Das hippere Auto: Wie das Fahrrad unseren Alltag verändert
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Die Deutschen sind offenbar bereit fürs Fahrrad – doch die Infrastruktur lässt noch auf sich warten.
© Quelle: Uli Deck/dpa
Die Umgebung wahrnehmen und beobachten, riechen und hören. Geerdet fühlen. Nah dran sein an anderen Menschen, an der Gesellschaft. Slow Travel – und doch nicht ganz slow. Schnell genug, um auch größere Distanzen an einem Tag zu bewältigen. Groß genug, um Einkäufe, Kinder und schwere Dinge zu transportieren. Flexibel genug, um an jeder beliebigen Stelle einen spontanen Stopp einzulegen.
Das Fahrrad ist längst mehr als nur reines Fortbewegungsmittel – auch im Autoland Deutschland. Es ist zum Statement geworden, zum Bekenntnis. Ein Statement für Nachhaltigkeit, ein Bekenntnis zur Umwelt. Aber auch: ein Statussymbol.
Deutsche kaufen so viele Fahrräder wie noch nie
Das Fahrrad erlebte in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung, die Corona-Pandemie beschleunigte das noch einmal. Das Auto – es gilt ohnehin als das böse Verkehrsmittel, das Innenstädte verstopft, die Luft verschmutzt und den Klimawandel vorantreibt. Doch in der Pandemie waren auch öffentliche Verkehrsmittel nicht unbedingt eine Alternative. Dicht an dicht gedrängt mit Menschen, für die Maskenpflicht eher eine Empfehlung war und das Wort Mund-Nasen-Schutz auch nicht so genau nahmen – nein, darauf wollten viele möglichst verzichten.
Statistisch gesehen hat fast jede und jeder Deutsche ein Fahrrad. 81 Millionen gibt es in Deutschland, vom Baby bis zum Greis, so der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC). Allein im vergangenen Jahr wurden 4,7 Millionen Fahrräder verkauft, im ersten Corona-Jahr waren es gar 5,04 Millionen.
E-Bike und Fahrrad als Statussymbol: Deutsche geben deutlich mehr für Räder aus
Die Deutschen kaufen nicht nur mehr Fahrräder, sondern geben auch mehr Geld dafür aus. Durchschnittlich sind die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger sogar dazu bereit, rund dreimal so viel für ein Fahrrad zu zahlen wie vor zehn Jahren. 1395 Euro kosten die neuen Räder im Schnitt.
Das liegt vor allem an zwei Entwicklungen: Zum einen wären da Fahrräder, die mehr denn je als Statussymbol fungieren und verschiedene Funktionen erfüllen sollen. Mein Haus, mein Boot, mein Fahrrad. Früher, weiß Radexperte und Autor Gunnar Fehlau, hätten die Leute den prächtigen Autos hinterhergeguckt, das habe sich geändert: „Die wirklichen coolen Typen fahren Fahrrad.“
Die Highlights der Eurobike 2022
Neuer Standort, mehr Vielfalt – E-Bikes, Cargobikes und Carbo-Renner glänzen in der Mainmetropole.
© Quelle: RND
Fahrräder sollen nicht nur funktional, sondern auch hip und stylish sein
Wer etwas auf sich hält, fährt heute ein Gravelbike. Gravel-was? Ein Fahrrad, das sowohl straßen- als auch geländetauglich ist und seit wenigen Jahren im Trend. Die neuen Fahrräder, sie sollen nicht nur funktional sein, sondern auch gut aussehen und nette Extras haben, fancy Lichter, spezielle Bremssysteme, ultraleichte Carbonrahmen. Schluss ist mit dem günstigen Lidl-Angebot-Rad, stattdessen stehen Menschen vor Fahrradläden Schlange.
Zum anderen wäre da der boomende Markt mit Elektrorädern. Denn hier tut sich einiges – weit mehr als bei Autos. Die neuen Elektroräder sind leichter, bisweilen sieht man die in den Rahmen verbauten Akkus gar nicht mehr. Die Infrastruktur zum Laden ist gut aufgebaut, die Akkulaufzeit macht es möglich, auch längere Distanzen ohne größere Sporteinheiten zu überwinden. Zwei Millionen der im vergangenen Jahr verkauften Räder waren E‑Bikes – und Käuferinnen und Käufer sind nicht nur Seniorinnen und Senioren, sondern auch junge Menschen, auch in der Stadt, bei denen das Rad eine wirkliche Alternative zum eigenen Auto ist.
E-Bikes revolutionierten den Markt: Das Fahrrad ist jetzt Transportmittel
Auf der am Mittwoch gestarteten größten Fahrradmesse Eurobike in Frankfurt werden sie vorgestellt, die neuen Erfindungen. Fahrräder, die mit Akku betrieben werden und mit smarten Gepäckträgersystemen 150 Kilogramm zusätzlich zum Fahrer oder der Fahrerin transportieren können. E‑Bikes und elektrisch betriebene Lastenräder, die Familienautos ersetzen und die Innenstädte autofreier machen sollen. Durch die Zunahme der E‑Bikes seien Fahrräder weniger Sportgerät als vielmehr Verkehrsmittel, sagt Eurobike-Veranstalter Stefan Reisinger – und damit seien sie nicht mehr nur Hilfsmittel bei Ausflügen, sondern im Alltag integriert. Erfindungen wie ferngesteuerte Bremssysteme für Kinderräder, anpassbare Helme mit Rücklichtern oder Computer, die aufblinken, wenn sich von hinten ein Auto nähert, machen das Radfahren zudem sicherer.
Wird im Autoland Deutschland bald nur noch Fahrrad (und ÖPNV) gefahren? Im Alltag brauchen tatsächlich die wenigsten Menschen ein Auto, auch wenn gerne anders argumentiert wird. 70 Prozent unserer Wege sind im Schnitt kürzer als zehn Kilometer, sagt Burkhard Stork, Geschäftsführer vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV), – also Raddistanz.
EuroBike: Mega-Messe zeigt die aktuelle Fahrradtrends
Die wichtigste Fahrradmesse der Welt – die Eurobike – öffnet vom 13. bis 17. Juli ihre Tore in Frankfurt. Mehr als 1500 Aussteller zeigen die aktuellen Trends.
© Quelle: Mhoch4
An der Infrastruktur für sicheres Radfahren fehlt es noch
Doch nicht alle Menschen fühlen sich sicher auf dem Fahrrad. In Städten wie Frankfurt wechseln die Radspuren auf mehrspurigen Straßen plötzlich mitten auf die Straße. In Städten wie München muss für einmal Linksabbiegen dreimal an der Ampel gewartet werden. Und selbst in als fahrradfreundlich geltenden Städten wie Bremen und Hamburg werden Radfahrerinnen und Radfahrer hin und wieder übersehen, wenn sie geradeaus fahren, weil Abbieger nicht aufpassen. Ach, und nicht zu vergessen: fehlende Radwege. Radwege, die plötzlich enden. Zugeparkte Radwege. Zu enge Radwege.
Stork fordert deshalb, was Fahrradfans deutschlandweit schon seit Jahren fordern: Mehr politischen Mut, die Fahrradinfrastruktur auszubauen. Mehr als nur Lippenbekenntnisse zum Fahrrad und gegen das Auto. Mehr politischer Wille für eine wirkliche Verkehrswende. Das Autoland ist offenbar bereit dafür.
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