Und plötzlich redet alles über Panzer
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Begehrtes Objekt: Ein Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 A7V vom dem Lehrbataillon 93 der Bundeswehr fährt während einer Übung zur Gefechtsaufklärung auf dem Truppenübungsplatz.
© Quelle: Philipp Schulze/dpa
Selbst der gewöhnliche „Tagesschau“-Zuschauer kennt sie mittlerweile alle: den Marder, den Puma – und natürlich den Kampfpanzer Leopard, verniedlichend „Leo“ genannt. Wer besonders gut aufgepasst hat, wird zudem mitbekommen haben, dass Frankreich der von Russland angegriffenen Ukraine jetzt den Radpanzer AMX‑10 liefert, Amerika den Schützenpanzer Bradley, die Briten sogar den Kampfpanzer Challenger 2, deklariert als „ein netzwerkfähiger, digitaler Kampfpanzer mit höchster Durchsetzungsfähigkeit“.
Russlands Krieg hat dazu geführt, dass aus Normalbürgern „Panzerexperten“ geworden sind, die über Kampfpanzer, Schützenpanzer, Flugabwehrpanzer fachsimpeln. Vor allem hat Putins Angriffskrieg dazu geführt, dass eine in der Öffentlichkeit längst totgesagte, 105 Jahre alte Waffengattung, rasselnde Ungetüme gemacht aus Tonnen von Stahl, zu neuer Bedeutung erwacht zu sein scheint.
In den letzten 100 Jahren wurde der Panzer immer wieder totgesagt.
Ralf Raths,
Historiker und Chef des Panzermuseums in Munster
Für den Historiker Ralf Raths war der Panzer nie tot. „In den letzten 100 Jahren wurde der Panzer immer wieder totgesagt: Nach dem Ersten Weltkrieg, weil man glaubte, dass es in künftigen Kriegen keine Gräben mehr gibt, die zu überwinden er ja konzipiert worden war“, so Raths, der als Historiker auch das Deutsche Panzermuseum im niedersächsischen Munster leitet, zum RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
„Nach dem Zweiten Weltkrieg, weil man glaubte, künftige Kriege würden mit Atomwaffen geführt. 1973, weil die panzerbrechenden Lenkraketen eingeführt wurde. Und nach Ende des Kalten Krieges, weil man glaubte, das Ende der Geschichte sei da.“
„Der Panzer war nie weg, er hat nur andere Aufgaben gestellt bekommen“, sagt Raths. Die Vorstellung, dass große Panzerverbände massiert aufeinander zurollen, stammt aus einer Zeit, als die norddeutsche Tiefebene aufgrund ihrer geographischen Beschaffenheit noch als klassisches Panzerschlachtfeld bezeichnet wurde. Dementsprechend wurde die Panzerwaffe auch zur tragenden Säule der (alt)bundesrepublikanischen Landesverteidigung.
Dass die Bundeswehr, die noch Mitte der 80er mit mehr als 7000 Kampf-, Schützen- und sonstigen Panzern 50 Prozent der Nato-Landstreitkräfte stellte, sich von diesen Stahlkolossen fast komplett verabschiedet hat, „basierte auf der damals verbreiteten politischen und gesellschaftlichen Überzeugung, dass man nach Jahren des Kalten Krieges nun endlich die Friedensdividende einfahre – eine Entwicklung übrigens, der alle westlichen Staaten mit Ausnahme der USA folgten und die nun korrigiert wird“, sagt Raths.
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Ralf Raths ist Direktor des Panzermuseums.
© Quelle: Simon Benne
Russland hortete Panzer in fünfstelliger Größenordnung
Heute verfügt die Bundeswehr noch über 266 Panzer. Aus heutiger Sicht ist das sicherlich ein Irrtum, weil Russland gleichzeitig „Panzer in fünfstelligen Größenordnungen hortete“, so Raths, der alles andere als ein „Panzerfan“ ist, sondern als Historiker auf seine linke Herkunft verweist.
Der Panzer ist dabei, an seine alte Bedeutung anzuknüpfen – aber für sehr spezialisierte Aufgaben. „Im Trend sind zum Beispiel Fahrzeuge wie der GTK Boxer, der aus einem achträdrigen Fahrmodul besteht, auf das austauschbare Missionsmodule aufgesetzt werden können. Je nach Bedarf als Transport-, Sanitäts- oder Schützenpanzer zum Beispiel.
Deutsche sehen Panzerlieferungen an die Ukraine mehrheitlich skeptisch
Deutschland und weitere westliche Staaten liefern Panzer an die Ukraine. In einer Umfrage spricht sich eine Mehrheit der Befragten aber dagegen aus.
© Quelle: dpa
Rollende Drohnen, ausgestattet mit KI
In Zukunft werden wir uns mit autonomen, rollenden Drohnen beschäftigen, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz, die dann selbst entscheiden, wo zerstört und getötet wird“, so Raths.
Der amerikanische Bradley und der Marder werden eine spürbare Wirkung auf dem Gefechtsfeld entfalten.
Ralf Raths,
Historiker und Chef des Panzermuseums in Munster
So gesehen erscheint Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine aber wie ein Blick ins vergangene Jahrhundert. „Es ist erschütternd zu sehen, wie handwerklich mangelhaft die russische Armee dabei vorgeht“, sagt der Historiker. „Denn als Instrumente und Maschinen taugen Panzer nur etwas, wenn sie qualifiziert eingesetzt werden. Alle sind überrascht, wie Russland uns über seine angebliche Modernität getäuscht hat.“
Als Experte für diese Waffentechnik glaubt Raths, „dass die Lieferung des Flugabwehrpanzers Gepard sich bislang für die Ukraine als am wertvollsten erwiesen hat, weil er sehr wirksam die Gefahr, die von den iranischen Drohnen ausgeht, entschärft. Von den versprochenen Geräten glaube ich, dass der amerikanische Bradley und der Marder eine spürbare Wirkung auf dem Gefechtsfeld entfalten werden“, so Raths.
Die Lieferung solcher Systeme an die angegriffene Ukraine – ohne Unterscheidung in Kampf- oder Flugabwehrpanzer – hält der Historiker für wichtig und richtig. „Weil es zeigt, dass diese Waffen nicht nur sinistren Machthabern zur Unterdrückung dienen, sondern auch zur Verteidigung der Freiheit.“ Und erinnert an ein Bild seiner Ausstellung im Museum – eines amerikanischen Radpanzers, umringt von befreiten Insassen des Konzentrationslagers Mauthausen.
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Gefangene des Konzentrationslagers Mauthausen jubeln ihren amerikanischen Befreiern zu. Zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und des Endes des Zweiten Weltkrieges in Deutschland und Europa wird am 8. Mai 1945 mit vielen Veranstaltungen gedacht.
© Quelle: picture alliance/dpa
Das Interesse an Panzern ist gewachsen, auch am Deutschen Panzermuseum Munster. Im vergangenen Jahr freute man sich trotz Corona über den Besucherrekord von 109.000 Frauen und Männern. Wer vermutet, männliche Militärfreaks oder Bundeswehrveteranen bildeten das Gros, sieht sich getäuscht.
Raths: „85 Prozent der Besucherinnen und Besucher waren nie beim Bund und falls doch, dann als Wehrdienstleitende. Viele interessieren sich für aktuelle Entwicklungen vor dem Hintergrund des Krieges oder ganz allgemein für historische Zusammenhänge. Es geht ihnen weniger um die Begeisterung für Panzer, eher um das, was Panzer anrichten können …“