Neustart und Aufbruch mit den USA zum Abschied von Merkel
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US-Vizepräsidentin Kamala Harris heißt Kanzlerin Angela Merkel willkommen.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Ihre Gratulation zum Wahlsieg fiel kühl und zweifelnd aus. Dem 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten bot Angela Merkel im November 2016 eine enge Zusammenarbeit auf der Basis von „Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung“ an.
Konservative in Deutschland und Amerika empfanden es als belehrend und anmaßend, dass die Kanzlerin ausgerechnet dem gewählten Präsidenten der altehrwürdigen Demokratie USA diese Bedingung stellte, die nach dem Zweiten Weltkrieg der Bundesrepublik den Weg zu Recht und Freiheit geebnet haben. Wie recht sie aber mit ihrer Einschätzung schon damals hatte, bestätigten die folgenden vier Jahre.
Mochte er auch der mächtigste Mann der Welt sein, hielt ihn die mächtigste Frau der Welt selbstbewusst auf Distanz. Einmal kam Trump in seiner Amtszeit nach Deutschland, zum G20-Gipfel nach Hamburg. Keinmal empfing sie ihn im Kanzleramt.
2019, obwohl ganz nah, machte Merkel einen Bogen um Washington und flog nur nach Boston. Dort verlieh ihr die Harvard University die Ehrendoktorwürde, und die Kanzlerin hielt eine Vermächtnisrede. Lügen dürfe man nicht Wahrheiten nennen und Wahrheiten nicht Lügen, sagte sie. Es wurde auf den Lügner Trump gemünzt. Und dieser Satz: „Das Alte gehen zu lassen ist die Voraussetzung für das Neue.“
Vier US-Präsidenten und eine Bundeskanzlerin
Nach der Bundestagswahl im September tritt Europas dienstälteste Regierungschefin selbst ab. „Demokratie lebt vom Wechsel“, hatte sie zum Abschied von Barack Obama aus seinem Amt gesagt. Mit dessen Vorgänger George W. Bush und nun Joe Biden hat sie in ihrer Kanzlerschaft vier US-Präsidenten erlebt und das deutsch-amerikanische Verhältnis über 16 Jahre geprägt. Bei Republikanern war sie vor Trump geachtet und durch ihn verhasst, bei Demokraten beliebt und für US-Medien die Führerin der freien Welt. Merkel hat Deutschland gerade in Amerika Respekt und Anerkennung verschafft und damit emanzipiert.
Nun liegt es kaum mehr in ihrer Hand, mit Biden etwa den Konflikt um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 auszuräumen oder eine einvernehmliche Balance zwischen Härte und Partnerschaft mit China zu finden. Das ist auch nicht das Entscheidende dieses sicherlich letzten Arbeitsbesuches der Kanzlerin in Washington. Wichtig für Biden ist Merkels Einschätzung, was nach ihr kommt. Was aus Deutschland und damit aus dem Verhältnis zu Amerika wird.
Gleich, ob der Christdemokrat Laschet, die Grünen-Politikerin Baerbock oder der SPD-Mann Scholz die eigene Kanzlerkandidatur ins Kanzleramt bringt – alle drei stehen für transatlantische Verlässlichkeit und eine Zusammenarbeit mit Biden, die den Vertrauensverlust durch die Trump-Administration wieder wettmachen soll. Immerhin ist nach einer Forsa-Studie gut ein Drittel der Bundesbürgerinnen und -bürger der Auffassung, Deutschland sollte sich von den USA unabhängiger machen.
Merkel hat Amerika trotz ihrer Abneigung gegen Trump immer als wichtigsten Partner Deutschlands gesehen, aber den Weg beschritten, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Der im eigenen Land unter Druck stehende Biden wird das nutzen. Er wird das brauchen.
Besonders gespannt war Merkel auf ihr Treffen mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Als erste Frau in diesem Amt und als Kind zweier Einwanderer sieht Merkel sie als Inspiration für viele Menschen, als Beispiel für die Möglichkeiten Amerikas. „Wir sollten uns damit überraschen, was möglich ist“, hatte Merkel 2019 in Harvard gesagt. Harris ist Zukunft, Merkels Kanzlerschaft ist bald Vergangenheit. Sie selbst sieht das ja als Voraussetzung für das Neue. Das gilt auch für das deutsch-amerikanische Verhältnis.