Wurde er vergiftet? Sorge um Georgiens ehemaligen Präsidenten Saakaschwili
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Georgiens Ex-Präsident Michail Saakaschwili im Dezember 2021 während einer Gerichtsverhandlung in der Hauptstadt Tiflis.
© Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Berlin. Obwohl sich der Gesundheitszustand des in Haft befindlichen ehemaligen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili (55) offensichtlich permanent verschlechtert, will die Regierung ihn bislang nicht zur Behandlung ins Ausland ausfliegen lassen.
Der fast zwei Meter große Mann, der einmal um die 120 Kilogramm wog, ist nach Angaben seines Umfelds auf unter 70 Kilogramm abgemagert. In sozialen Netzwerken gibt es Bilder und Kurzvideos, die einen Menschen mit eingefallenen Gesichtszügen zeigen, der sich kaum mehr auf den Beinen halten kann.
Laut Gutachten mit Quecksilber und Arsen vergiftet
Seine Anhänger und seine Anwälte werfen der Regierung vor, den Ex-Präsidenten vergiftet zu haben und stützen sich dabei auf ein Gutachten amerikanischer Ärzte, das anhand von Proben aus Nägeln und Haaren angefertigt wurde. Demnach sei Saakaschwili mit Quecksilber und Arsen vergiftet worden. Um ihn zu retten, sei eine rasche Entgiftung nötig.
„Dass Saakaschwili stark abgenommen hat und dass es ihm nicht gut geht, ist offensichtlich“, sagt Stephan Malerius, Leiter des Südkaukasus-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Ob es sich um eine Vergiftung handele, das sei Spekulation, daran wolle er sich nicht beteiligen, sagte Malerius. Es gebe keine Beweise, die diese Aussage bestätigen würden, meint Victor Kipiani, Chef der georgischen Denkfabrik Geocase.
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Anhänger von Saakaschwilli Anfang Januar bei einer Kundgebung in Tiflis, wo seine Freilassung gefordert wurde.
© Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Saakaschwili war von 2004 bis 2013 Georgiens Präsident und hatte das Land mit vielen Reformen auf einen prowestlichen Kurs gebracht – inklusive angestrebten EU- und Nato-Betritt. Nach seiner Abwahl 2012 ging er ins Exil, zunächst in die USA, dann 2015 in die Ukraine, wo ihn der damalige Präsident Petro Poroschenko zum Regierungsberater machte. Saakaschwili erhielt die ukrainische Staatsbürgerschaft und war zuletzt unter Präsident Wolodymyr Selenskyj im Antikorruptionsbereich tätig.
In seiner Abwesenheit wurde er in Georgien wegen Machtmissbrauchs zu sechs Jahren Haft verurteilt, wobei ihm unter anderem die gewaltsame Auflösung von Protesten der Opposition im November 2007 zur Last gelegt wurde. Im September 2021 kehrte er wenige Tage vor den Kommunalwahlen nach Georgien zurück und wurde sofort festgenommen. „Er hatte offenbar gehofft, seine Rückkehr würde einen Impuls geben, dass die Massen für ihn auf die Straße gehen“, sagt Malerius, „und damit hatte er sich geirrt“.
Nach seiner Festnahme begann er einen Hungerstreik
Nach seiner Festnahme trat Saakaschwili in einen Hungerstreik, seither geht es ihm gesundheitlich immer schlechter. Seine Familie und seine Anwälte werfen der Regierung vor, dass das Urteil ganz klar politisch motiviert ist. Das schätzt auch Malerius so ein: „Natürlich sitzt Saakaschwili aus politischen Gründen in Haft“, sagt der Südkaukasus-Experte. Es gehöre leider in Georgien gewissermaßen zur „politischen Kultur“, dass man mit Vorgängern abrechnet.
Saakaschwili habe sehr große Verdienste an Georgien geleistet, er habe ab 2003 aus einem „failed state“ ein funktionierendes Land gemacht. Aber gerade in seiner zweiten Amtszeit habe er auch viele Fehler begangen, sagt Malerius. Weil sie seine autoritäre Wendung mit dem Einsatz von Polizeigewalt und Folter in Gefängnissen immer noch gut erinnerten, seien die Georgier heute nicht mehr bereit, für Saakaschwili auf die Straße zu gehen.
Victor Kapiani von Geocase sagt dazu, es gebe eine Suche nach neuen Gesichtern und Erzählungen in der georgischen Gesellschaft. Saakaschwili habe selbst bei verschiedenen Gelegenheiten bemerkt, dass er seinen Platz nicht mehr in der georgischen Politik sieht.
„Die Menschen wollen davon nichts mehr hören“
Für die amtierende Regierungspartei sei Saakaschwilli zehn Jahre lang ein gutes Wahlkampfthema gewesen, sagt Malerius – nach dem Motto, wenn ihr nicht wollt, dass er wieder an die Macht kommt, dann wählt uns. Die georgische Gesellschaft sei von dem Fall extrem ermüdet. „Die Menschen wollen davon nichts mehr hören und hoffen eigentlich, dass das Problem aufgelöst wird, und zwar am besten dadurch, dass man ihn ins Ausland schickt und dort medizinisch behandeln lässt“, sagt Malerius.
Doch danach sieht es bislang nicht aus. Zwar hatte die Opposition in der Südkaukasusrepublik schon Anfang Februar Proteste in mehreren Städten angekündigt. Es werde Überraschungen geben, die Regierung solle den Atem des Volkes im Nacken spüren, sagte der Chef der Oppositionspartei Vereinigte Nationale Bewegung, Lewan Chabeischwili. Und auch Selenskyj hatte auf Twitter von einer „öffentlichen Hinrichtung“ Saakaschwilis gesprochen und seine Freilassung gefordert. Aber die Justiz und die Regierung in Tiflis bleiben hart.
Politische Beobachter gehen davon aus, dass dahinter der Oligarch Bidzina Iwanischwili (67) steht, einstmals ein Weggefährte Saakaschwillis, der 2011 eine Bürgerbewegung gründete, aus der im April 2012 die georgische Oppositionspartei „Georgischer Traum“ hervorging, die schließlich die Wahlen gewann und noch heute Regierungspartei ist. Der Milliardär, der kurzzeitig auch Premierminister war, hat momentan zwar kein politisches Amt inne, zieht aber im Hintergrund alle Fäden.
„Dieser Mann hat die Macht, das zu entscheiden“, ist Malerius mit Blick auf Saakaschwilis Schicksal überzeugt. Zwar hätte die georgische Präsidentin formal die Möglichkeit, Saakaschwilli zu begnadigen beziehungsweise ihn zur Behandlung ins Ausland fliegen zu lassen, aber ohne die Zustimmung Iwanischwilis werde das nicht geschehen. Dahinter stecken alte persönlichen Rechnungen, die jetzt beglichen werden. „Die beiden kennen sich sehr gut, haben lange zusammengearbeitet, aber irgendwann ist es zum Bruch gekommen“, erläutert Malerius.
Das Land und die Gesellschaft stehen vor schwierigen Aufgaben, von denen der Fall Saakaschwili nur ablenkt.
Stephan Malerius,
Leiter des Südkaukasus-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis
Auf dieser persönlichen Feindschaft basiert auch die Spaltung im politischen Lager, wo sich die Regierungspartei Georgischer Traum und die oppositionelle Vereinigte Nationale Bewegung als die beiden stärksten Kräfte gegenüberstehen. „Diese Polarisierung ist etwas, was die Gesellschaft nicht mehr will“, betont Malerius.
Tiflis versucht zwischen Moskau und Kiew zu lavieren
Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine versucht Tiflis zwischen Kiew und Moskau zu lavieren. Georgien hat sich nicht den westlichen Sanktionen gegen Russland angeschlossen und gleichzeitig nach der russischen Teilmobilmachung im September 2022 über 100.000 geflohene Russen aufgenommen, unter ihnen viele Fachkräfte etwa aus dem IT-Bereich. Das befeuert zwar die georgische Wirtschaft, führt aber gleichzeitig auch zu Spannungen, weil durch die zunehmende Kaufkraft die Inflation steigt und durch erhöhte Nachfrage auch die Immobilienpreise explodieren.
„Das Land und die Gesellschaft stehen vor schwierigen Aufgaben, von denen der Fall Saakaschwili nur ablenkt“, sagt Stephan Malerius. „Deshalb wäre es das Beste, wenn es für ihn eine humanitäre Lösung gäbe. Er ist ein humanitärer Fall und sollte als solcher zur medizinischen Behandlung in den Westen ausgeflogen werden.“