Die gespaltenen Staaten von Amerika
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Demonstranten der Black-Lives-Matter-Bewegung und Gegendemonstranten diskutieren während eines Protests in Yorba Linda, Kalifornien, miteinander. Die Polizei löste die Veranstaltung schließlich auf und räumte die Straßen.
© Quelle: Mindy Schauer/The Orange County
Der Handschlag blieb Präsident Donald Trump und seinem Herausforderer Joe Biden wegen des Coronavirus bei der ersten TV-Debatte erspart. Die Geste hätte aber auch nichts an der Feindseligkeit beim Fernsehduell geändert, die sich am Dienstagabend (Ortszeit) in Cleveland schon in den ersten Minuten Bahn bricht und wie ein roter Faden durch die gut 90 Minuten zieht. Der Republikaner Trump und der Demokrat Biden sparten nicht mit Beleidigungen.
Immer wieder blickten die Amerikaner an diesem Abend auf zwei Gesichter auf einem elektronisch geteilten “Split Screen” – obwohl sich Trump und Biden zur gleichen Zeit auf der gleichen Bühne befanden. Die Corona-Regeln schrieben einen großen Abstand vor, und die Regie hatte offenbar keinen Ehrgeiz, beide öfter mal in nur einem Bild zu zeigen.
In Richtung Realsatire allerdings glitt dann alles ab, wenn auf dem geteilten Schirm beide gleichzeitig redeten: Es war, als liefen zwei Filme gleichzeitig.
Droht den USA die nationale Krise?
Zu besichtigen war, 90 Minuten lang, das Sinnbild einer politischen Spaltung der USA, wie es sie in dieser Tiefe noch nie gegeben hat. Alle senken vor dem Wahltag am 3. November einfach nur die Hörner – und bekunden ihren Hass auf die jeweils andere Seite.
In einer Umfrage für die “Washington Post” sollten dieser Tage Trump-Anhänger eine Frage beantworten: Wäre ein Sieg Bidens einfach nur eine politische Niederlage der Republikaner – oder geriete dann die ganze Nation in eine Krise?
Ergebnis: Eine breite Mehrheit von 59 Prozent sieht das Land in diesem Fall in eine Krise schlittern.
Die Gegenprobe beeindruckte die Demoskopen sogar noch mehr: Sogar 70 Prozent der Biden-Anhänger sehen für den Fall eines Trump-Wahlsiegs einen nationalen Krisenfall kommen.
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Demonstranten protestieren in Manhattan gegen Donald Trump.
© Quelle: imago images/Pacific Press Agency
Eine Düsternis wie noch nie
Nie zuvor plagte die Amerikaner ein solcher Mix aus Feindseligkeit und Düsternis. Jahrzehntelang hatten sich die Wahlkämpfe in den USA noch immer in Richtung Mitte ausgerichtet.
Der Demokrat Jimmy Carter etwa, idealistischer Menschenrechtsfreund aus Georgia, wollte bei seinen lässigen “Town Hall Meetings”, erfunden in den Siebzigern, auch Leute aus der Geschäftswelt beeindrucken, die ihn misstrauisch beäugten.
Der Republikaner Ronald Reagan, ein Konservativer, wie er im Buche steht, pries in den Achtzigern auffallend oft den Fleiß von Einwanderern: Ohne sie, das war sein Credo, verliere Amerika seine Innovationskraft. Und für beide war klar: Die USA müssen für den Rest der Welt ein freiheitlicher, demokratischer Hoffnungsort sein, “die leuchtende Stadt auf dem Berg”.
Trump hat inzwischen das Licht ausgemacht. Erstmals sitzt jetzt ein Präsident im Weißen Haus, dem Freiheit und Demokratie nicht mehr wichtig sind. Journalisten etwa bezeichnete Trump mehrfach als “Volksfeinde”. Allen Ernstes würdigte er jüngst vor johlenden Anhängern das gewaltsame Vorgehen der Polizei in Minneapolis gegen einen CNN-Reporter als einen “wunderschönen Anblick”.
“Wir stehen bereit, Sir”
Trump probiert es jetzt mit einer brachialen Machtprobe von rechts – und schreckt dabei, auch das ist eine historische Premiere, nicht davor zurück, gewaltbereiten Radikalen die Hand zu reichen.
Ausdrücklich wollte Moderator Wallace in der Fernsehdebatte wissen, ob Trump bereit sei, Rassisten und rechte Milizen zu verurteilen und sie zur Zurückhaltung aufzurufen. Doch der Präsident nahm dies im Gegenteil zum Anlass, sich mit ermutigenden Botschaften an eine rechtsextreme Gruppe zu wenden.
Wörtlich sagte Trump: “Proud Boys, haltet euch zurück und haltet euch bereit (stand back and stand by)! Ich sage euch etwas: Irgendjemand muss etwas gegen die Antifa und die Linken unternehmen.”
Da merkten viele auf: Moment mal, hat da gerade der Präsident der Vereinigten Staaten seine Nähe zu Rechtsradikalen bekundet?
Viele mochten es kaum glauben – aber genau so kam in deren Kreisen die Botschaft an. “Proud Boys”-Anhänger feierten Trumps Äußerungen als “historisch”. In Tweets war zu lesen: “Wir stehen bereit, Sir.”
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Aufmarsch von rechtsextremen Proud Boys in Portland, Oregon.
© Quelle: John Locher/AP/dpa
Eine Abstimmung über die Demokratie
Bereit zu was? Von einem wahnwitzigen Vorgang sprechen Beobachter weltweit. Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel, Chef der Atlantik-Brücke in Deutschland, konnte es kaum fassen: “Trump spielt mit rechtsradikalen Gewalttätern.” Die “Bürgerkriegsrhetorik” des US-Präsidenten, warnt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin, bedrohe mittlerweile die US-Demokratie. “Auch über sie wird am 3. November abgestimmt.”
Tatsächlich erscheint Trump immer stärker als einer, der an Chaos interessiert ist – um sich dann als der Gebieter zu inszenieren, der Recht und Ordnung bringt. Ob zuerst Linke Gewalttaten verüben oder Rechte, ist für dieses Szenario egal.
Ende August hatte Trumps damalige Beraterin Kellyanne Conway im Sender Fox News gesagt, Ausschreitungen würden bei der Wahl am 3. November dem Präsidenten nutzen. “Je mehr Chaos und Anarchie und Vandalismus und Gewalt herrscht, desto besser ist es für die sehr klare Wahl, wer am besten bei öffentlicher Sicherheit und Recht und Ordnung ist.”
“Schlimmer als Watergate”
Betrachtet Trump inzwischen nächtliche Zündeleien mit klammheimlicher Freude? Die Unsicherheiten wachsen. Dass Trump immer wieder offen lässt, ob er das Wahlergebnis akzeptiert, fördert ebenfalls apokalyptische Fantasien.
Der Kolumnist Thomas L. Friedman schrieb soeben in der “New York Times”, Trump habe inzwischen genug Warnungen gesendet, die Amerikaner müssten jetzt endlich reagieren: “Unsere Demokratie ist in Gefahr – mehr als in den Zeiten von Bürgerkrieg, Pearl Harbor, Kubakrise und Watergate.”
Constanze Stelzenmüller, Expertin für das deutsch-amerikanische Verhältnis in der Denkfabrik Brookings in Washington, warnt indessen die Deutschen davor, mit dem Finger auf die USA zu zeigen. “Ich muss den Amerikanern Deutschland erklären, seit sechs Jahren beobachte ich den Aufstieg der AfD”, sagte sie am Mittwoch im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die amerikanischen Rechtsextremen seien in ihrem Denken, Sprechen und Handeln keineswegs grausamer als die deutschen Rechtsextremen. “Die harte Rechte in Deutschland und Europa ist genauso bösartig wie die harte Rechte in den USA”, sagt Stelzen.