„Schwarzer Donnerstag“ in Frankreich
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Fahrgäste gehen durch den verlassenen Nordbahnhof in Paris. Die großen Gewerkschaften haben wegen der geplanten Rentenreform zum Streik aufgerufen. Störungen drohen etwa im Zugverkehr, am Flughafen Paris-Orly, in Raffinerien und an Schulen.
© Quelle: Lewis Joly/AP/dpa
Paris. Sie wissen, dass sie zahlreich sind und damit ein erstes Ziel erreicht haben, nämlich eine große Mobilisierung gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron. Der Platz der Republik in Paris ist an diesem Donnerstagnachmittag überlaufen von Menschen. Manche von ihnen halten Fahnen mit den Namen von Gewerkschaften oder Schilder in die Luft. „Rente: Es ist besser, sie noch zu erleben“ steht darauf oder „Rentenreform = sozialer Kahlschlag“. „Ich glaube, dass wir die Million Teilnehmer in ganz Frankreich überschritten haben“, sagt Philippe Martinez, Chef der radikalen Gewerkschaft CGT, an der Spitze des Zuges.
Hunderttausende haben sich an dem Großstreik beteiligt. 10.000 Sicherheitskräfte waren mobilisiert. Doch für die Organisatoren hatte sich der erste große Tag des Protests gegen Macrons Rentenreform, die die schrittweise Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre sowie der Beitragsdauer auf 43 Jahre vorsieht, als Erfolg erwiesen, als „schwarzer Donnerstag“. Zahlreiche Schulen und Kindertagesstätten blieben in Frankreich geschlossen. Viele Flüge, Züge, Busse und S‑Bahnen fielen aus. Im ganzen Land legten Ärzte, Krankenschwestern und ‑pfleger, Beamte oder die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Raffinerien die Arbeit nieder und demonstrierten in den Straßen.
Streiks in Frankreich legen öffentliches Leben teilweise lahm
Zahlreiche Protestkundgebungen im Land sollen der Forderung nach einer Abkehr von den unpopulären Reformplänen Nachdruck verleihen.
© Quelle: Reuters
Auch Marine Le Pen will Rücknahme der Reform
Erstmals seit 2010, als der damalige Präsident Nicolas Sarkozy die Rentenaltersgrenze von 60 auf 62 Jahre erhöhte, taten sich die acht größten Gewerkschaften, die sonst oft in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen, zusammen. Die linke Opposition schloss sich ihnen an. Die linksextreme Partei La France Insoumise („Das unbeugsame Frankreich“) rief zudem zu einem weiteren Protestmarsch am Samstag auf, den mehrere Jugendorganisationen ausrichten. Von einer Senegal-Reise aus wünschte die Fraktionschefin des rechtsextremen Rassemblement National, Marine Le Pen, „allem Erfolg, was zur Rücknahme dieser Reform führt“, ohne dass sich ihre Partei an der Seite der Linken und der Gewerkschaften zeigen will. Nur auf die Stimmen der konservativen Republikaner kann Macrons Partei im Parlament voraussichtlich zählen. Für eine Umsetzung dürfte das reichen. Zuletzt regte sich aber auch im Präsidentenlager Widerstand. Prominenteste Kritikerin ist seine frühere Umweltministerin Barbara Pompili, die erklärte, sie könne nicht für die Reform stimmen, solange diese nicht mehr soziale Ausgleichsmaßnahmen enthalte.
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Experten zweifeln Notwendigkeit an
In Umfragen spricht sich eine große Mehrheit der Französinnen und Franzosen gegen das Gesetz aus. Etliche Ökonomen, darunter der Bestsellerautor Thomas Piketty, rechneten vor, dass die Reform wirtschaftlich nicht notwendig sei. Ein Rentenexpertenrat ging in einem Bericht zwar von Verlusten in Milliardenhöhe aus, sah das System als solches aber nicht gefährdet. Regierungschefin Élisabeth Borne sprach hingegen von einem „Defizit von mehr als 100 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren“, sollten keine Maßnahmen ergriffen werden.
Macron will Wahlversprechen umsetzen
Vergeblich bemühte sie sich, das Reformprojekt als gerecht darzustellen: Man habe besonders anstrengende Arbeiten ebenso berücksichtigt wie Erziehungsmonate oder Menschen, die besonders früh ins Berufsleben einstiegen. Außerdem soll die Mindestrente für all jene, die ihr Leben lang zum Mindestlohn gearbeitet haben, ab sofort auf 1200 Euro brutto steigen.
In Zeiten hoher Inflation befürchtet die Regierung soziale Unruhen, monatelange Proteste und Blockaden. Diese gab es Ende 2018 durch die Gelbwesten-Bewegung und auch vor drei Jahren, als Macron einen noch umfassenderen Umbau des Rentensystems plante. Das Gesetz zog er bei Ausbruch der Coronavirus-Pandemie letztlich zurück. Umso entschlossener erscheint er nun, es umzusetzen. Vor seiner Wahl im April 2022 hatte er versprochen, das Pensionsalter zu erhöhen und damit an europäische Gegebenheiten anzupassen. In kaum einem anderen Land beginnt die Rente so früh, während die Bezüge vergleichsweise hoch sind. Macron selbst reiste gestern nach Barcelona. In Begleitung von elf Ministern unterzeichnete er einen Kooperations- und Freundschaftsvertrag mit der spanischen Regierung.