Frankreich streikt gegen die Rente mit 64 Jahren
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Für Donnerstag haben französische Gewerkschaften Proteste angekündigt (Archivbild).
© Quelle: Francois Mori/AP/dpa
Paris. Geht es nach den großen Gewerkschaften Frankreichs, soll das, was das Land heute erwartet, nur der Anfang sein. Der Beginn einer starken Protestbewegung, die so lange andauert, bis die Regierung ihre Rentenreformpläne zurückzieht. Diese sehen die schrittweise Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre sowie der Beitragsdauer auf 43 Jahre vor. Am ersten Streiktag am Donnerstag bleiben zahlreiche französische Schulen und Kindertagesstätten geschlossen. Viele Flüge, Züge, Busse und S-Bahnen fallen aus. Auch in Krankenhäusern könnte es zu Arbeitsniederlegungen kommen.
Erstmals seit 2010, als der damalige Präsident Nicolas Sarkozy die Rentenaltersgrenze von 60 auf 62 Jahre erhöhte, haben sich die acht größten Gewerkschaften, die sonst oft in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen, zusammengetan. Auch die linke Opposition will demonstrieren. Die linksextreme Partei La France Insoumise („Das unbeugsame Frankreich“) rief zudem zu einem weiteren Protestmarsch am Samstag auf, den mehrere Jugendorganisationen ausrichten. Von einer Senegal-Reise aus wünschte die Fraktionschefin des rechtsextremen Rassemblement National, Marine Le Pen, „allem Erfolg, was dazu führt, diese Reform zurückzuziehen“, ohne dass sich ihre Partei an der Seite der Linken und der Gewerkschaften zeigen will. Nur auf die Stimmen der oppositionellen Republikaner kann Macrons Partei im Parlament voraussichtlich zählen. Für eine Umsetzung dürfte das reichen.
Zuletzt regte sich aber auch im Präsidentenlager Widerstand. Prominenteste Kritikerin ist Macrons frühere Umweltministerin Barbara Pompili, die erklärte, sie könne nicht für die Reform stimmen, solange diese nicht mehr soziale Ausgleichsmaßnahmen enthalte.
Mehrheit steht hinter Protesten
Die Organisatoren des Streiktags hoffen auf eine hohe Beteiligung, um der Regierung ein klares Signal zu senden. Diese trage allein die Verantwortung für die Situation, sagte Laurent Berger, Chef der als gemäßigt geltenden Gewerkschaft CFDT: „Wir lassen uns nicht den Schwarzen Peter für die Blockade des Landes zuschieben.“ Er und seine Kollegen kämpften gegen eine Reform, die eine große Mehrheit der Menschen in Frankreich ablehnen.
Umfragen stützen diese Aussage. Einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts IFOP zufolge sprechen sich mehr als zwei Drittel gegen das Gesetzesprojekt aus, das Macron bis Ende des Sommers umsetzen will. 51 Prozent der Französinnen und Franzosen unterstützen die Streiks. Diese Zahlen seien im Vergleich mit früheren Protestbewegungen beachtlich, sagte IFOP-Generaldirektor Frédéric Dabi: „Die Schlacht um die öffentliche Meinung hat ungünstig für die Regierung begonnen.“
Etliche Ökonomen, darunter der Bestsellerautor Thomas Piketty, rechneten vor, dass die Reform wirtschaftlich nicht notwendig sei. Ein Rentenexpertenrat ging in einem Bericht zwar von Verlusten in Milliardenhöhe aus, sah das System aber nicht gefährdet. Regierungschefin Élisabeth Borne sprach hingegen von einem „Defizit von mehr als 100 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren“, sollten keine Maßnahmen ergriffen werden.
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Vergeblich bemühte sie sich, das Reformprojekt als gerecht darzustellen: Man habe besonders anstrengende Arbeiten ebenso berücksichtigt wie Erziehungsmonate oder Menschen, die besonders früh ins Berufsleben einstiegen. Außerdem soll die Mindestrente für all jene, die ihr Leben lang zum Mindestlohn gearbeitet haben, ab sofort auf 1200 Euro brutto steigen.
In Zeiten hoher Inflation, die viele belastet, befürchtet die Regierung soziale Unruhen, monatelange Proteste und Blockaden. Diese gab es Ende 2018 durch die „Gelbwesten“-Bewegung und auch vor drei Jahren, als Macron einen noch umfassenderen Umbau des Rentensystems plante. Das Gesetz zog er bei Ausbruch der Coronavirus-Pandemie letztlich zurück. Umso entschlossener erscheint er nun, sein Ziel umzusetzen. Vor seiner Wahl im April 2022 hatte er klar versprochen, das Pensionsalter zu erhöhen und damit an europäische Gegebenheiten anzupassen, denn in kaum einem anderen Land beginnt die Rente so früh, während die Bezüge vergleichsweise hoch sind.