Lehrer aus Kiel warnt auf Youtube: Ich habe nicht mal zwei Minuten Zeit pro Schüler
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Mathe- und Physiklehrer René Freiberg macht seinen Job am Gymnasium gerne. Dass die Ratschläge der Wissenschaftler den Lehrerberuf für andere junge Menschen attraktiver machen, bezweifelt er aber.
© Quelle: Ulf Dahl
Kiel. Weniger Teilzeit oder größere Klassen? Die Vorschläge der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz gegen den Lehrermangel sind in vielen Kollegien mit Kopfschütteln aufgenommen worden. Aber was genau soll daran so falsch sein? Der Kieler Mathe- und Physiklehrer René Freiberg hat sich mit den Ideen auseinandergesetzt – und nimmt sie in einem Youtube-Video auseinander.
„Der Beruf als Lehrkraft ist seit einiger Zeit nicht mehr der attraktivste. Aus der Arbeit heraus kann ich das eigentlich nicht nachvollziehen, denn ich mache den Job sehr gerne“, sagt der 29-jährige Freiberg. Aber die Wochenarbeitszeit sei nicht zu unterschätzen. Lehrkräfte seien zunehmend mit Zusatzaufgaben belastet, die nicht direkt mit ihrem Unterricht verbunden sind.
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Weniger Flexibilität bei Arbeitszeit macht Lehrerjob für jüngere Generation unattraktiver
„Weniger Möglichkeiten für Teilzeit zu geben oder die Arbeitszeit zu verlängern, das ist bei einem Mangel nicht die richtige Reaktion“, findet der Gymnasiallehrer. Sicherlich würde das kurzfristig mehr Lehrkräfte in die Klassen bringen – doch wenn es dafür nicht eine Entlastung an anderer Stelle geben sollte, werde das nach hinten losgehen.
Gerade die jüngere Generation zwischen 20 und 30 Jahren schaue bei den Arbeitszeiten ganz genau hin. Die jungen Menschen seien sich darüber bewusst, dass die Personalnachfrage hoch ist und sie gut ausgebildet sind.
Jeder Wirtschaftsbetrieb, der Mangel habe, werbe um neue Kräfte. Und auch in anderen Arbeitsfeldern nehme die Flexibilität eher zu. Dass eine Lehrkraft sich den Nachmittag frei einteilen und die Vorbereitungs- oder Korrekturzeit auch auf den Abend schieben kann, sei kein Alleinstellungsmerkmal mehr. „Wenn jetzt die Flexibilität des Berufs durch Teilzeitbegrenzung reduziert würde, nimmt das dem Job noch mehr an Attraktivität.“
Hohe Frauenquote im Lehramt sorgt für hohe Teilzeitquote
Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten im Schuljahr 2021/2022 von den bundesweit rund 709.000 Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen 40,6 Prozent in Teilzeit. Das sei der höchste Stand der vergangenen zehn Jahre. Demnach ist die Teilzeitquote bei Lehrerinnen mit 48,2 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Lehrern (20,1 Prozent). In anderen Jobs haben deutlich weniger Menschen ihre Arbeitszeit reduziert, über alle Wirtschaftsbereiche hinweg arbeiten 29,9 Prozent der abhängig Beschäftigten in Teilzeit. Allerdings ist die Frauenquote im Lehramt mit 73 Prozent auch viel höher als in anderen Branchen (48 Prozent). Während in Hamburg sogar mehr als die Hälfte des Lehrpersonals in Teilzeit arbeitete, waren es in Schleswig-Holstein zuletzt 44,9 Prozent. Gut ein Viertel der Lehrkräfte im Land ist zwischen 50 und 59 Jahre alt und 11,6 Prozent über 60 Jahre alt. Demgegenüber stehen nur 7,3 Prozent an Berufseinsteigern unter dreißig, rund 26 Prozent macht die Gruppe der 30- bis 40-Jährigen aus.
Sollten Unterrichtsblöcke verlängert werden?
Im Bereich der Verwaltung könnte Lehrkräften viel abgenommen werden, glaubt Freiberg. Das schlägt auch die SWK vor. „Stundenplan-, Vertretungsplan- und Klausurplanerstellung sowie die IT-Verwaltung könnte an anderes Personal abgegeben werden“, sagt der Lehrer. Den Gedanken, dass auch die Korrektur von Klausuren durch Studenten erfolgen könnte, findet er schwierig.
Aus seiner Sicht wäre es hilfreich, wenn 60-Minuten-Blöcke statt 45 Minuten unterrichtet würden. „Das nimmt Druck für die Vorbereitung raus, weil man zwar nicht insgesamt weniger Zeit vor der Klasse stünde, aber weniger einzelne Stunden planen müsste.“
Es gebe schon Schulen, die nach eigener Entscheidung in diesem Takt unterrichten. Dafür müssten aber die vorgegebenen Stundenkontingente, die auf 45 Minuten ausgerichtet sind, angepasst werden. Das sorge für enormen Verwaltungsaufwand.
Eine Minute und 44 Sekunden Zeit pro Schülerin und Schüler
Die SWK schlägt vor, die bundesweit variierenden maximalen Klassengrößen auszuschöpfen und Obergrenzen sogar zeitlich begrenzt zu erhöhen. In Schleswig-Holstein sitzen an weiterführenden Schulen bis zu 29 Kinder in einer Klasse.
„Wenn ich vorne stehe und etwas erzähle, macht es zwar keinen Unterschied, ob ich vor 20 Schülerinnen oder Schülern stehe oder vor einem vollen Hörsaal. Aber die Möglichkeiten, in Arbeitsphasen auf individuelle Fragestellungen einzugehen, sind begrenzt“, sagt Freiberg.
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In seinem Video rechnet er vor, dass er bei einer Schulstunde von 45 Minuten und einer Klasse mit 26 Schülerinnen und Schülern für jeden eine Minute und 44 Sekunden Zeit hätte, wenn er seine Aufmerksamkeit fair auf jeden einzelnen Jugendlichen verteilen würde. Säßen 30 Menschen in der Klasse, wären es 14 Sekunden pro Person weniger. In der Realität sei die Zuwendung von Lehrer zu Schüler natürlich nicht so gleichmäßig verteilt, aber: „Auf das gesamte Schuljahr gesehen macht es 13 Prozent aus, die jeder Schüler von seiner Zeit abknapsen müsste.“
Lehrer warnt vor Vereinfachung der Studieninhalte
Gerade in seinem Fach brauche es oft zusätzliche Erklärungen, sagt Freiberg. „In Mathematik haben wir ohnehin hohe Nachhilfezahlen. Ich wage die Prognose, dass die bei größeren Klassen weiter steigen würden.“ Das könnten sich nicht alle leisten, sodass die Bildungsungerechtigkeit zunehme.
Die Abbrecherquoten bei Mathematikstudierenden sind hoch. Im Landtag wurde daher laut darüber nachgedacht, ob der teils hochabstrakte Stoff für Lehrkräfte, die nicht bis zum Abitur unterrichten, vereinfacht werden könnte. Das fachliche Niveau ist bereits unterschiedlich in den Lehramtsstudiengängen für Grundschulen oder Gymnasien.
„Aber je höher das Professionswissen ist, desto didaktisch versierter kann ich auch den Unterricht vorbereiten“, sagt Freiberg. „Ich glaube, man muss im Studium schon verstehen, was Mathematik bedeutet. Dafür muss man auch mal schwierige, knifflige Beweise geführt haben.“
Dieser Artikel ist zuerst in den „Kieler Nachrichten“ erschienen.