Wie Deutschland und Frankreich sich näherkamen

Das Geheimnis der Power-Paare

Frankreichs Staatspräsident Valery Giscard d'Estaing (links) und Bundeskanzler Helmut Schmidt am 16.6.1977 im Bundeskanzleramt in Bonn.

Frankreichs Staatspräsident Valery Giscard d'Estaing (links) und Bundeskanzler Helmut Schmidt am 16.6.1977 im Bundeskanzleramt in Bonn.

Krise als Chance? Vielen erscheint das als hohle Parole. Doch in den Jahren nach der Ölkrise von 1973 führten Frankreich und Deutschland tatsächlich einmal aller Welt lehrbuchhaft vor, wie Europa sich auf kluge Art herausarbeiten kann aus einer misslichen Lage: durch mehr Zusammenarbeit.

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Nie erlebte der Alte Kontinent einen so kreativen neuen Schub, intellektuell und konzeptionell, wie durch das Gespann Helmut Schmidt und Valéry Giscard d‘Estaing. Der deutsche Kanzler und der französische Präsident arbeiteten nicht in vorgefundenen Strukturen, sondern schufen neue, gleich reihenweise.

  • Gemeinsam baten Giscard und Schmidt andere westliche Staatenlenker zum ersten „Kamingespräch“ nach Rambouillet – daraus wurden später die G7-Treffen.
  • Giscard und Schmidt wirkten auf ein erstes europäisches Währungssystem hin, mit begrenzten Schwankungsbreiten für Wechselkurse – daraus wurde später der Euro.
  • Zudem brachten Giscard und Schmidt die europäischen Institutionen in Schwung: durch regelmäßige Gipfeltreffen der Regierungschefs und die erste Direktwahl des Europaparlaments im Jahr 1979. Daraus wurde der quicklebendige EU-Politikbetrieb, wie wir ihn heute kennen.

Europa wurde in jenen Jahren zu einem attraktiveren Wirtschaftsstandort. Nie dagewesene Summen flossen in die Technologieförderung, die Nutzung der Atomkraft senkte die Abhängigkeit von saudischem Öl.

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Das ganz große weltpolitische Tennis

Möglich wurde dieser Gleichklang durch Absprachen zwischen Bonn und Paris, die so eng waren wie noch nie. Giscard sagte in einem Interview im Jahr 2015: „In der Zeit von Helmut Schmidt und mir wurde keine Entscheidung, keine deutsche und keine französische, isoliert getroffen. Wir haben uns stets vorher abgestimmt und gemeinsam entschieden, was die beste Lösung wäre.“ Mindestens einmal pro Woche, notfalls aber täglich, telefonierten Schmidt und Giscard miteinander.

Es gab ein zweites – unausgesprochenes – Geheimnis. Giscard und Schmidt sahen sich gleichermaßen als globale Führungspersönlichkeiten und liebten das ganz große weltpolitische Tennis. Ob es um die Nato-Nachrüstung ging oder die Lage im Iran: Mit dem US-Präsidenten Jimmy Carter redeten der Deutsche und der Franzose so selbstbewusst, als wollten sie ihm Nachhilfe erteilen. Giscard und Schmidt wussten, dass sie diesen Einfluss nur entfalten können, wenn sie am gleichen Strang ziehen – was ihnen immer wieder auf spektakuläre Weise gelang.

Legendärer Gipfel: Bundeskanzler Helmut Schmidt (l.), US-Präsident Jimmy Carter, der französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing und der britische Premierminister James Callaghan im Januar 1979 auf der französischen Karibikinsel Guadeloupe.

Legendärer Gipfel: Bundeskanzler Helmut Schmidt (l.), US-Präsident Jimmy Carter, der französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing und der britische Premierminister James Callaghan im Januar 1979 auf der französischen Karibikinsel Guadeloupe.

Legendär bleibt der viertägige Vierergipfel von Guadeloupe im Januar 1979. Es gibt kaum Dokumente von dem informell abgehaltenen Treffen. Historiker sind sich aber einig: Damals verabredeten Frankreich, Deutschland, die USA und Großbritannien Weichenstellungen, deren Auswirkungen über die Amtszeit aller am Gipfel Beteiligten weit hinausreichten. Dass der deutsche Kanzler auf dieser Ebene überhaupt mitreden durfte, war eine kleine Sensation für die erst seit 30 Jahren existierende Bundesrepublik. Schmidt hatte es seiner Freundschaft mit dem französischen Präsidenten zu verdanken.

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Frankreich blickte auf Kohls Tränen

Dass Giscard ein Liberaler war und ein französischer Großbürger, der auch schon mal auf Großwildjagd ging, störte den bescheidenen Hamburger Sozialdemokraten Helmut Schmidt nicht. Eine Sozialisation in verschiedenen politischen Lagern war auch kein Problem für Helmut Kohl und Francois Mitterrand. Der deutsche Christdemokrat und der französische Sozialist waren am Ende ihrer gemeinsamen Tage ein Herz und eine Seele. Als Mitterrand 1996 starb, zeigte das französische Fernsehen einen weinenden Bundeskanzler Kohl bei der Trauerfeier in Paris.

Oft werden Rückblicke auf Kohl und Mitterrand aufs Emotionale reduziert. Tatsächlich hat ihr berühmt gewordener Handschlag von Verdun am 22. September 1984 zum 70. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs unzählige Franzosen und Deutsche tief bewegt. Nie waren die Regierenden auf beiden Seiten so weit entfernt von der jahrzehntelang beschriebenen „Erbfeindschaft“.

Ein Bild, bei dem es um Geschichte geht – und das auch seinerseits Eingang in die Geschichtsbücher fand: Francois Mitterrand und Helmut Kohl am 22. September 1984 in Verdun.

Ein Bild, bei dem es um Geschichte geht – und das auch seinerseits Eingang in die Geschichtsbücher fand: Francois Mitterrand und Helmut Kohl am 22. September 1984 in Verdun.

Mitterrand gab, nach anfänglichen Bedenken im Moment des Mauerfalls 1989, der deutschen Einheit seinen Segen. Frankreich unterstützte auch die nachfolgenden Anstrengungen zum Zusammengehen von West- und Osteuropa.

Die erstaunlichste Leistung von Kohl und Mitterrand lag aber darin, dass sie den Mut hatten, die gemeinsame europäische Währung, von der viele nur redeten, gegen viele Widerstände tatsächlich durchzusetzen. „Wir schaffen dieses neue Europa jetzt und nicht irgendwann“, blaffte Kohl Reporter an, die nach einem seiner unzähligen Treffen mit Mitterrand fragten, ob es nicht angesichts vieler absehbarer Probleme mit der neuen Währung besser sei, deren Einführung zu verschieben.

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Kohl und Mitterrand schöpften den Elan, der zum Euro führte, eher aus dem Politischen als aus dem Ökonomischen. Beide hatten noch den Krieg erlebt. Die gemeinsame Währung, das war ihr Wille, sollte die Europäer ein für allemal zusammenschweißen, auch und gerade „für den Fall, dass eines Tages der Nationalismus nach Europa zurückkehrt“, wie Kohl sagte. Seine Warnungen klangen seinerzeit für viele etwas hergeholt, erwiesen sich aber, wie man heute weiß, als berechtigt.

Ein neuartiger Block gegen die USA

Als weltpolitisch einflussreich erwies sich auch das deutsch-französische Duo Gerhard Schröder und Jacques Chirac. Im Konflikt um den von US-Präsident George W. Bush vorangetriebenen Irak-Krieg rückten der deutsche Sozialdemokrat und der französische Konservative überraschend eng zusammen. Zuletzt bildeten Deutschland und Frankreich sogar einen neuartigen westeuropäischen Block gegen die USA – der allerdings den Krieg nicht zu verhindern vermochte.

In engem Takt trafen sich Schröder und Chirac 2003 und 2004 zu Dreiergipfeln mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin – der in jenen Jahren seinen Einfluss auf Deutschland und Frankreich systematisch ausbaute. Zurück blieb eine noch viele Jahre nachwirkende politische Spaltung der EU und der Nato.

Block gegen Bush: Frankreichs Präsident Jacques Chirac (l.), Russlands Präsident Wladimir Putin (M.) und Bundeskanzler Gerhard Schröder (r.) im August 2004 in Sotschi.

Block gegen Bush: Frankreichs Präsident Jacques Chirac (l.), Russlands Präsident Wladimir Putin (M.) und Bundeskanzler Gerhard Schröder (r.) im August 2004 in Sotschi.

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Nach dieser durchwachsenen Vorgeschichte blieb Angela Merkel, seit 2005 an der Macht, erstmal auf Distanz zu Chirac. Sie wollte die neu entstandenen Trennlinien in Europa nicht noch vertiefen.

Auch mit Nicolas Sarkozy (2007-2012) wurde Merkel nicht recht warm: Der Franzose war ihr immer wieder zu sprunghaft. Erst wollte Sarkozy zum Beispiel dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi einen Atomreaktor verkaufen, später trachtete er dann nach dessen militärischer Entmachtung. Berlin fand weder das eine noch das andere überzeugend. Immerhin aber fanden Merkel und Sarkozy in der pragmatischen Bekämpfung der Euro-Krise zusammen. Die gemeinsame Währung sei durch „Merkozy“ gerettet worden, hieß es seinerzeit in vielen Kommentaren.

Rühe, Struck  - Montage: Nils Weinert

„Du musst zurückbrüllen“: Fünf Tipps für Pistorius

Wie muss man sein, um im Verteidigungsministerium Erfolg zu haben? Volker Rühe (CDU) und Peter Struck (SPD) entwickelten in diesem Amt einst ihre ganz eigenen Methoden. Zum Thema Führungsstil hinterließen sie ein paar Bemerkungen, die man heute lesen kann wie eine Sammlung weiser Ratschläge an den Neuling Boris Pistorius.

Der Sozialist Francois Hollande, französischer Präsident von 2012 bis 2017, bescheinigt der Kanzlerin in einem später erschienenen Buch, sie sei stets „seriös, intelligent und darauf bedacht gewesen, eine Balance zu finden“. In Stunden der Not, etwa nach dem Bataclan-Terror in Paris, zeigte Merkel sich einfühlsam und nah. Seite an Seite investierten Hollande und Merkel viel Zeit und Mühe bei dem Versuch, den Ukraine-Konflikt zu entschärfen. Die Tricksereien Russlands aber schienen beide nicht komplett zu durchschauen. Europapolitisch blieb dieses deutsch-französische Duo relativ einfallslos. Ein Grundkonflikt wollte niemals weichen: Hollande wünschte weniger Spardruck auf sein eigenes Land und auf die EU. Merkel aber blieb streng, Hollandes gesamte Amtszeit hindurch.

Mit Emmanuel Macron, Präsident seit 2017, blieb es anfangs schwierig. Macron trat nach wenigen Monaten im Amt als EU-Reformer hervor und präsentierte an der Pariser Universität Sorbonne eine „Initiative für Europa“. Merkel reagierte unterkühlt.

Bis heute wird gerätselt, warum. Hatte Macron ganz generell ihre Allergie gegen Pathos und Gockelei getriggert? Oder hätte sie, die in diesem Moment immerhin schon zwölf Regierungsjahre auf dem Buckel hatte, einen vorab zwischen Paris und Berlin abgestimmten Plan besser gefunden?

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Wange an Wange

Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2018 bei der Verleihung des Karlspreises der Stadt Aachen an den französischen Staatspräsidenten.

Immerhin: Das Verhältnis Macron-Merkel wurde mit den Jahren besser und produktiver. Als machtpolitisches Meisterstück der beiden gilt die Installation der Deutschen Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin und der Französin Christine Lagarde als Präsidentin der EZB im Jahr 2019. Einen Preis für Transparenz bei Führungsentscheidungen gewannen Macron und Merkel damals nicht. Doch sie haben damit weit über den Tag hinaus viel bewegt: Seither wird Europa rund um die Uhr deutsch-französisch geführt, aus Brüssel und aus Frankfurt – sogar an Tagen, an denen sich in Berlin und Paris vielleicht gerade mal niemand um Europa kümmert.

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