Deutsche Botschafterin in Kiew: Empfinden russische Luftangriffe „definitiv als Terror“
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Deutschlands Botschafterin in Kiew, Anka Feldhusen, bei einem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Kiew im Juni.
© Quelle: Ludovic Marin/AFP POOL/AP/dpa
Berlin. Frau Feldhusen, der russische Präsident Putin hat die Ukraine und die Hauptstadt Kiew in den vergangenen Wochen mit schweren nächtlichen Luftangriffen überzogen. Wie haben Sie in den letzten Nächten geschlafen?
In den meisten Nächten sehr schlecht. Ganz ehrlich, wenn Sie nachts immer bei Alarm ein erstes Mal und dann bei der Entwarnung ein zweites Mal aus dem Tiefschlaf geholt werden, dann ist das sehr anstrengend. Mittlerweile schlafe ich dazwischen manchmal tatsächlich wieder ein. Aber es ist erstaunlich, wie schnell man sich auch wieder erholen kann. Die Sonne scheint, wenn wir aus dem Schutzraum kommen, wir haben fantastisches Wetter, und das Team hier in der Botschaft ist einfach toll. Aber wir hoffen natürlich alle, dass diese Angriffe nicht mehr so lange andauern.
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Wie geht es denn den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Botschaft in dieser Situation?
Wir sind hier weiter unglaublich motiviert, unsere Arbeit, so gut es geht, zu machen und uns nicht unterkriegen zu lassen. Wir spüren die nächtlichen Luftalarme und sind alle ein bisschen müder. Ich versuche, dem Team aber auch Möglichkeiten zu geben, sich zu erholen, indem wir zum Beispiel später anfangen zu arbeiten.
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Die deutsche Botschaft in Kiew.
© Quelle: picture alliance/dpa
Für Ihre ukrainischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die Situation wahrscheinlich besonders belastend.
Ja, wir haben einige Kolleginnen, deren Männer kämpfen. Ich glaube aber, diese Kolleginnen freuen sich besonders, dass sie in ihrem bekannten Umfeld arbeiten, sich ablenken und für ihre Kinder eine starke Mutter sein können. Ich versuche wirklich, genau hinzuschauen, auch zu merken, wenn die Situation die Kolleginnen vielleicht auch manchmal überfordert. Und dadurch hat sich in der Botschaft eine besondere Atmosphäre des Aufeinander-Aufpassens entwickelt. Nicht nur bei mir, sondern bei allen Entsandten, die wirklich ganz genau gucken, wie es ihren Lokalbeschäftigten geht.
„Meine Mutter macht sich doch viele Sorgen“
Was können Sie denn unternehmen, wenn Sie merken, dass Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter überfordert sind?
Ich rede viel mit ihnen, das ist einfach der erste Schritt, damit sie sich tatsächlich öffnen. Vor allen Dingen sage ich ihnen immer, falls etwas mit den Kindern oder den Eltern ist, dann sollen sie nur kurz Bescheid sagen und danach sofort losfahren. Ich weiß, dass diese Kolleginnen und Kollegen hoch motiviert sind. Die machen das nicht, weil sie nicht arbeiten wollen, sondern sie machen es, weil es wirklich wichtige Dinge im privaten Umfeld gibt, die erledigt werden müssen.
Wie läuft es bei Ihnen konkret ab, wenn Luftalarm gegeben wird? Gehen Sie denn abends überhaupt noch in Ihr Bett und warten dann auf den Alarm, oder schlafen Sie sowieso schon im Luftschutzraum?
Wir sagen uns mittlerweile alle, es würde vielleicht mehr Sinn ergeben, wenn wir gleich im Bunker schlafen. Und wir haben alle unsere Schutzräume mittlerweile so ausgestattet, dass wir das könnten. Dennoch tun wir das nicht. Wir wollen diese Situation nicht zur „Normalität“ oder Gewohnheit werden lassen. Wir wollen weiter zeigen, wir schlafen ganz normal in unseren Schlafzimmern und gehen dann in den Bunker, wenn es sein muss. Und so handhaben das auch alle, die ich kenne.
Wie gehen Ihre Angehörigen in Deutschland damit um?
Meine Mutter und mein Sohn lesen die Nachrichten. Meistens schreibe ich, sobald der Angriff vorbei ist, dass alles gut ist, und dann ist es auch okay. Aber gerade meine Mutter macht sich doch viele Sorgen.
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Ein deutsches Flugabwehr-Waffensystem vom Typ Iris-T.
© Quelle: Wolfgang Kumm/dpa
Deutschland hat mit zum Beispiel mit Systemen wie Iris-T zur Luftverteidigung der Ukraine beigetragen. Gelingt es den Ukrainern, die Angriffe abzuwehren?
Kiew wird meist von Marschflugkörpern und Drohnen angegriffen, dagegen ist die ukrainische Luftverteidigung schon seit Januar wirklich fast zu 100 Prozent effektiv. Das heißt, die Angst, dass wirklich eine Rakete einschlägt, ist gar nicht so groß. Allerdings werden trotzdem Menschen durch herabfallende Trümmerteile von abgeschossenen Raketen verletzt oder getötet. Neu in den letzten Wochen ist, dass die russischen Raketen immer wirklich erst über Kiew abgeschossen worden sind, was einfach unglaublich laut ist. Und wir hatten jetzt zuletzt auch den Beschuss mit ballistischen Raketen etwa vom Typ Kinschal. Die wurden zwar auch abgeschossen, aber da ist die Vorwarnzeit sehr kurz. Da haben wir nur etwa fünf Minuten, um in den Schutzraum zu gehen. Das ist mitten in der Nacht natürlich nicht viel Zeit.
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Das Krisen-Radar
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Wie lang ist die Vorwarnzeit bei den Marschflugkörpern und Drohnen?
Da haben wir regelmäßig zwischen einer halben und einer Stunde Zeit.
Wie empfinden Sie und die Menschen in der Ukraine diese russischen Luftangriffe?
Die Kolleginnen und Kollegen und ich empfinden es definitiv als Terror, ein Nachbarland mit Raketen zu beschießen. Das gilt wahrscheinlich für alle Menschen in Kiew und in der Ukraine.
Gelingt es Russland, die Bevölkerung damit mürbe zu machen?
Im Winter gingen die Luftangriffe ja noch mit Strom- und Wasserabschaltungen und mit vielen dunklen Stunden einher. Da hat sich schon gezeigt, dass dieses Land sich nicht mürbe machen lässt. Für uns als Deutsche hier in Kiew ist es auch immer wieder ein Extraschub für unsere Motivation zu sehen, wie die Ukrainerinnen und Ukrainer damit umgehen. Hier lässt sich trotz manchmal auftauchender Müdigkeit niemand mürbe machen. Das Land hält weiter extrem stark zusammen. Und wir möchten dabei helfen.