Gastbeitrag zum gemeinsamen Streikaufruf

Verdi-Chef Werneke und Luisa Neubauer: „Mehr Mobilität kann nicht ‚mehr Autos‘ bedeuten“

Rufen gemeinsam zum Streik am Freitag auf: Frank Wernecke (Verdi) und Luisa Neubauer (Fridays For Future).

Rufen gemeinsam zum Streik am Freitag auf: Frank Werneke (Verdi) und Luisa Neubauer (Fridays for Future).

Berlin. Frank Werneke, der Chef der Gewerkschaft Verdi, verhandelt dieser Tage in großer Runde, es geht um die Löhne der Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen. Luisa Neubauer, die Sprecherin von Fridays for Future, arbeitet derweil daran, die Regierung zu mehr Klimaschutz zu bringen. Im Schulterschluss rufen wir von Verdi und Fridays for Future diesen Freitag gemeinsam dazu auf, auf die Straßen zu gehen. Beschäftigte aus dem Nahverkehr und Klimabewegte, alle zusammen, für eine klima- und sozial gerechte Mobilitätswende.

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Aber von vorn: Der Sektor Verkehr ist in Deutschland absolutes Schlusslicht aller Sektoren, wenn man auf die Klimabilanz schaut. Ein Drittel aller Emissionen in Deutschland kommen aus dem Verkehrssektor. Um die Klimaziele für 2030 dort einhalten zu können, müssen die Emissionen schnellstmöglich sinken, 14-mal schneller als bisher, genau genommen. Ein wirkliches Mammutprojekt.

Damit Deutschland die Klimaziele im Verkehr einhalten kann, braucht es auch ein Tempolimit

Man würde meinen, das allein würde ausreichen, damit innerhalb der FDP und ihres Verantwortungsbereichs „Verkehrsministerium“ ein informierter, konstruktiver und breiter Diskurs geführt würde, wie wohl eine ökologische Zukunft des Verkehrs in Deutschland aussehen könne. Stattdessen aber werden Vorwürfe laut, „den Menschen“ würden die Autos weggenommen werden, unterstrichen von jüngsten Forderungen des Finanzministers Christian Lindner, nach „Respekt und Vielfalt“ für Autofahrer:innen, all das in einem Land mit 43 Millionen Pkw, Milliarden an jährlichen Subventionen für Autos und einem der dichtesten Straßenverkehrsnetze des europäischen Kontinents.

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Dabei ginge es anders: Damit Deutschland die Klimaziele im Verkehr einhalten kann, braucht es auch ein Tempolimit. Aber das allein reicht nicht. Der innerstädtische Verkehr ächzt bereits jetzt unter einer zu hohen Zahl an Autos. Der öffentliche Personen­nahverkehr (ÖPNV) muss deutlich ausgebaut, Taktung und Pünktlichkeit müssen erhöht werden. Eine Mobilitätswende ist mehr als eine „Antriebswende“ vom Verbrenner zum E‑Auto, so wichtig diese auch ist. Das Schienennetz der Bahn muss ausgebaut werden. All das ist machbar, es lässt sich finanzieren, am Ende können alle davon profitieren.

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„Mehr Mobilität“ kann nicht weiter „mehr Autos“ bedeuten. Im ÖPNV wird die Nachfrage erst sichtbar, wenn das Angebot da ist. Das 9‑Euro-Ticket hat es zuletzt allen gezeigt.

Die Realität: In vielen Städten und Gemeinden hat der ÖPNV keine attraktive Taktung

Die Realität ist aber die: In vielen Städten und Gemeinden hat der ÖPNV keine attraktive Taktung, keine guten Umsteigemöglichkeiten, hohe Preise und keine Barrierefreiheit. Während der Stoßzeiten sind Busse und Bahnen häufig überfüllt. Menschen reihen sich nicht auf, um morgens um halb sieben im Süden von Buxtehude auf einen Bus zu warten, der nicht kommt. Sie nehmen dann das Auto. Und sie kaufen sich im Zweifel ein neues, wenn das nächste Kind kommt. In dem Augenblick aber, in dem ein pünktlicher Bus als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge verstanden wird, haben Menschen die Möglichkeit, umzusteigen.

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Dafür braucht es Personal. In den letzten 20 Jahren haben Verkehrsunternehmen jede fünfte Stelle gestrichen. Unzureichender Service, hohe Krankenstände und Überstunden sind die Folgen. Zu niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen haben zum aktuellen Personalmangel geführt. Es wird keine Mobilitätswende in Deutschland geben, wenn Fachkräfte für den ÖPNV nicht zukünftig durch bessere Bezahlung und gute Arbeit gewonnen werden. Dafür kämpft Verdi in der aktuellen Tarifrunde.

Erstmals arbeiten die Klimaaktivisten Fridays for Future und die Gewerkschaft Verdi zusammen – und rufen für diesen Freitag gemeinsam zum Streik auf.

Erstmals arbeiten die Klimaaktivisten Fridays for Future und die Gewerkschaft Verdi zusammen – und rufen für diesen Freitag gemeinsam zum Streik auf.

Wer Emissionen im Verkehr senken will, muss Prioritäten setzen

Die Verkehrsminister wollen die ÖPNV-Beförderungsleistung bis 2030 verdoppeln. Das droht aber am Geld und am Personal zu scheitern. Notwendige Investitionen in die Verkehrs­infrastruktur werden wegen leerer öffentlicher Kassen und Schuldenbremse ausgesetzt. Es müssen aber jetzt die notwendigen Finanzmittel mobilisiert werden – auch durch eine Reform der Schuldenbremse. Bisher stehen Christian Lindner und die FDP in der Ampelregierung hierbei auf der Bremse.

Mobilität gerecht und nachhaltig zu denken heißt zu akzeptieren, dass Menschen keine isolierten Einzelinteressen an einem bestimmten Verkehrsmittel haben, sondern sich als Pendler freie Straßen, als Eltern kinderfreundlichen Fahrradverkehr und als Menschen im Jahr 2023 ein sicheres Klima wünschen. Eine Alles-für-alle-, eine All-you-can-drive-Logik der Verkehrspolitik geht nicht auf. Immer mehr von allem bringt nicht immer bessere Mobilität, sondern weniger Freiheit für alle. Wer mehr Platz für Fahrradfahrer:innen in den Städten will, sich aber nicht traut, dafür den Autos – ob parkend oder fahrend – Platz zu nehmen, sorgt dafür, dass das Fahrradfahren nicht attraktiver, sondern die Straße nur voller wird. Für alle.

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Das Gleiche gilt für den Ausbau der Infrastruktur. Wer Emissionen im Verkehr senken will, muss Prioritäten setzen: massiver Ausbau des Bahnnetzes, massive Ertüchtigung des ÖPNV. Es geht darum, nachhaltige Alternativen zu schaffen.

Klimaschutz, der die Lebens­bedingungen der Menschen im Hier und Jetzt nicht mitdenkt, kann nicht nachhaltig sein – er führt absehbar zu Konflikten. Die Klimakrise allerdings wartet nicht, sie setzt ein klares Zeitfenster, in dem jetzt gehandelt werden muss.

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Verdi und Fridays for Future haben den Anspruch, diesen Strukturwandel mitzugestalten

Verdi und Fridays for Future haben den Anspruch, diesen Strukturwandel mitzugestalten. Mit den Interessen der Beschäftigten und ihrer Familien sowie den ökologischen Verpflichtungen im Mittelpunkt. Klimaschutz und Strukturwandel müssen sozial gestaltet werden – durch gute Arbeit, Tarifverträge, starke Betriebsräte und Unternehmens­mitbestimmung. Gleichzeitig erfordert ein sozial gerechter ökologischer Umbau einen handlungsfähigen Staat, eine starke Daseinsvorsorge und eine gute öffentliche Infrastruktur.

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Fridays for Future und Verdi gehen gemeinsam auf die Straße, weil wir an einem Strang ziehen für eine Mobilitätswende. Die Regeln müssen dort gemacht werden, wo für eine echte Wende gekämpft wird, dort, wo die Wissenschaft gehört wird, die politische Klimaverpflichtungen ernst genommen werden und die Lebensrealität der Beschäftigten im ÖPNV respektiert wird. Klimabewegung und Gewerkschaft lassen sich längst nicht mehr gegeneinander ausspielen. Wir verstehen, dass wir nur gemeinsam die Klimaziele von Paris einhalten und eine sozial und ökologisch gerechtere Gesellschaft schaffen können.

Am Ende des Tages reden wir beim ÖPNV von Maßnahmen ohne Reue: Sie machen auch ohne Klimakrise, ohne ökologischen Kollaps Sinn. Alle profitieren, wenn die Städte leiser, wenn die Luft sauber wird, wenn der Bus auch auf dem Land fährt, wenn die Busfahrer:innen fair bezahlt werden. Wir haben viel zu gewinnen.

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