Neue Anklage gegen Erdogan-Konkurrent Imamoglu vor Präsidentschaftswahl
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Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu droht ein Politikverbot.
© Quelle: IMAGO/Tolga Ildun
Ankara. Er gilt als aussichtsreicher Herausforderer des türkischen Staatschefs Erdogan bei der bevorstehenden Präsidentenwahl: Ekrem Imamoglu, der populäre Oberbürgermeister von Istanbul. Aber darf er überhaupt kandidieren? Das wird immer fraglicher. Denn jetzt verfolgt das türkische Innenministerium Imamoglu wegen angeblicher Korruption.
Je näher die Wahlen in der Türkei rücken, desto größer wird der Druck auf Kritiker und Konkurrenten des Staatschefs Recep Tayyip Erdogan. Am Dienstag forderte der türkische Generalstaatsanwalt ein Verbot der zweitgrößten Oppositionspartei, der prokurdischen HDP. Ihr droht noch vor den Wahlen, die spätestens am 18. Juni stattfinden müssen, die Zwangsschließung. Am Mittwoch verurteilte ein Gericht die Präsidentin der türkischen Ärztekammer (TTB), Sebnem Korur Fincanci, wegen „Terrorpropaganda“ zu fast drei Jahren Haft.
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Der amtierende türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
© Quelle: IMAGO/APAimages
Die Ärztekammer hatte sich schon häufig bei Erdogan unbeliebt gemacht – etwa als sie während der Pandemie der Regierung vorwarf, sie operiere mit getürkten Fallzahlen. Jetzt kam Fincanci vor Gericht, weil sie eine Untersuchung von Vorwürfen forderte, wonach die türkischen Streitkräfte Chemiewaffen gegen kurdische Rebellen eingesetzt haben sollen. Die Justiz interpretierte das als „Terrorpropaganda“.
Die prominente Erdogan-Kritikerin, die seit Oktober in Untersuchungshaft saß, kam zwar bis zur Entscheidung in der Berufungsinstanz auf freien Fuß. Aber das Urteil war ein unüberhörbarer Warnschuss für alle Erdogan-Kritiker und ‑Kritikerinnen.
Imamoglu drohen bei Verurteilung bis zu sieben Jahre Haft
Jetzt droht auch Ekrem Imamoglu neuer Ärger mit der Justiz. Innenminister Süleyman Soylu, einer der Hardliner in der Regierung Erdogan, will den Istanbuler Oberbürgermeister vor Gericht bringen, weil er in seiner Zeit als Bezirksbürgermeister im Jahr 2015 einen städtischen Auftrag an eine nicht qualifizierte Firma vergeben haben soll. Bei einer Verurteilung könnten Imamoglu bis zu sieben Jahre Haft drohen. Der erste Verhandlungstermin ist für den 15. Juni angesetzt.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warf am Donnerstag der türkischen Regierung vor, sie gehe zunehmend aggressiv gegen politische Gegner vor. Kritiker würden „inhaftiert und verurteilt, und zwar durch Gerichte, die auf politischen Befehl hin operieren“, heißt es im jüngsten Jahresbericht von HRW.
Imamoglu bereits zu Haftstrafe verurteilt - Urteil noch nicht rechtskräftig
Erst im Dezember hatte ein Istanbuler Gericht Imamoglu zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt, weil er die Mitglieder des Obersten Wahlrats als „Dummköpfe“ bezeichnet hatte. Wird das Urteil rechtskräftig, darf sich Imamoglu für die Dauer der Strafe nicht politisch betätigen. Er verlöre dann sein Amt als Oberbürgermeister und könnte auch nicht bei der Präsidentenwahl kandidieren.
Sechs Oppositionsparteien wollen mit einem gemeinsamen Kandidaten gegen Erdogan antreten. Es geht ihnen nicht nur darum, den Staatschef abzulösen. Sie wollen mit einer Verfassungsänderung das 2018 eingeführte, ganz auf Erdogan zugeschnittene Präsidialsystem wieder abschaffen und zur parlamentarischen Demokratie zurückzukehren. Wer gegen Erdogan antreten soll, ist noch unklar. Eine Entscheidung könnte am 26. Januar fallen. Dann ist das nächste Treffen der sechs Parteivorsitzenden. Imamoglu gehört zu den Favoriten. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ORC von Anfang Januar kam Imamoglu auf 47 Prozent der Stimmen, Erdogan auf knapp 42 Prozent. Aber ob die Oppositionsparteien angesichts eines drohenden Politikverbots Imamoglu nominieren, ist fraglich.
Für Erdogan wäre der 52‑jährige Imamoglu ein Angstgegner. 2019 gewann er die Bürgermeisterwahl in Istanbul gegen den Erdogan-Vertrauten Binali Yildirim. Zuvor hatte die Erdogan-Partei AKP Istanbul kontrolliert. Für Erdogan war Imamoglus Sieg auch eine persönliche Schmach: 1994 hatte er seine politische Karriere als Oberbürgermeister der Bosporusmetropole begonnen. „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei“, heißt es. Jetzt wird Erdogan alles daransetzen, dass sich dieser Spruch nicht bewahrheitet.