Nach Olympiaskandal: Japan debattiert über Sexismus
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Nach dem Sexismusskandal hat das Nationale Olympische Komitee Japans eine neue Vorsitzende: Seiko Hashimoto folgt Yoshiro Mori, der nach sexistischen Äußerungen zurückgetreten war. Die Debatte über Sexismus in der japanischen Gesellschaft geht aber weiter.
© Quelle: imago images/Kyodo News
„Die olympische Fackel will ich nicht mehr tragen.“ Sinngemäß mit diesen Worten schrieb Shinji Tsubokura vor einigen Tagen die Organisatoren der Spiele von Tokio an. Der 57-Jährige aus Fukushima hatte sich auf seinen Einsatz gefreut und sich extra um die Aufgabe beworben, ab Ende März für ein paar Meter die olympische Fackel auf ihrem Weg in die japanische Hauptstadt zu tragen, wo am Abend des 23. Juli die Olympischen Spiele eröffnet werden sollen. Aber mit diesem symbolträchtigen Ritual würde Shinji Tsubokura eben auch die Positionen der Verantwortlichen mittragen, findet er. Und das will er nicht mehr.
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Tokio: Ein Mann mit einem Mund-Nasen-Schutz geht in der Nähe der im Wasser schwimmenden olympischen Ringe im Stadtteil Odaiba.
© Quelle: Eugene Hoshiko/AP/dpa
Seit Anfang Februar empfinden viele Menschen in Japan ähnlich. Dabei geht es nicht darum, dass eine Mehrheit der Bevölkerung ohnehin dagegen ist, die Olympischen Spiele diesen Sommer inmitten der Pandemie abzuhalten. Zu jener riesigen Kontroverse ist eine weitere dazugekommen, die das größte Sportereignis der Welt in dem ostasiatischen Land noch unbeliebter gemacht hat: Yoshiro Mori, bis dahin Vorsitzender des Tokioter Organisationskomitees, hat sich in den Augen vieler Menschen als Sexist offenbart.
Mori wollte zunächst nicht zurücktreten
Konkret geht es um Folgendes: Während Japans Olympisches Komitee beschlossen hatte, den Anteil von Frauen auf 40 Prozent erhöhen zu wollen, war vom 83-jährigen Mori die Bemerkung gekommen: „Wenn viele Frauen in einem Komitee sitzen, braucht es für die Diskussionen viel Zeit.“ Seit dies öffentlich wurde, befindet sich das Land, in dem die Diskussionskultur ansonsten eher zurückhaltend ist, in einer Art Aufruhr. Binnen drei Tagen wurden für eine Onlinepetition, die Moris Rücktritt forderte, 100.000 Unterschriften gesammelt. Und eine Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo ergab, dass 60 Prozent den ehemaligen Premierminister Mori für sein aktuelles Amt für ungeeignet hielten.
Aufregung ist in allen Ecken zu hören und zu spüren gewesen. Mori aber wollte zunächst nicht zurücktreten. Auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz sagte er eine Woche nach seinem Aufreger bloß: „Ich möchte diese Aussage zurücknehmen.“ Nur schien das kaum noch jemanden zu interessieren. Selbst das Internationale Olympische Komitee (IOC), das seine Ausrichterpartner ansonsten lieber lobt (und höchstens kritisiert, wenn es um nicht fertiggestellte Wettkampfstätten geht), bezeichnete Moris Äußerung als „absolut unangemessen“. Mittlerweile ist Mori dann doch zurückgetreten.
Dabei hat sich in Japan, wo angesichts weiter steigender Infektionszahlen inmitten der Pandemie und oftmals unentschlossener Reaktionen durch die Regierung derzeit viel Unmut herrscht, der Protest gegen notorischen Sexismus ausgebreitet. Auch Tokios Gouverneurin Yuriko Koike, die zwar nicht Moris Partei angehört, wohl aber zum konservativen Flügel des Landes gerechnet wird, hatte angekündigt, sie würde Meetings der Olympiaorganisatoren, bei denen auch Mori erscheinen würde, boykottieren. Im nationalen Parlament in Tokio trugen weibliche Abgeordnete zuletzt auch weiße Kleidung – in Anlehnung an die Frauenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts, als ein Frauenwahlrecht gefordert wurde. Einige Männer trugen dementsprechend weiße Rosen am Revers.
Besonders heftige Reaktionen riefen Moris Äußerungen in jener Szene hervor, in der er einer der wichtigsten Männer gewesen ist: im Sport. Die japanische Tennisspielerin und dreimalige Grand-Slam-Siegerin Naomi Osaka, die ein Gesicht der olympischen Werbekampagne ist, nannte ihn „ignorant“. Kaori Yamaguchi, Mitglied des japanischen Olympischen Komitees, bezeichnete Moris Zögern bis zum Rücktritt als eine Eigenschaft von Diktatoren. Und von den Zehntausenden Volunteers, die im Sommer die Spiele als freiwillige Helfer unterstützen sollen, erklärten jüngst mehr als 500, dass sie nicht weiter zum Einsatz bereit seien.
Wird jetzt, da Mori weg ist, alles anders?
Wird jetzt, da Mori weg ist, alles anders? Bis auf Weiteres wohl kaum. Und dies liegt nicht nur daran, dass die Nachfolge für den Posten des Chefolympiaorganisators sich auch erst bewähren muss. In Japan regt man sich über viel mehr auf als über eine Äußerung eines Sportfunktionärs. Dessen Satz selbst dürfte viele Menschen eigentlich nicht überrascht haben. Mori, der in den Jahren 2000/2001 Premierminister war, ist immer wieder durch sexistische Statements aufgefallen. Im Wahlkampf unterstellte der konservative Ex-Politiker der Opposition schon mal, dass diese ihre Kandidatin nur wegen deren schöner Figur aufgestellt habe. Alten Frauen, die kinderlos geblieben waren, hätte Mori einst gern die Sozialhilfe aberkannt – da diese sich ja nicht durch Kindererziehung nützlich gemacht hätten.
Wobei Mori, der der in Japan übermächtigen Liberaldemokratischen Partei angehört, nicht der Einzige ist, der sich so äußerte. Angesichts niedriger Geburtenraten in Japan bezeichnete dessen Parteikollege und Gesundheitsminister Hakuo Yanagisawa 2007 Frauen als „Gebärmaschinen“, die leider nicht genügend produktiv seien. Als vor drei Jahren auch in Japan eine #MeToo-Debatte aufkam und einem Beamten im Finanzministerium sexueller Missbrauch gegenüber einer Reporterin vorgeworfen wurde, spielte Finanzminister Taro Aso die Sache runter – mit dem Argument, sexueller Missbrauch sei doch kein Straftatbestand.
Meist sind es ältere Männer, die durch antiquierte Vorstellungen auffallen
Derselbe Taro Aso hatte kurz darauf eine Lösung für das Problem parat: Es wäre doch besser, wenn nur noch männliche Journalisten ins Finanzministerium geschickt würden. Und Asos Parteikollege Tadashi Nagao twitterte im Frühjahr 2018, nachdem mehrere Abgeordnete im Parlament #MeToo-Plakate hochgehalten hatten, ein Foto dieser Frauen und Männer mit dem Kommentar „Sexuelle Belästigung ist etwas, das nicht passieren darf. Jedenfalls für mich sind diese Personen von sexueller Belästigung weit entfernt. Ich erkläre, dass ich niemals irgendeine von ihnen sexuell belästigen werde.“ Der Tweet wurde später gelöscht.
Die Liste solcher Fälle ließe sich fortführen. Und sie würde ein noch deutlicheres Muster geben als das, was sich schon anhand dieser Beispiele zeigt: Meist sind es ältere Männer, die durch antiquierte Vorstellungen von Geschlechterrollen auffallen. Mori ist heute 83 Jahre alt, Yanagisawa war damals 71, Aso war 77, Nagao 55. Zudem wiederholen sich die Reaktionen, sobald es zu öffentlicher Empörung kommt. Die Äußerungen werden runtergespielt, man spricht von einem Missverständnis, distanziert sich halbherzig vom Gesagten. So war es jetzt auch mit Mori. Er sei falsch verstanden worden, und für die große öffentliche Empörung seien die Medien verantwortlich. Als wäre er ein Einzelfall gewesen.