Lauterbachs Klinikreform – einfach erklärt
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Gesundheitsminister Karl Lauterbach will eine Krankenhausreform auf den Weg bringen.
© Quelle: IMAGO/Jürgen Heinrich
Berlin. Wenn Karl Lauterbach über eigene Projekte spricht, dann oft in Superlativen: Die geplante Krankenhausreform sei nichts weniger als eine Revolution, sagte der Bundesgesundheitsminister Anfang Dezember bei der Vorstellung des Konzeptes der von ihm eingesetzten Regierungskommission. Künftig sollten sich Patientinnen und Patienten wieder darauf verlassen können, dass medizinische und nicht ökonomische Gründe ihre Behandlung bestimmten. „Wir haben die Ökonomie zu weit getrieben“, so der SPD-Politiker. Am Donnerstag will Lauterbach erstmals mit den Gesundheitsministerinnen und -ministern der Länder sowie mit Vertretern der Ampelkoalition über die Reform beraten. Ein Überblick über die bisherige Lage und die Reformpläne:
Wie ist die aktuelle Lage im Kliniksektor?
In Deutschland stehen knapp 1900 Krankenhäuser mit rund 483.600 Betten für die medizinische Versorgung zur Verfügung (Stand 2021). Dort arbeiten 1,4 Millionen Menschen. Wichtige Kennzahlen weisen auf eine Misere hin: Rund 60 Prozent der Kliniken schreiben derzeit rote Zahlen. Die durchschnittliche Bettenauslastung beträgt 68 Prozent – mit anderen Worten: Jedes dritte Bett steht leer. Gleichzeitig gibt es zeitweise zu wenig Betten für Kinder. Fast 90 Prozent aller Kliniken berichten von Personalmangel.
Wie werden die Krankenhäuser derzeit finanziert?
Sie erhalten Geld aus zwei Quellen: Die Kosten für Investitionen in Gebäude oder technische Geräte sollen von den Ländern getragen werden. Die laufenden Betriebskosten, also insbesondere die Gehälter des Personals, übernehmen die Krankenkassen über die viel kritisierten Fallpauschalen. Schon der erste Teil funktioniert jedoch nicht, weil die Länder ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. So betrug der Investitionsbedarf beispielsweise für 2020 nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) mehr als sechs Milliarden Euro. Die Länder stellten aber nur drei Milliarden Euro zur Verfügung. Ein derartiges Missverhältnis besteht schon seit Jahren. Die Kliniken behelfen sich damit, dass sie die Kassengelder auch für Investitionen „zweckentfremden“. Das ist erlaubt, aber nicht im Sinn der Sache.
Wie funktionieren die Fallpauschalen?
Bis zur Einführung der „diagnosebezogenen Fallgruppen“ – englisch: Diagnosis Related Groups (DRG) – vor etwa 20 Jahren bekamen die Krankenhäuser eine Pauschale für jeden Tag, den eine Patientin oder ein Patient in der Klinik war. Das sorgte regelmäßig dafür, dass Patienten freitags aufgenommen und erst montags wieder entlassen wurden, obwohl es an Wochenenden selten geplante Behandlungen gibt. Damit gab es in Deutschland sehr lange Liegezeiten – und hohe Kosten. Die Fallpauschalen sollten mehr Effizienz bringen. Sie bilden typische Kosten für einen bestimmten Eingriff ab, wobei zusätzliche Faktoren wie weitere Krankheiten sowie Alter und Geschlecht berücksichtigt werden. Mit den Pauschalen sind alle Kosten einer Behandlung abgegolten, also auch die Pflege nach einer OP.
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© Quelle: dpa
Was ist falsch an den Fallpauschalen?
Im komplizierten Zusammenspiel mit anderen Faktoren haben sie zu einer Reihe von Fehlentwicklungen geführt, weil die Kliniken aus nachvollziehbaren Gründen ihre Finanzlage optimieren. Das heißt: Viele gut honorierte Fälle akquirieren – mit möglichst geringen Kosten. Das funktioniert aber insbesondere in der Pädiatrie nicht, das heißt dort, wo Kinder und Jugendliche behandelt werden, weil es bei ihnen im Gegensatz zu Erwachsenen kaum planbare Eingriffe wie Rücken- oder Kniegelenk-OPs gibt, sondern Not- und Akutfälle überwiegen. Die Folge: Die Zahl der Pädiatriebetten ist zwischen 1991 und 2020 um rund 43 Prozent gesunken.
In den Abteilungen für Erwachsene passierte folgendes: Er wurden Ärzte zum Operieren eingestellt, gleichzeitig sparten die Kliniken bei den Pflegekräften. Motto: Ärzte bringen Geld, Pfleger kosten nur. Bereits 2020 wurde dieses Problem entschärft, indem die Pflegekosten aus den DRGs herausgelöst wurden. Sie werden seitdem extra bezahlt. Das Grundübel blieb jedoch bestehen: Geld können die Kliniken eigentlich nur verdienen, wenn sie ihre Behandlungskapazitäten weitgehend ausnutzen und möglichst viel operieren.
Was ist schlecht daran, wenn viel operiert wird? Schließlich sind dann auch die Wartezeiten gering.
Deutschland steht bei vielen Eingriffen im internationalen Vergleich auf vorderen Rängen. 2020 wurden zum Beispiel 294 Implantationen künstlicher Hüftgelenke je 100.000 Einwohner durchgeführt. Das ist weltweit Spitze. Der Durchschnitt der Industriestaaten ist nur halb so hoch. Das lässt sich weder mit dem Alter noch mit dem Gesundheitszustand der Bevölkerung erklären. Klar ist in jedem Fall: Eine Operation ist kein Allheilmittel und birgt stets zugleich auch Risiken, die bei einer schonenden Behandlung nicht bestehen. Nach Ansicht von Experten ist zum Beispiel jede fünfte in Deutschland implantierte Hüftprothese überflüssig.
Welchen Vorschlag hat die von Lauterbach eingesetzte Regierungskommission vorgelegt?
Die Kommission will nicht nur die Finanzierungsgrundlagen ändern, sondern zugleich die gesamte Krankenhauslandschaft in Deutschland umkrempeln. Während heute das Prinzip gilt: „Alle machen überall alles“, soll es künftig bundesweit eine viel klarere Struktur geben, bezeichnet als Versorgungsstufen. Die Spitze bilden als sogenannte Maximalversorger die Universitätskliniken und umfassend ausgestattete Krankenhäuser, die alle Fachbereiche sowie Intensivmedizin und Notfallversorgung anbieten (Level III). Es folgen Krankenhäuser, die sich auf bestimmte Fachbereiche spezialisiert haben (Level II). Auf der untersten Ebene sollen zwei Typen entstehen: Zum einen Kliniken, die eine Basisversorgung in der Chirurgie und der Inneren Medizin anbieten und zugleich auch über einige Intensivbetten und eine Notaufnahme verfügen. Zum anderen Krankenhäuser, bei denen die Allgemeinmedizin und die Pflege im Vordergrund steht, etwa durch die Bereithaltung von Akutpflegebetten.
Zusätzlich soll gesetzlich vorgeschrieben werden, welche personellen und technischen Mindestanforderungen für das Angebot bestimmter medizinischer Leistungen erfüllt werden müssen. Beispiele: Krebspatienten dürfen nur dann behandelt werden, wenn es sich um zertifizierte Krebszentren handelt. Wer Schlaganfallpatienten versorgt, muss zwingend mit einer hochspezialisierten Einrichtung (Stroke-Unit) ausgestattet sein.
Was soll mit den Fallpauschalen passieren?
Sie sollen bleiben, aber durch eine weitere Komponente ergänzt werden: Die Kliniken sollen neben den Fallpauschalen Geld allein dafür bekommen, dass sie Behandlungskapazitäten bereithalten – unabhängig von der Zahl der behandelten Fälle. Weil das insbesondere in der Notfallmedizin, bei der Geburtshilfe und der Neonatologie (Behandlung von Neugeborenen) notwendig ist, soll hier der fixe Anteil 60 Prozent betragen, ansonsten 40 Prozent. Durch die Vorhaltepauschalen entfällt der Anreiz, die vorgehaltenen Kapazitäten zum Beispiel durch viele Hüft- oder Kniegelenk-OPs auszulasten.
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Macht das Konzept Sinn?
Auffällig ist, dass es von den Akteuren im Gesundheitssystem zwar Kritik an Details gibt, die grundsätzliche Richtung aber begrüßt wird. Das ist eher selten in der Gesundheitspolitik. Tatsächlich werden viele der jetzt vorgelegten Reformvorschläge bereits seit Jahren von Experten diskutiert. Auch international geht der Trend in Richtung klarer Strukturen mit mehr Zentralisierung und Spezialisierung.
Kann Lauterbach dieses Konzept tatsächlich umsetzen?
Ärztepräsident Klaus Reinhardt sagte kürzlich in einem RND-Interview, nicht die Reformvorschläge an sich seien eine Revolution. Die gäbe es erst, wenn Lauterbach ein Konzept hätte, um sie auch umzusetzen. Dafür braucht Lauterbach alle Bundesländer, denn die Krankenhausplanung ist Ländersache. Diese haben auch schon Widerstand angekündigt, sollte Lauterbach in diese Hoheit eingreifen. Mit dem Konzept der bundesweit einheitlichen Versorgungsstufen macht Lauterbach aber genau das. Allerdings gibt es auf Seiten der Länder durchaus die Bereitschaft für Reformen. So ist zum Beispiel der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bereits dabei, eine ähnliche Reform umzusetzen. Wie weit sich Lauterbach jedoch durchsetzen kann, ist völlig offen.