Trans Aktivistin Phenix Kühnert: „Ich wünsche mir Respekt“
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In Lübeck aufgewachsen, in Berlin zu Hause und trans: Aktivistin Phenix Kühnert (27).
© Quelle: HFR
Lübeck. Heute ist sie bei sich angekommen – aber das war nicht immer selbstverständlich: In ihrem Buch „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau“ (Haymon-Verlag) erzählt die 27-jährige Phenix Kühnert von ihrem Leben und ihrem Aufwachsen außerhalb der Norm. In der Schule galt Phenix, die damals noch anders hieß, als schwuler Mann – fühlte sich damit aber nicht wohl: Sie beschloss, ihre Weiblichkeit zuzulassen, ging von Lübeck nach Berlin und setzt sich sehr aktiv für mehr Toleranz und Diversität ein – und möchte am liebsten für Deutschland beim nächsten ESC antreten.
Sind Sie genervt, wenn man Sie fragt, wie die richtige Bezeichnung für Sie ist?
Ja, da mir dadurch das Gefühl gegeben wird, andersartig zu sein. Dabei bin ich einfach eine Frau – eine mit einer Lebenserfahrung, die für manche nicht ganz so alltäglich ist. Ich habe inzwischen im beruflichen Kontext Distanz zu mir als Privatperson aufbauen können, was die Situation für mich entspannt.
Darf man sagen, dass Sie mal ein Mann waren?
Das würde ich so nicht formulieren, weil es etwas Falsches impliziert. Ich würde sagen, ich wurde als Frau geboren – mit einem Körper, dem bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde. Das habe ich mit der Zeit erkennen und anpassen können.
Wie?
Das geht vom frühen Fingernagellackieren bis hin zu einer Hormontherapie, durch die sich mein Körper verändert und durch die beispielsweise das Brustwachstum angeregt wurde. Um die souveräne, selbstbewusste Frau von heute sein zu können, habe ich nicht nur Äußerlichkeiten angepasst, sondern auch an meinem Inneren gearbeitet. Ein Prozess, der über die Jahre mit vielen Veränderungen vonstattenging, damit ich heute in mir ankommen konnte.
Raus aus der Komfortzone
Können Sie nachvollziehen, dass viele Menschen Schwierigkeiten haben, aktuelle Themen wie Genderdiskussionen, Transidentität und Diversität zu verstehen?
Ich glaube, das ist Einstellungssache. Wenn ich etwas nicht will, dann geht es eben nicht. Wenn man aber seinem Gegenüber respektvoll begegnen möchte, dann gibt es manche Punkte, an denen man aus der Komfortzone raus und sich zu bestimmten Themen informieren muss. Es ist keine Schande, diskriminierende Gedankenstrukturen beigebracht bekommen zu haben, aber es ist unsere Aufgabe, sich aktiv dagegenzustellen.
Es ist trotzdem schwer, bei Begriffen wie „cis“, „binär“ oder „queer“ hinterherzukommen.
So kompliziert ist das gar nicht. Ich glaube, in der Welt, in der wir heute leben, haben wir eine gewisse Pflicht, uns mit den Diskriminierungserfahrungen anderer Menschen auseinanderzusetzen. Wissen und Aufklärung sind extrem wichtig, weil sie Angst nehmen und Verständnis schaffen. Und die Welt wird dadurch nur ein bisschen vielfältiger, wenn man sich öffnet – ich kann aus eigener Erfahrung sagen, das macht ganz schön viel Spaß.
Wirklich neu ist Diversität ja auch nicht.
Nein. Menschen, die von der Norm abgewichen sind, hat es schon immer gegeben, sie wurden nur oft an den Rand der Gesellschaft gedrängt, was zu sehr wenig Sichtbarkeit führte. Heute hoffe ich, einen Beitrag zur positiven Veränderung zu leisten.
Was ist schon „normal“?
Sie haben sich kürzlich auf Instagram mit einem Schild gezeigt, auf dem stand „Diversität ist die wahre Normalität“ – haben Sie das Gefühl, unnormal zu sein, weil Sie so wahrgenommen werden?
Ich finde das Wort „normal“ sehr schwierig. Was ist schon normal? Wenn ich mich in meinen Kreisen bewege, ist mein Lebensmodell völlig normal. Man muss nicht queer sein, um von der Norm abzuweichen. Nicht schlank, erfolgreich oder normschön zu sein kann ebenfalls ausreichen. Wir müssen weg von diesem Missstand, dass Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, Sexualität oder Identität diskriminiert werden.
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Sie stammen aus Lübeck. Wie würden Sie Ihr Aufwachsen hier beschreiben?
Grundsätzlich idyllisch. Ich bin in einer sehr intakten, privilegierten, liebevollen Familie groß geworden.
Idyll und Mobbing in Lübeck
Wie verlief Ihre Schulzeit?
Ich war schon früh eine sehr polarisierende Person, dafür wurde ich natürlich gemobbt. Aber ich hatte immer meine Freundinnen auf meiner Seite. So hielt sich die Waage zwischen Anfeindungen und Freundschaften.
Sie haben eine Zeit geglaubt, schwul zu sein, richtig?
Ja, ich habe gedacht, meine Identität sei, dass ich ein Mann bin mit einem großen femininen Anteil in mir, den ich nur ausleben müsse. Aber Transsein geht ja viel tiefer. Es gab viele Momente, von der frühen Kindheit an, in denen ich gemerkt habe, dass ich mich in meinem Körper und meiner gesellschaftlich aufgezwungenen Rolle nicht wohlfühle.
Waren Ihre Eltern darüber im Bilde?
Mit Anfang 20 hab ich sie immer mehr an diesem Prozess teilhaben lassen. Ich konnte ihnen sagen: „Das, was bei mir von der Norm abweicht, ist nicht meine Sexualität, sondern meine Geschlechtsidentität.“ Sie sind sehr liebe, tolerante Menschen und zählen heute zu meinen engsten Vertrauten.
Stolpersteine im Alltag
Können Sie über typische Stolpersteine im Alltag berichten?
Öffentliche Toiletten waren eine Zeit sehr schwierig, vor allem, als ich optisch noch nicht als hundertprozentig weiblich wahrgenommen wurde. Das ist seit ungefähr zwei Jahren aber kein Problem mehr. Verreisen mit Personalausweis ist heute noch teilweise problematisch, weil ich dort noch meinen alten Namen stehen habe. Aufgrund des geltenden Transsexuellengesetzes ist es nicht einfach, seinen Namen und seinen Personenstand offiziell zu ändern. Das Gesetz sieht vor, dass man viele, teils sehr indiskrete, Untersuchungen und Gutachten über sich ergehen lassen muss, bis eine Namensänderung möglich ist. Deswegen ist reisen oft unangenehm, weil man komisch angeguckt oder angesprochen wird, wenn Name und Optik in den Augen anderer nicht zusammenpassen.
Klingt tatsächlich unangenehm.
Ja, und es ist auch gefährlich. Das Jahr 2021 war in den USA das tödlichste für trans Menschen, seit es Statistiken darüber gibt. Auch in Berlin wurden in dem Jahr so viele Straftaten an queeren Menschen polizeilich erfasst wie noch nie. Und die Dunkelziffer ist immens hoch.
Bewerbung für ESC-Vorentscheid
Sie haben einen Song namens „When We Dance“, mit dem Sie sich jetzt offiziell für den ESC-Vorentscheid beworben haben. Wie kam es dazu?
Das war schon immer mein größter Traum. Gemeinsam mit wahnsinnig talentierten Menschen bin ich diesem nun einen Schritt nähergekommen. Ich hoffe, dass ich euch bald wieder ein Interview geben darf, und dann geht es darum, wie ich Deutschland beim Eurovision Song Contest vertrete! (lacht)
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Wie weit, glauben Sie, ist die Gesellschaft davon entfernt, dass Diversität die wahre Normalität ist?
Es gibt solche und solche Tage. An manchen habe ich das Gefühl, dass die queere Community kurz davor ist, akzeptiert zu werden. Die Gesetzeslage in Deutschland gegenüber trans Personen ist zwar nach wie vor diskriminierend, dennoch ist sie aber so gut, wie sie noch nie war ... an anderen Tagen glaube ich, dass es noch viel zu tun gibt für mehr Aufklärung und Akzeptanz.
Was wünschen Sie sich?
Respekt. Wenn wir uns respektvoll begegnen, ist einiges möglich. Betroffenen zuhören, Privilegien reflektieren, das wünsche ich mir.
Dieser Artikel erschien zuerst bei den „Lübecker Nachrichten“.