Klägerin ist „erleichtert“: Das sind die Reaktionen auf die Entscheidung zur Triage

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, der Bundestag müsse „unverzüglich“ Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen im Fall einer Triage treffen, also wenn Ärzte entscheiden müssen, wen sie angesichts knapper Ressourcen retten und wen nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, der Bundestag müsse „unverzüglich“ Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen im Fall einer Triage treffen, also wenn Ärzte entscheiden müssen, wen sie angesichts knapper Ressourcen retten und wen nicht.

Trier/Karlsruhe/Berlin. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Triage und zum Schutz von Menschen mit Behinderungen hat sich Klägerin Nancy Poser in Trier „erleichtert“ gezeigt. „Wir sind alle erleichtert. Für mich als Juristin war es sehr wichtig gewesen zu wissen, dass man sich auf die Verfassung verlassen kann“, sagte die Richterin am Amtsgericht Trier am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Die 42-Jährige hatte mit acht weiteren Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen Verfassungsbeschwerde eingelegt.

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Freude verspüre sie nach dem Richterspruch nicht. „Freude kann man nicht sagen, denn es geht um Triage. Das ist ein Thema, da kann es keine Freude geben – egal nach welchen Kriterien entschieden wird, es ist immer tragisch“, sagte die 42-Jährige, die an einer spinalen Muskelatrophie leidet. Aber eben Erleichterung: „Weil das Grundgesetz Menschen mit Behinderungen schützt und das Verfassungsgericht auch in Anbetracht dieser Krisensituation die Grundrechte von Menschen mit Behinderungen wahrt.“

Poser sagte: „Wir hoffen, dass der Gesetzgeber da schnell tätig wird und Regelungen trifft zu unserem Schutz“. Triage sei immer tragisch, „aber es ist was anderes, ob dabei auch noch Menschen diskriminiert werden aufgrund ihrer Behinderung“, sagte sie. Das Verfassungsgericht habe „hier ganz klar festgestellt, dass der Gesetzgeber seine Schutzpflicht verletzt hat“. Poser sitzt im Rollstuhl und lebt mit Assistenz.

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte den Beschluss „ausdrücklich“. Bei Twitter schrieb der SPD-Politiker am Dienstag weiter: „Menschen mit Behinderung bedürfen mehr als alle anderen des Schutzes durch den Staat. Erst Recht im Falle einer Triage. Jetzt aber heißt es, Triage durch wirksame Schutzmaßnahmen und Impfungen zu verhindern.“

Abgeordnete und Regierung wollen schnell handeln

Die Bundesregierung will nun „zügig“ einen Entwurf zum Schutz von Menschen mit Behinderung im Falle einer sogenannten Triage-Situation vorlegen. Das kündigte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Dienstag über den Kurznachrichtendienst Twitter an. Das erste Ziel müsse sein, dass es erst gar nicht zu einer Triage komme, erklärte er. „Wenn aber doch, dann bedarf es klarer Regeln, die Menschen mit Handicaps Schutz vor Diskriminierung bieten.“

Die Bundestagsfraktionen wollen aktiv werden. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sprach am Dienstag von einem „klaren Auftrag an uns als Gesetzgeber“. Er verwies darauf, dass die Richter dem Gesetzgeber einen Spielraum zubilligten. „Diesem klar umrissenen Handlungsauftrag sollten wir jetzt zügig, aber mit der gebotenen Sorgfalt nachkommen.“ SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt erklärte, das Thema sei bereits im vergangenen Jahr diskutiert worden, und der Beschluss könne nun schnell umgesetzt werden.

FDP-Vizechef und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki begrüßte den Beschluss ebenfalls. „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist rechtlich nachvollziehbar, da nach der Wertentscheidung unseres Grundgesetzes Fragen von Leben und Tod durch den Gesetzgeber entschieden werden müssen und nicht durch private Übereinkunft“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Mittwoch). „Dass die Union, die den Bundesgesundheitsminister in der vergangenen Legislaturperiode stellte, hier über anderthalb Jahre nicht tätig geworden ist, passt leider ins Bild einer lediglich auf Kurzfristigkeit ausgelegten Corona-Politik unter Kanzlerin Merkel.“

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann schrieb auf Twitter: „Es ist an uns als Gesetzgeber, Vorkehrungen zu treffen. Jetzt wird im Bundestag eine sorgfältige Prüfung & Erörterung nötig sein, wie dies gestaltet werden kann.“

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Was die Antidiskriminierungsstelle sagt

Der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, erklärte am Dienstag in Berlin, für Menschen mit Behinderung sei die Entscheidung ein sehr wichtiges Signal: „Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden.“ Das gelte ausdrücklich auch bei der Zuteilung überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlung. „Der Gesetzgeber sollte nun rasch eine gesetzliche Regelung auf den Weg bringen, die eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderung ausschließt.“

Das Karlsruher Gericht hatte entschieden, der Bundestag müsse „unverzüglich“ Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen im Fall einer Triage treffen, also wenn Ärzte entscheiden müssen, wen sie angesichts knapper Ressourcen retten und wen nicht. Bei der Umsetzung habe der Gesetzgeber Spielräume. (Az. 1 BvR 1541/20)

Das Wort Triage stammt vom französischen Verb „trier“, das „sortieren“ oder „aussuchen“ bedeutet. Es beschreibt eine Situation, in der Ärzte entscheiden müssen, wen sie retten und wen nicht – zum Beispiel, weil so viele schwerstkranke Corona-Patienten in die Krankenhäuser kommen, dass es nicht genug Intensivbetten gibt.

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RND/dpa/epd

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