koalition ihre Mehrheit behält, wonach es aussieht, und ob die CDU nach dem Urnengang statt auf die Grünen auf die FDP als Koalitionspartner setzt. Das wäre denkbar.

Der promovierte Physiker tourt durchs Land – in der vorigen Woche mit Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet, obwohl er dessen Konkurrenten, CSU-Chef Markus Söder, als Kandidaten bevorzugt hätte. Haseloff und Laschet loben einander. Auch die Wettbewerber sind auf den Beinen.

Baerbock mischt im Wahlkampf in Magdeburg mit

Die Grünen halten am Freitagabend in Magdeburg vor 100 getesteten Teilnehmern eine „Townhall“-Kundgebung mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und Spitzenkandidatin Cornelia Lüddemann ab. Nicht auf einem öffentlichen Platz, sondern versteckt in einer alten Festungsanlage. Die Grünen inszenieren sich als verlässlicher Partner, der trotz ständiger Angriffe der CDU das Bündnis aufrechterhält.

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Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen und Bundesvorsitzende ihrer Partei, spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung der Grünen in Magdeburg.

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen und Bundesvorsitzende ihrer Partei, spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung der Grünen in Magdeburg.

„Verlässlich“ prangt auf ihren Wahlplakaten, das Parteilogo fehlt. Baerbock greift Haseloffs CDU wegen ihrer Nähe zur AfD scharf an: „Dass der stärkste Koalitionspartner nicht der Garant der Stabilität und der Demokratie ist, hat mich schockiert“, sagt sie. Das seien die Grünen.

Lüddemann trägt eine grüne FFP2-Maske, unter der sie nach dem Baerbock-Auftritt kämpferische Sätze sagt wie: „Rechtsblinker in der CDU haben alles dafür getan und werden weiter alles dafür tun, dass wir dieses Land nicht mitregieren. Wir kämpfen dafür, dass wir Grünen so stark werden, dass an uns kein Weg vorbei führt.“

Die AfD dominierte Demos gegen die Corona-Maßnahmen

Die AfD schlägt da ganz andere Töne an. „Ich will, dass es so wird wie vor 2015“, ruft AfD-Spitzenkandidat Oliver Kirchner ein paar Tage zuvor in Köthen, „ohne Drogendealer und Messerkriminalität, die wir importieren.“ Die rund 100 Zuhörer klatschen, ein Mann schwenkt eine schwarz-rot-goldene „Merkel muss weg“-Fahne. Er hat sich eine Kuhglocke vors Gemächt gebunden und schwenkt die Hüften, um sie zum Läuten zu bringen.

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Die AfD bespielt schon seit Monaten die Plätze in den kleinen und größeren Städten Sachsen-Anhalts. Sie hat hier die Demos gegen die Corona-Maßnahmen dominiert und ist dann nahtlos in den Wahlkampf geglitten. Corona und Migration, diese Kombination zieht bei den Anhängern.

Der lokale Kandidat Hannes Loth warnt vor der Impfung gegen Covid-19. Daniel Roi aus dem Nachbarwahlkreis Bitterfeld will „endlich aufräumen im Sauladen Magdeburg“. Auch Bundestags-Fraktionschef Alexander Gauland ist gekommen. Er raunt über „Merkels One-World-Ideologie“ und glaubt: „Auf die zeitlich begrenzte Corona-Diktatur folgt die zeitlich unbegrenzte Klimadiktatur“.

Rechtsextreme Kampfbegriffe im AfD-Wahlprogramm

Die AfD tritt in Sachsen-Anhalt ungebremster auf als anderswo. Der Landesverband ist strikt auf dem Kurs des thüringischen Rechtsauslegers Björn Höcke. Rechtsextreme Kampfbegriffe wie „Asylforderer“ durchziehen das Wahlprogramm. „Dazu stehe ich“, sagt Spitzenkandidat Kirchner im Gespräch und betont, man könne „im Osten klarer sprechen als im Westen“.

2016 schoss die Rechtspartei mit 24,3 Prozent auf Platz zwei. Wie in anderen Bundesländern beschäftigte sich die Fraktion zunächst mit sich selbst, es gab Austritte, allen voran von Fraktionschef André Poggenburg. Doch die AfD fing sich in den Umfragen, auch weil die CDU immer wieder mit der Rechtspartei flirtete. Kirchner, ein glatzköpfiger Ex-Autohändler, ist weniger krawallig als sein Vorgänger, aber ideologisch knallhart.

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Auf dem Regal seines Landtagsbüros stehen Kaffeebecher mit Höcke-Porträts neben einer Hindenburg-Zeichnung. Er fordert „nationalkonservative Politik“ und hofft auf den Wahlsieg: „Das wäre ein politisches Beben“, sagt er.

Die rechte Version des „Magdeburger Modells“

Sachsen-Anhalt kennt sich mit politischen Beben aus: 1994 ließ sich eine SPD-Minderheitsregierung in Magdeburg erstmals von der damals noch PDS genannten Linkspartei tolerieren. Kirchner bietet nun ein „Magdeburger Modell“ von rechts an – und weiß zugleich, dass Haseloffs CDU dieses vergiftete Angebot nicht annehmen kann, zumal im Bundestagswahljahr.

„Wir wären bereit, eine CDU-Regierung zu tolerieren, wenn wir unsere Punkte durchsetzen können: kostenfreie Kitas, konsequente Abschiebung, Familienförderung“, so der AfD-Mann. „Aber das wird dauern. Die CDU muss aus Schmerz lernen, dass sie bedeutungslos wird, wenn sie ihre konservativen Wurzeln verrät.“

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Der Bruder des eingangs erwähnten CDU-Landtagsabgeordneten Frank Scheurell namens Volker taucht am Samstag übrigens am Rande einer Kundgebung des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck auf dem Wittenberger Marktplatz auf. Er trägt Handwerkerkluft, hat eine Zigarre in der Hand und führt zwei Schäferhunde mit sich. Der 54-jährige AfD-Kandidat, der ohne aussichtsreichen Listenplatz das Direktmandat holen muss, sagt: „Ich kann nur gewinnen. Verlieren kann nur Herr Haseloff.“

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Der Ministerpräsident ist in Wittenberg einer seiner Gegenkandidaten.

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