Mehrere Milliarden Euro für PCR-Tests? Kosten laut Lauterbach „zu hoch“
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Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, räumt ein, dass die PCR-Testkosten "zu hoch" gewesen sind. (Archivbild)
© Quelle: Carsten Koall/dpa/Archivbild
Köln. Mehr als sechs Milliarden Euro haben Staat und Krankenkassen bisher für PCR-Tests in der Corona-Pandemie ausgegeben. Laut Recherchen von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ hätten sie jedoch einen großen Teil der Summe sparen können.
Internen Dokumenten zufolge, die WDR, NDR und SZ vorliegen, sollen Ärztefunktionäre viel zu hohe Erstattungspreise für die Labore ausgehandelt haben. Demnach habe es die Testmaterialien auf dem Markt deutlich günstiger gegeben, als Ärztevertreter in Preisverhandlungen mit den Krankenkassen angegeben haben. Laut Recherche hätten die Materialkosten bei den Verhandlungen im Mai 2020 bei 22,02 Euro gelegen - auf dem freien Markt hingegen verkauften zu dieser Zeit mehrere Anbieter zertifizierte Testkits für vier bis sieben Euro.
Lauterbach: PCR-Tests waren zu teuer
Auf Anfrage von WDR, NDR und SZ räumte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein, dass die Preise für PCR-Tests „zu hoch“ gewesen seien. „Ich habe sie dann um mehr als die Hälfte abgesenkt. Trotzdem kommen die Anbieter mit dem Geld aus. Daher können die Kosten also nicht höher sein als das, was jetzt bezahlt wird.“ Das Gesundheitsministerium selbst antwortete auf detaillierte Fragen knapp: Die Vergütung orientiere sich an den „relevanten Kostenfaktoren“.
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Das Gesundheitsministerium unter dem ehemaligen Minister Jens Spahn soll den Recherchen zufolge bereits Ende Januar 2020 Druck gemacht haben, einen Preis von 59 Euro pro PCR-Test zu akzeptieren, wie die „Süddeutsche“ berichtet. Auf Anfrage teilte Spahn mit, keine konkreten Fragen zu den damaligen Preisverhandlungen beantworten zu können, da er keinen Aktenzugang mehr habe. Er betonte gegenüber WDR, NDR und SZ jedoch, die Verfügbarkeit von schnell und verlässlich hergestellten PCR-Tests, sei „gerade im schweren ersten Jahr ein zentrales Mittel der Pandemie-Bekämpfung“ gewesen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung habe auf Anfrage des Rechercheteams keine Belege für ihre Berechnungen vorlegen wollen. Sie teilte lediglich mit, dass gerade zu Beginn der Pandemie „erhebliche Marktengpässe bei Reagenzien und Materialien auftraten, die zu einem langfristig hohen Preisniveau beigetragen haben.“ Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts haben zu dieser Zeit 30 von 170 Laboren über Knappheit geklagt. Gleichzeitig bauten die Labore ihre Kapazitäten in diesen Wochen massiv aus.
Gesetzliche Krankenkassen beklagen „Informationsungleichgewicht“
Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, hat die Finanzierung von teuren PCR-Tests wiederum verteidigt. „Es ist halt immer leicht im Nachhinein zu sagen, was man vorher hätte besser machen können“, sagte er am Montag im Deutschlandfunk. Zu Beginn der Pandemie habe man noch nicht viel über das Virus gewusst. Es sei darum gegangen, schnell und viel zu testen, Testkapazitäten zu schaffen und Akteure zu animieren, diese Tests anzubieten und durchzuführen. „Und dass man da sicherlich auch anders oder günstiger hätte vergüten können, im Nachgang zeigt sich das jetzt.“
Heute erhalten die Labore noch rund 30 Euro für einen PCR-Test, inklusive Personal-, Transport- und sonstiger Kosten. Laut der gesetzlichen Krankenkassen gebe es ein „Informationsungleichgewicht“: „Die Ärzteschaft, die auch die Labore vertreten, die wissen deutlich mehr über die echte Kostenstruktur in den Laboren“, sagt Sprecher Lanz WDR, NDR und SZ. Die Kassen hätten unter Druck gestanden, die Versorgung von 73 Millionen Versicherten sicherzustellen.
Der gemeinsamen Recherche zufolge soll auch der Lobby-Verein „Akkreditierte Labore in der Medizin“ (ALM) im Gesundheitsministerium unter Jens Spahn großen Einfluss gehabt haben. Demnach sollen mehrfach Referentenentwürfe nach Vorschlägen der ALM abgeändert worden sein. Der Lobby-Verein habe sich somit erfolgreich für die Beibehaltung höherer Testpreise und die Beteiligung von Zahnärzten und Veterinärmedizinern an den Tests eingesetzt. Der ALM äußerte sich gegenüber WDR, NDR und Süddeutsche nicht dazu. Die Recherchen beziehen sich auf „mehr als 1000 Seiten“ interner Akten aus dem Gesundheits- und Wirtschaftsministerium und weitere vertrauliche Dokumente
FDP-Generalsekretär will Untersuchungsausschuss wegen PCR-Tests
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai fordert nun wegen der möglichen Verschwendung von Milliardensummen bei der Finanzierung von PCR-Tests in der Corona-Pandemie eine Aufarbeitung im Bundestag. „Neben den Masken-Deals von Politikern von CDU und CSU stellen die viel zu hohen PCR-Preise nun offenbar einen weiteren rechtlichen Tiefpunkt in der Pandemiepolitik dar, für die die Union Verantwortung zu übernehmen hat. Diese neuerlichen Enthüllungen können nicht ohne Konsequenzen bleiben - die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf vollumfängliche Aufklärung“, sagte Djir-Sarai am Montag der Deutschen Presse-Agentur.
Er forderte, der Bundestag solle einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen, um „diesen mehr als fragwürdigen Vorfällen auf den Grund zu gehen“. Auch wenn die Pandemie vorbei sei, dürfe die Aufarbeitung von Verfehlungen der damaligen Verantwortlichen auf keinen Fall unter den Tisch fallen.
RND/al/dpa