Windkraftausbau – wenn alle am Rad drehen, ist Mediation gefragt
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Zeit, dass sich was dreht: Die meisten Deutschen sind aufgeschlossen für die Energiewende, aber zugeknöpft, wenn die riesigen Räder vor die eigene Haustür kommen sollen.
© Quelle: IMAGO/penofoto
Unklar ist derzeit, wie es mit dem Mindestabstand zwischen Windrädern und Wohngebäuden weitergeht. An und für sich sind die meisten Deutschen dafür, dass sich auf dem Land was dreht. Laut einer Forsa-Umfrage sprechen sich 80 Prozent für den Windkraftausbau zu Land aus. Nur sollen die Windräder bitte nicht vor der eigenen Haustür in den Himmel ragen. Werden in der eigenen Flur Windkraftanlagen geplant, führt das oft zu Streit in Gemeinden. Dann sind Mediatoren und Mediatorinnen gefragt. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sprach mit den Mediatorinnen Emanuela Boretzki und Wiebke Heider vom Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) über ihre Aufgaben. „Das ist Friedensarbeit“, weiß Wiebke Heider.
Frau Heider, Frau Boretzki, was erleben Sie, wenn Sie als Mediatorinnen, als Vermittlerinnen, zu einem Windkraftprojekt gerufen werden?
Boretzki: Stellen Sie sich einen Scherbenhaufen vor. Wenn wir gerufen werden, vom Bürgermeister, einer Bürgerinitiative oder von wem auch immer, liegen Scherben überall, ist das Kind in den Brunnen gefallen. Wir kommen in eine Gemeinde, die uns gerufen hat, weil sie dort nicht mehr weiterwissen. Wir müssen uns dann ein genaues Bild machen. Wie weit ist das Genehmigungsverfahren fortgeschritten? Gibt es schon Klagen, stehen Klagen kurz bevor? Aufklärung ist unsere Aufgabe, alle Informationen zu sammeln, die bislang nicht geflossen sind, und sie für alle Betroffenen auf den Tisch zu legen.
Heider: Haben Sie das Buch „Unterleuten“ von Juli Zeh gelesen? Da geht es um eine Windkraftanlage in einem kleinen Dorf in Brandenburg. Die ist der Funke, der viele alte Konflikte entzündet. Und bis auf den tödlichen Schluss erleben wir das Gleiche täglich.
„Man hat die Hoffnung, es möge den anderen treffen“
Warum muss das Kind überhaupt in den Brunnen fallen? Sind die Planungen von Windkraftanlagen nicht so früh bekannt, dass Bürger und Bürgerinnen von Anfang an mitreden können?
Heider: Am Anfang, wenn Mitwirkung an der Regionalplanung gut möglich wäre, sind die Planungen noch sehr vage. Der Planungskorridor ist breit, oft sind mehrere Gemeinden einbezogen, man weiß gar noch nicht, wo die Anlagen genau stehen werden. Anfangs interessiert so ein Projekt die Leute deshalb nicht. Es gilt das St.-Floriansprinzip, man hat die Hoffnung, es möge den anderen treffen. Erst, wenn keine Mitwirkung mehr möglich ist, werden die konkreten Grundstücke bekannt, auf denen gebaut wird. Und erst wenn die Planung ihr eigenes Grundstück betrifft, werden die Leute hellhörig und gehen auf die Barrikaden. Und das polarisiert dann die Gemeinden.
Was ist den Befürwortern wichtig, was führen die Gegner ins Feld?
Boretzki: Befürworter stehen oft für den Klimaschutz – möchten, dass diesbezüglich auch etwas vor der eigenen Tür passiert. Dafür sind „beteiligte“ Personen oder Gruppen – das Geldthema ist ein großes. Wenn Strom zu bekommen ist – Stichwort: „dezentrale Versorgung“, vielleicht auch günstiger –, gehen auch viele mit. Für die Gegner sind Landschaftsbild und Naturschutz oder Vogelschutz ein großes Thema. Windkraftanlagen müssen erschlossen sein, sie müssen von den Hauptstraßen auch für die Feuerwehr erreichbar sein. Das führt über Wege, die zum Teil auch Privatpersonen gehören. Die können eine Anlage auch über das Wegerecht verhindern.
Wie weit geht das Streiten qualitativ?
Boretzki: Es gibt unter anderem auch Drohungen – mehr haben wir zum Glück noch nicht erlebt. Für unsere Veranstaltungen lassen wir uns das Hausrecht geben, um Störer entfernen zu lassen oder die Polizei rufen zu können.
Öffentlich nimmt man meist nur die gegnerischen Bürgerinitiativen wahr.
Heider: Bürgerinitiativen sind sehr laut, wahnsinnig gut aufgestellt und in Deutschland oft auch gut miteinander vernetzt. Dagegen, das erlebt man oft, tun sich die Befürworter nicht zusammen, weil sie ja nicht gegen etwas kämpfen. Und dadurch hört man sie deutlich weniger. Um herauszufinden, wie viele in einem Ort für oder gegen eine Windkraftanlage sind, wären anonyme Umfragen ein mögliches Mittel. Anonym deshalb, damit niemand einem anderen den Stift führen kann.
„Weil die Anlagen immer größer werden, müssen auch die Abstände größer werden“
Erwarten Sie einen Ansturm, sollte der von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Mindestabstand zwischen Gebäuden fallen, um die 2 Prozent Fläche Deutschlands für Windkraft zu erhalten?
Heider: Eine Landesenergieagentur hält die ganzen derzeitigen Diskussionen für Dampfplauderei. Weil die Anlagen immer größer werden, müssen die Abstände zu Häusern eher auch immer größer werden. Schon wegen der Problematik des Schlagschattens.
Wie läuft eine Mediation ab?
Heider: Wir gehen erst zu jeder einzelnen Konfliktpartei. Und wenn es 35 Parteien sind, gehen wir zu jeder einzelnen und hören sie an. Die fordern wir auch erst mal auf, richtig Dampf abzulassen. Wir sagen: „Wir sind eure Blitzableiter.“ Das tut denen richtig gut. Und dann sieht man schnell, dass die Gruppen gar nicht so homogen sind. Da findet sich in der Bürgerinitiative für den Rotmilan beispielsweise auch der Grundbesitzer, der sich ärgert, dass sein Grundstück außerhalb der Vorrangfläche liegt, dass die anderen mitverdienen und er nicht. Man lernt sich so kennen, wir erweitern unser Wissen, verstehen den Menschen, wir gewinnen Vertrauen. Und durch unsere Neugier, unsere Fragen, werden die Leute nachdenklich, wo sie wirklich stehen. Oft ist es ja so: Der ist dagegen – also bin ich auch dagegen.
Und dann führen Sie die Gruppen zusammen?
Boretzki: Genau. Meistens geschieht das in vier bis fünf Sitzungen. Die erste dient dem Beschnuppern, ab der zweiten geht es dann durch unsere Themenliste aus den Vorgesprächen. In den Sitzungen sitzt dann auch nicht die ganze Bürgerinitiative, sondern zwei Vertreter. Alle Parteien sind gleichberechtigt und in gleicher Anzahl an einem runden Tisch.
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Der Turm für eine neue Windkraftanlage wird in einem bestehenden Windpark in der Nähe von Wismar errichtet. Die Bundesregierung strebt für einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien an, dass künftig 2 Prozent der Landesfläche für Windenergie an Land ausgewiesen werden. Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa
© Quelle: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dp
Wie geht eine Mediation gemeinhin aus?
Boretzki: Vorher haben die Gruppen nur übereinander gesprochen. Danach reden sie wieder miteinander.
Heider: Manchmal wird auch schon an Ort und Stelle von allen eine Mediationsvereinbarung unterschrieben. Aber eine Mediation ist immer eine Intervention ins Soziale, die auch Langzeitfolgen hat. Einmal hat eine Mediation, die ich als gescheitert bezeichnet hatte, zwei Jahre später doch zu einem Ergebnis geführt. Weil nach einer Mediation in den Köpfen so viel passiert.
Was sind charakterliche Anforderungen an den Job?
Heider: Man braucht Ambiguitätstoleranz. Man muss die verschiedenen Meinungen aushalten, ohne sie zusammenbringen zu wollen.
Und es wird tatsächlich keine eigene Meinung im Prozess laut? Schwer vorstellbar.
Heider: Die KNE-Moderatoren haben alle mehr als 200 Stunden Ausbildung – 120 sind gesetzlich für zertifizierte Mediatoren vorgesehen. In dieser Mehrzeit wird das von den Ausbildern sehr hartnäckig trainiert, sich abzugrenzen, sich herauszunehmen, kein unbedachtes Wort fallen zu lassen.
„Lösung heißt nicht automatisch, dass die Windräder kommen“
Boretzki: Wir sind keine Meinungsträger. Wir begleiten die Leute nur dabei, ihre Lösung selbst zu finden, gemeinsam eine Vereinbarung zu treffen. Und Lösung heißt nicht automatisch, dass die Windräder kommen. Es kommt auch immer wieder vor, dass man am Ende getrennte Wege geht und nichts entsteht. Manchmal wird unsere Funktion allerdings missverstanden, weil Leute glauben, wir kämen mit einer fertigen Lösung an. Dann kriegen wir auch schon mal Drohungen.
Heider: Da sitzen die Mitglieder einer Initiative am Anfang zuweilen mit verschränkten Armen da und sagen: „Na jetzt überzeugen Sie uns mal.“ Weil sie glauben, wir als Mediatoren müssten „dafür“ sein. Denen sage ich: „Ich komme aus der Bürgerbewegung. Mir liegt nur am Herzen, dass die Bürger mitreden können, dass sie gehört werden und das im Konsens etwas entsteht, wo alle gut mitgehen können.“ Und dann sind wir noch Dolmetscher, weil die Vorhabenträger bei den Veranstaltungen oft ein Deutsch pflegen, das der normale Bürger gar nicht versteht. Hätte ich bei einer Mediation eigene Interessen, dürfte ich den Fall nicht annehmen. Wir sind beide im Bundesverband Mediation e.V. und den Europäischen Richtlinien für Mediation verpflichtet.
Boretzki: Es muss auch eine räumliche Distanz geben, damit ich nicht als Partei wahrgenommen werde. Und sobald ich jemanden am Ort kenne, nehme ich die Mediation nicht an – weil ich dann befangen bin. Dann gebe ich den Auftrag an einen Kollegen oder eine Kollegin weiter. Wir sind ein großer Pool beim KNE – aktuell deutschlandweit verteilt 47 Mediatoren.
Sie haben aber schon eine eigene Meinung zur Windkraft.
Heider: Natürlich. Meine Freunde wissen, wo ich stehe. Das reicht.
Boretzki: Auch bei mir wissen das nur die engsten Freunde. Meine Arbeit ist für mich eine Rolle. Vielleicht ein bisschen wie bei einem Schauspieler. Ein guter Freund, der Anwalt ist, hat mir mal gesagt: „Lass dein Gewissen zu Hause. Ich muss immer wieder Leute vertreten, bei denen ich in der Sache nicht dahinterstehe. Und trotzdem hat derjenige das Recht auf einen Rechtsbeistand.“ So ist es in der Mediation – meine Meinung hat da nichts verloren. Ich setze mir meinen „Mediationshut“ schon ein paar Tage vor der Anreise auf. Und wenn ich dort bin, denke ich gar nicht über mich und meine Meinung nach. Die Menschen, mit denen wir reden, müssen sich dann sicher fühlen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Windkraftprojekte?
Boretzki: Dass Bürger von Anfang an in der Regionalplanung mitgestalten können, zu einem Zeitpunkt, wo noch viel Spielraum ist. Dass auch wir viel früher in die Prozesse hereingeholt werden und sie von Anfang an professionell begleiten. Je früher wir gerufen werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines echten Dialogs.
Sie sind Friedenstifter.
Heider: Genau. Das ist Friedensarbeit.
Mediatoren und Mediatorinnen im Bereich der Windkraft gibt es beim Kompetenzzentrum für Naturschutz und Energiewende (KNE) seit 2017, wie Wiebke Heider sagt. Damals wurden gut ausgebildete Mediatoren und Mediatorinnen gesucht, um eine spezielle Fortbildung zu bekommen, weil das Umweltministerium merkte, „dass bei Energieprojekten immer mehr Konflikte auftauchten“. Aufgabe des 2016 von der damaligen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) eröffneten KNE ist die Versachlichung der Debatten bei umweltbezogenen Themen. Wiebke Heider und Emanuela Boretzki, die oft zusammen Mediationen durchführen, sind hauptberuflich Friedensbringerinnen. Windkraft ist nur ein Bereich ihrer Arbeit.
Zu den Personen:
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Windkraftmediatorin Emanuela Boretzki
© Quelle: Ronny Friedrich
Emanuela Boretzki ist 1980 in Polen geboren und ist zweisprachig in Deutschland aufgewachsen. Sie hat Landschaftsarchitektur und Umweltplanung in Berlin studiert. Seit dem Studium befasst sie sich mit dem Thema der erneuerbaren Energien im Zusammenhang mit der Entwicklung von Kulturlandschaften und der Energiewende.
Seit 2017 ist sie Mitgründerin und Geschäftsführerin der VIER GbR, wo sie als Umwelt- und Baumediatorin, Moderatorin, Personal- und Businesscoach, Supervisorin und Trainerin fungiert. Emanuela Boretzki ist Dozentin an der Technischen Akademie Wuppertal sowie auch an der Technischen Fachhochschule Deggendorf. Außerdem ist Sie Fachgruppenleiterin Planen, Bauen und Umweltschutz im Bundesverband Mediation e.V.
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Windkraftmediatorin Wiebke Heider
© Quelle: Foto-Studio Neumann
Wiebke Heider ist aufgewachsen auf einem Bauernhof in Nordfriesland, Sie hat Betriebswirtschaftslehre (Tourismus, Hotel- und Restaurantmanagement) in München studiert. Heider verfügt über langjährige Erfahrungen als aktive Ehrenamtliche im Agenda-21- und Bürgerbeteiligungsprozessen. Sie ist professionelle Moderatorin und Trainerin, arbeitet in einem Landschaftspflegeverband und ist seit acht Jahren Vorstand im Bundesverband Mediation e.V. Seit 2017 ist Wiebke Heider aktive Mediatorin im Bereich Umweltschutz und Energiewende.
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