Amoktat in Hamburg: Forderung nach Rücktritten - Täter hatte narzisstische Persönlichkeitsstörung
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Die Amoktat in Hamburg in einem Gebäude der Zeugen Jehovas hat für Entsetzen gesorgt.
© Quelle: Christian Charisius/dpa
Hamburg. Zwei Wochen nach der Amoktat in den Räumen der Zeugen Jehovas in Hamburg reißt die Debatte über ein schärferes Waffenrecht und mögliche Versäumnisse im Vorfeld des Verbrechens nicht ab. Oppositionspolitiker forderten am Mittwoch die Rücktritte von Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und Innensenator Andy Grote (SPD). Extremismusforscher Peter Neumann sagte dem „Spiegel“, das Buch des Täters sei „kein Manifest“. Es finde sich „kein Hinweis darauf, dass Philipp F. ein Attentat begehen will“. Grote forderte bei einem Symposium der Deutschen Polizeigewerkschaft eine Verschärfung des Waffenrechts.
„Wir müssen viel intensiver prüfen: Ist dieser Mensch geeignet, eine Waffe zu besitzen?“, sagte der Senator. „Wir müssen uns schon bei der Erteilung der Waffenerlaubnis ein psychologisches Zeugnis vorlegen lassen.“ Aus diesem müsse hervorgehen, dass der Mensch psychisch geeignet sei, eine Waffe zu besitzen.
Scholz „fassungslos" nach Schüssen in Hamburg
Seine Gedanken seien bei den Opfern und ihren Angehörigen, sagte der Bundeskanzler am Rande einer Veranstaltung in München.
© Quelle: Reuters
Am 9. März hatte Philipp F. in Hamburg sieben Menschen - darunter ein ungeborenes Kind - mit Schüssen aus einer halbautomatischen Pistole getötet und sich danach selbst umgebracht. Neun Menschen wurden verletzt. Der Sportschütze hatte ein Buch veröffentlicht, in dem er wirre religiöse Thesen auch im Zusammenhang mit dem Holocaust äußert. Die Zeugen Jehovas wollen am Samstag der Opfer der Amoktat gedenken. Die Gedenkfeier findet nach Angaben eines Sprechers in der Alsterdorfer Sporthalle statt.
Faeser will Waffenrecht verschärfen
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will das Waffenrecht verschärfen. Ihr Vorhaben sieht unter anderem ein Verbot von kriegswaffenähnlichen, halbautomatischen Langwaffen für Privatleute vor. Wer eine Erlaubnis zum Besitz einer Waffe beantragt, soll künftig seine psychische Gesundheit nachweisen müssen. Das ist bisher nur für Menschen bis 25 Jahre vorgeschrieben.
Als Konsequenz aus der Tat will die Polizei in der Hansestadt Waffenbesitzer künftig besser überprüfen. Ein Fünf-Punkte-Plan solle das Risiko solcher Taten minimieren, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer dem „Hamburger Abendblatt“.
„Dafür optimieren und professionalisieren wir mittels Unterstützung durch die Kompetenzen im Landeskriminalamt die Arbeitsabläufe in der Waffenbehörde“, sagte Meyer. Zudem wolle die Polizei der Bedrohung durch mutmaßlich psychisch erkrankte Personen mit einer intensiveren Gefährdungsanalyse durch Psychologen begegnen.
Rücktritt von Polizeipräsident und Innensenator gefordert
Die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft forderte im Zusammenhang mit dem vom Hamburger Amokschützen verfassten Buch den Rücktritt des Polizeipräsidenten. Meyer hatte auf der Pressekonferenz am 14. März erklärt, das Buch „Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan“ sei von der Waffenbehörde nicht entdeckt worden, Experten hätten bestätigt, dass es nicht zu finden gewesen sei. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken räumte der Senat nun jedoch ein, dass das Machwerk den Behörden doch bekannt gewesen sei, diese aber nichts unternommen hätten.
Beamte der Waffenbehörde hatten bei dem Sportschützen keine Auffälligkeiten festgestellt. An der Überprüfung von Waffenbesitzern generell und dem Amokschützen im Speziellen war in Folge vielfach Kritik laut geworden.
„Angesichts des anonymen Schreibens mit dem Hinweis auf den Hass des späteren Amokschützen auf die Zeugen Jehovas hätten bei dem Buchtitel dann nun wirklich alle Alarmglocken schrillen müssen“, sagte der Linken-Innenexperte Deniz Celik. Dass dies nicht geschehen sei, sei ein Versagen der Waffenbehörde, für das Meyer und Innensenator Andy Grote (SPD) die politische Verantwortung trügen und Konsequenzen ziehen müssten.
Buchtitel nicht ausreichend als Hinweis gewesen
In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken erklärte der Senat, dass im Rahmen der Recherche Ende Januar bei der Suche in einer Suchmaschine bei Eingabe des Namens des Täters und des Begriffs „Buch“ keine Treffer erzielt worden seien. „Bei einer weiteren Recherche auf der Webseite des Täters wurde - wie inzwischen rekonstruiert werden konnte - unter „Publications“ das Buch des Täters „Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan“ gefunden.“ Allein den Titel habe die Waffenbehörde aber nicht als ausreichenden Hinweis bewertet, der Zweifel an der waffenrechtlichen Eignung und damit weitere Maßnahmen der Behörde hätten begründen können.
CDU-Fraktionschef Dennis Thering forderte derweil den Rücktritt des Innensenators: „Natürlich muss jetzt sichergestellt werden, dass sich solche Pannen mit tragischen Folgen nicht wiederholen, aber Innensenator Grote ist dafür eindeutig der falsche Mann. Er ist für das Amt des Innensenators nicht geeignet, wie er bereits mehrmals unter Beweis gestellt hat“, sagte er der Zeitung „Welt“.
Amokschütze war ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas
Laut Polizei starben bei den Schüssen in einem Gemeindehaus acht Menschen, darunter auch der mutmaßliche Täter sowie ein ungeborenes Kind.
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Zwei Gutachten erstellt
Die Polizei hat Gutachten über das Buch des Amokschützen von Hamburg in Auftrag gegeben. „Es gibt zwei Gutachten zu dem Buch“, teilte eine Sprecherin der Polizei mit. Zu den Inhalten äußerte sie sich zunächst nicht. Man werde die Gutachten, da sie Gegenstand der Ermittlungen seien, aber nicht offiziell vorstellen.“ Der „Spiegel“ hatte zuvor aus einem Gutachten des Extremismusforschers Neumann zitiert. Demnach handelte Philipp F. mutmaßlich aus religiösen Gründen. Neumann sagte dem Nachrichtenmagazin, „Hass auf christliche Religionsgemeinschaften ist das plausibelste Motiv für die Tat von Philipp F.“
Der Täter soll eine narzisstische Persönlichkeitsstörung gehabt haben. Dies geht nach Informationen des Evangelischen Pressedienstes (epd) aus dem zweiten Experten-Gutachten hervor, das die Ermittler zur Amoktat in einem Hamburger Königreichssaal der Zeugen Jehovas in Auftrag gegeben hatten. „Zeit online“ hatte zuerst über das Gutachten des Psychiaters Christoph Lenk berichtet. Grundlage für seine Einschätzung ist das Buch, das der mutmaßliche Täter Philipp F. im Dezember 2022 veröffentlicht hatte.
Gutachter Lenk spricht den Informationen zufolge in Bezug auf F. von einem normal intelligenten Menschen, der sehr wahrscheinlich eine kombinierte Persönlichkeitsstörung vorwiegend mit narzisstischen Anteilen hatte. Neben der narzisstischen Störung hinterlässt F. dem Gutachten zufolge das Bild eines religiös verblendeten Menschen, der geglaubt habe, für die komplexen Probleme unserer Welt einfache Lösungen zu finden. Dennoch soll er der Einschätzung zufolge in vollem Bewusstsein gehandelt haben.
Hinweise auf eine andere psychische Erkrankung seien in dem Buch dagegen ebenso wenig zu erkennen wie ein Hass auf Frauen oder sonstige Gruppen, hieß es. Auch sah Lenk bei F. keine Hinweise auf eine Drogensucht.
RND/dpa