„Nur halber Schritt“ und „Nicht mal Inflationsausgleich“: Reaktionen auf neues Entlastungspaket
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Ein Mann sitzt an einem Tisch und zählt Geld. (Symbolbild) .
© Quelle: Lino Mirgeler/dpa
Die Ampelkoalition hat ein neues Entlastungspaket angekündigt. Enthalten sind unter anderem Einmalzahlungen auch für Rentner und Studierende, eine Erhöhung des Bürger- und Kindergeldes und viele steuerliche Entlastungen. Doch nicht alle sind damit zufrieden – wie die Reaktionen darauf zeigen:
Verdi-Chef Werneke: Entlastungspaket „nur halber Schritt“
Verdi-Chef Frank Werneke hat das Entlastungspaket der Bundesregierung als „nur halben Schritt“ bezeichnet. „In der Umsetzung ist insbesondere eine wirksame Preisbremse für Strom und Gas wesentlich. Daran werden wir als Verdi die Koalition messen“, sagte Werneke dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Ampeleinigung: Drittes Entlastungspaket umfasst mehr als 65 Milliarden Euro
Um Haushalte bei den Strompreisen zu entlasten, soll unter anderem eine Strompreisbremse eingeführt werden.
© Quelle: Reuters
Überfällig sei, dass jetzt auch Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende Einmalzahlungen von 300 Euro bzw. 200 Euro erhalten sollen. Ein höherer Wohngeldzuschuss sei richtig – es sei aber keine angemessene Lösung, Beschäftigte mit eher geringen Einkommen regelmäßig zu Wohngeldempfängerinnen und ‑empfängern zu machen. „In dem Maßnahmenpaket fehlen daher weitere direkte Zahlungen für Menschen mit mittleren und eher niedrigen Einkommen. Hochverdiener werden durch die Steuerpläne stattdessen mit bis zu 1000 Euro entlastet“, kritisierte Werneke.
Erfreulich sei, dass der Bundesfinanzminister plötzlich neue Spielräume in Milliardenhöhe im Bundeshaushalt entdeckt habe, sagte Werneke weiter. „Am Fetisch der Schuldenbremse festzuhalten, ist dennoch völlig unverständlich.“ Keinesfalls dürfe daraus eine Belastung für die Sozialversicherungen entstehen. „Die geplante Anhebung der Midi-Job-Grenze auf 2000 Euro führt zu geringeren Sozialabgaben – diese müssen aus dem Bundeshaushalt ausgeglichen werden.“
Paritätischer Wohlfahrtsverband fordert Nachbesserungen beim Hartz‑IV-Regelsatz
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, hat mit Blick auf das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung zum Inflationsausgleich eine anhaltende soziale Schieflage beklagt. „In diesem Entlastungspaket werden Fehler korrigiert, indem nun auch Rentner und Studierende berücksichtigt werden“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Zu begrüßen ist die geplante Wohngeldreform zum 1. Januar. Das ist ein überfälliger Schritt.“
Schneider beklagte allerdings vehement, dass der Hartz‑IV-Regelsatz erst zum Jahresbeginn auf voraussichtlich 500 Euro angehoben werden soll. „Dass die Ärmsten bis dahin gar nichts kriegen sollen, geht gar nicht“, sagte er dem RND. Außerdem bleibe es auch dann bei einer sozialen Schieflage. Denn die Erhöhung sei ja „nicht einmal ein Inflationsausgleich und deshalb überhaupt nicht akzeptabel. Da werden wir Nachbesserungen einfordern müssen.“
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nannte das Vorhabe einen großen Schritt und eine „ganz wichtige Entscheidung“.
„Vage“ und „mager“: Opposition kritisiert Entlastungspaket
Das geplante dritte Entlastungspaket der Ampelkoalition stößt auch bei den Oppositionsparteien im Bundestag auf Kritik. „Das ist mehr ein Arbeitsprogramm für die Regierung als ein sofort wirkendes Entlastungspaket für die Bürger“, sagte Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) am Sonntag dem Nachrichtenportal „T‑Online“. Bei vielen wichtigen Punkten gebe es neben Überschriften nichts Konkretes – und beim laut Spahn größten Problem, dem Gaspreis, gebe es eine Leerstelle: „Hier werden die Menschen mit einer Kommission vertröstet.“
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat die rasche Einberufung einer Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) zum angekündigten neuen Entlastungspaket gefordert. Das Paket habe massive Auswirkungen auf die Länderhaushalte, so der Grünen-Politiker am Sonntag, deswegen müssten die Länder dringend mit dem Bund darüber sprechen.
Wenn die Länder mit bezahlen sollen, müssen sie auch mit entscheiden können.
NRW-Regierungschef Hendrik Wüst (CDU)
Auch der aktuelle Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, NRW-Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), pocht auf Bund-Länder-Beratungen zum Thema. „Wenn die Länder mit bezahlen sollen, müssen sie auch mit entscheiden können“, sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Mediengruppe Bayern (Montag). Es gebe noch viele offene Fragen. „Darüber sollte sehr zeitnah bei einer Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler beraten werden.“
Nach Meinung von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat die Ampel-Regierung mit den jetzt beschlossenen Entlastungsschritten Fehler der ersten Pakete korrigiert. „Es gibt Richtiges und Überfälliges“, so der Linke-Politiker. Er sieht in dem dritten Entlastungspaket auch eine Reaktion auf den öffentlichen Druck. Positiv bewertete Ramelow die jetzt vorgesehenen Entlastungen für Rentnerinnen und Rentner sowie eine geplante Strompreisreformen.
Grünen-Chef Nouripour: „Wir werden uns nicht spalten lassen“
Angesichts der stark gestiegenen Energiepreise hat die Bundesregierung ein neues Entlastungspaket von mindestens 65 Milliarden Euro geschnürt.
© Quelle: Reuters
Ramelows Parteifreund Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag, bezeichnete das Paket dagegen als „vielfach enttäuschend“. Deutschland sei damit nicht gut gerüstet für den Winter, sagte Bartsch „T‑Online“. „Die Pläne werden die Verarmungslawine, die im Winter über Deutschland rollen könnte, nicht verhindern.“
AfD-Parteichef Tino Chrupalla kritisierte die geplanten Maßnahmen laut einer Mitteilung als „kostspielige Symptombekämpfung“. Alle Entlastungsmaßnahmen seien nur kurzfristige Lösungen, solange die Ursachen der Preisexplosion nicht angegangen würden. „Statt staatlicher Umverteilung und planwirtschaftlicher Eingriffe braucht es gezielte Entlastung bei den Verbrauchssteuern auf Lebensmittel und Energie sowie die Abschaffung der CO₂‑Abgabe.“
Ökonomen loben Entlastungspaket – Kritik an Einzelmaßnahmen
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kritisierte es etwa als enttäuschend: „Die Ausweitung des Sozialstaates kann keine Antwort auf eine Kosten-Steigerung der Energiepreise auf dem Weltmarkt sein.“ DGB-Chefin Yasmin Fahimi bezeichnete das Paket dagegen als „insgesamt beeindruckend“.
Mehrere Wirtschaftswissenschaftler haben das geplante dritte Entlastungspaket der Ampelkoalition gelobt. Für einzelne Maßnahmen gab es jedoch auch Kritik. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm aus dem Sachverständigenrat der Bundesregierung stellte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die zielgerichtete Unterstützung besonders belasteter Gruppen wie Rentner und Studierende heraus. Zuschüsse bekämen vor allem Menschen, die Härten selbst nicht abfedern können.
Die geplanten Maßnahmen am Strommarkt sowie zum Schutz besonders belasteter Gaskunden seien aber noch zu wenig konkret, sagte Grimm. Bei der Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“ dürfe man nicht über das Ziel hinausschießen, um Investitionen nicht unattraktiv zu machen. „Diese Investitionen brauchen wir dringend, um die Energiekrise mittelfristig zu überwinden.“
Ifo-Präsident Clemens Fuest sagte der „Bild“-Zeitung, das Paket habe Licht und Schatten. Die Regierung sei erkennbar bemüht, Preise und damit Anreize zum Energiesparen wirken zu lassen. Die Unterstützungen seien aber zu wenig zielgenau. „Hier ist man teils mit der Gießkanne unterwegs.“ Die Entlastung bei Strompreisen käme auch Haushalten mit höheren Einkommen zugute. Eine Steuer- und Abgabenfreiheit für Zusatzzahlungen an Beschäftigte bezeichnete er als „nicht sinnvoll“. „Der Staat sollte die Lohnsetzung den Tarifpartnern überlassen.“
Der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien, lobte viele „wichtige und sinnvolle“ Einzelmaßnahmen in dem Paket – etwa die gezielte Unterstützung für Rentnerinnen, Rentner und Studierende, die Erhöhung des Kinder- und die Anpassung des Bürgergelds. Damit würden einige Gerechtigkeitslücken geschlossen.
RND mit dpa