Hans-Christian Ströbele: ein sympathischer Kämpfer, der am Leben hing
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Ein bescheidener wie sympathischer Kerl: Hans-Christian Ströbele.
© Quelle: picture alliance / SvenSimon
Berlin. Zuletzt konnte man Hans-Christian Ströbele noch manchmal auf der Straße treffen – am Café Buchwald zwischen Holsteiner Ufer und Bartningallee. Das Café in Moabit lag nur ein paar Meter von seiner Wohnung entfernt, von der man wiederum auf das ehemalige Bundesinnenministerium blicken konnte, in dem sein einstiger grüner Anwaltskollege Otto Schily zeitweilig Chef war. Ströbele war meist auf einen Rollator gestützt, zuweilen begleitet von seiner Frau. Denn er war von einer Nervenkrankheit gebeutelt, die ihn schon vor seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Sommer 2017 erfasst hatte und immer schwächer werden ließ. Kürzlich kam Ströbele dann erneut ins Krankenhaus und wollte sich, wie er am Telefon sagte, nach seiner Entlassung wieder melden.
Nun ist der Anwalt und Grünen-Politiker mit 83 Jahren gestorben. Er hing am Leben.
Vom berühmten Onkel über die RAF-Verteidigung bis zu den Grünen
Ströbele wurde kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges in Halle an der Saale geboren und verbrachte die ersten Jahre in Schkopau bei Merseburg, wo sein Vater in führender Stellung bei den Buna-Werken beschäftigt war. „Mein Vater hat mir nie etwas aus seinem Inneren preisgegeben. Und ich ihm auch nie etwas aus meinem“, sagte der Sohn später seinem Biografen Stefan Reinecke. Dafür gab es den berühmten Onkel und Lebemann Herbert Zimmermann, der im Radio das Weltmeisterschaftsfinale von 1954 kommentierte, Toni Turek „Fußballgott“ nannte und die bis heute nachhallenden Sätze rief: „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt … Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!“
1967 absolvierte Ströbele Teile seines Referendariats in der Anwaltskanzlei des linken Horst Mahler, der bald in den bewaffneten Untergrund ging. Der Nachwuchsjurist verteidigte die Großen der „Rote Armee Fraktion“ (RAF), Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Holger Meins. Baader nannte er beim Kosenamen „Ändi“, an Meinhof, die in Einzelhaft saß und in einen Hungerstreik trat, schrieb er: „Trotz deiner Zweifel an meiner Sensibilität trifft mich das Zusehen, Zuhören, ohne viel helfen zu können.“ Baader beschimpfte Ströbele gleichwohl als „alte sozialdemokratische Ratte“, Meinhof notierte: „Stroe, du Sau sitzt auf deinem Arsch und tust nichts.“ Ströbele habe sich „in einem Graubereich“ bewegt, befand Reinecke.
Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele ist tot
Er war Revoluzzer, RAF-Anwalt und Mitbegründer der Grünen. Ein sensationeller Wahlsieg machte Hans-Christian Ströbele zur Parteilegende.
© Quelle: Reuters
Ströbele blieb seinen Grundsätzen treu
1983 trat Ströbele in die Alternative Liste ein, wurde Mitte der 1980er-Jahre Mitglied des Bundestages, schmiedete 1989 eine rot-grüne Koalition in seiner Wahlheimat Berlin, verantwortete als Parteichef 1990 das Scheitern der West-Grünen beim Wiedereinzug ins Parlament, bevor er sich zu einem „loyalen Dissidenten“ (Reinecke) entwickelte, der, egal ob bei Sicherheitsgesetzen, dem Kosovo- oder dem Afghanistan-Krieg, linke Prinzipien vertrat – freilich nur so weit, wie es realpolitisch noch so gerade eben ging. Kurzum: Ströbele blieb seinen Grundsätzen treu, was ihn vor Irrtümern nicht bewahrte. So rechtfertigte er 1991 die Luftangriffe Saddam Husseins auf Israel mit dem verhängnisvollen Satz: „Die irakischen Raketenangriffe sind die logische, ja zwingende Konsequenz der Politik Israels den arabischen Staaten gegenüber, auch dem Irak gegenüber.“
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Frau Lemke, wird sich die Oder je wieder erholen?
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) plagen gerade zwei Sorgen: Nach der Umweltkatastrophe in der Oder muss man mit Dauerschäden und mit ähnlichen Vorfällen in anderen Flüssen rechnen, sagt sie im RND-Interview. Und vor einer Atomkraftverlängerung seien monatelange Sicherheitschecks unabdingbar, betont sie – und warnt vor erschwerter Endlagersuche.
Letztlich war es die Mischung aus Standhaftigkeit, Freundlichkeit und Bodenhaftung, die Ströbeles Authentizität ausmachte und dazu führte, dass er 2002 die Sensation schaffte und als erster Grüner in Friedrichshain-Kreuzberg ein Direktmandat gewann. Ströbele, der 2013 mit einem Besuch bei dem US-Whistleblower Edward Snowden in Russland einen späten Coup landete, wurde zum Liebling Kreuzberg, obwohl er seit Ewigkeiten in Moabit wohnte.
Ein bescheidener wie sympathischer Kerl – und: Es ging ihm immer „um die Sache“
Das letzte Mal machte Ströbele im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine von sich reden. So bezweifelte er bei Twitter zunächst, dass es diesen Angriff überhaupt geben werde, und glaubte an Übertreibungen des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Nach Kriegsbeginn teilte Ströbele seinen über 280.000 Followern mit, dass er „getäuscht worden“ sei. Das überzeugte nicht jeden.
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Ströbele hatte Pläne, als er 2017 den Bundestag verließ. So wollte er vor allem ein Buch schreiben – nicht zuletzt, um seine Sicht auf die RAF-Zeit darzulegen, die er öffentlich falsch wiedergegeben fand. Akten, die er hätte studieren müssen, türmten sich in seinem Moabiter Büro bis unter die Decke. Doch dazu kam es nicht mehr. Stattdessen ging der passionierte Milchtrinker notgedrungen in eine Moabiter Mucki-Bude, um seine Körperkräfte zu erhalten. Dort traf er auf Muskelmänner mit Migrationshintergrund, die 100 Kilo Gewicht ziehen konnten, während er bestenfalls zehn Kilo schaffte und sich darüber köstlich amüsierte. Überhaupt war Ströbele, der einen schlitzohrigen Humor hatte, im Persönlichen ein ebenso bescheidener wie sympathischer Kerl. Auf ihn traf zu, was von vielen Politikern behauptet wird, aber nicht immer stimmt: Es ging ihm „um die Sache“. Seine Eitelkeit hatte etwas Liebenswertes.
Und wie gesagt: Hans-Christian Ströbele, der bei den letzten Begegnungen zunehmend traurig wirkte, hing am Leben. Im April 2018 sagte er in einem Interview: „Ich will da bleiben, solange ich will – und solange ich kann.“ Jetzt konnte er leider nicht mehr.