„Vikings: Valhalla“ bei Netflix: Frauen, die zu kämpfen wissen
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Diese Geschwister haben es in sich: Frida Gustavsson ist die Schildmaid-to-be Freydis, Sam Corlett spielt ihren Bruder Leif in der neuen Netflix-Serie „Vikings: Valhalla“.
© Quelle: BERNARD WALSH/NETFLIX
Die Herrin der Wikingerstadt Kattegat ist tatsächlich eine Schwarze. Lebendes Beispiel für die Toleranz der Nordmänner, deren Liebe einfach nur Liebe ist. Einer von ihnen verliebte sich in Jarl Haakons afrikanische Mutter. Und jetzt sucht die Jarl von Kattegat einen Krieger für eine „Reise nach Asgard, um dem Führer der Asen einen Hilferuf“ zu übermitteln.
„Vikings: Valhalla“: Man weiß, dass eine andere Religion obsiegte
Als Zuschauerin und Zuschauer weiß man natürlich, wie die Sache schlussendlich ausgegangen ist für die Altgläubigen unter den Wikingern. So sehr man sich wünscht, dem vom schmächtigen Audun überbrachten Hilferuf ins Jenseits wäre ein Erfolg beschieden gewesen, denn Haakon und die Leute von Kattegat zählen zu den Guten in der ersten Staffel dieses opulenten Ränkespiels namens „Vikings: Valhalla“, so ist doch klar, dass eine andere Religion obsiegte.
Thor ist heute weithin nur noch als einer von Marvels „Avenger“ bekannt, Allvater Odin und Gattin Freya als „Avenger“-Eltern. Gebete werden schon seit Ewigkeiten nicht mehr in ihre Richtung gesprochen, und abgesehen vielleicht von ein paar Reichsbürgern erwartet auch niemand mehr, nach dem Ableben mit den Asen Met- und Bierhörner an ihrer Tafel zu stemmen.
„Vikings: Valhalla“ ist da, der Nachfolger der erfolgreichen Serie „Vikings“. Nachdem in der weitgehend fesselnden Mutterserie (2013 bis 2020) die Schicksale von Wikingerführer Ragnar Lothbrok, seiner einander verbundenen und widerstreitenden charismatischen Söhne, der Schildmaid Lagertha und des Schiffsbauers Floki auserzählt waren, nachdem das schroffe Island unter Qualen besiedelt war, die Waräger des Rus von Kiew abgewehrt waren und Ragnars Spross Ubbe sich auf den schweren Meeresweg gen Westen machte, (dabei aber nicht über den Rand der Welt fiel), wird jetzt ein vielversprechendes Spannungsfeld betreten.
St.-Brice‘s-Day: Ein grausames Morden an der Millenniumswende
Das nämlich des beginnenden Zerfalls, als das Christentum die Kultur der Wikinger überfremdete, aushöhlte und zu ihrer Auflösung beitrug. Der Beiname „Valhalla“ bezieht sich auf Odins Götterpalast Walhall der Mythologie und den durchaus nicht bei allen nordischen Volksgruppen geteilten Glauben an ein ewiges Kämpfen-und-Feiern-Nachleben. Traurigkeit im Titel, die Endzeit eines äußerst telegenen Volkes wird eingeläutet – von nun an geht‘s bergab.
Das Publikum wird zur ersten nachchristlichen Jahrtausendwende geführt. Der ältliche englische König Aethelred beschließt kurz nach Allerheiligen im düsteren Britherbst des Jahres 1002 eine grausame Tat. „Wenn Unkraut in der Gerste wächst, gibt es nur einen Weg, das zu beenden“, teilt er seinem verblüfften nordischen Vasallen Sten mit. Und befiehlt das St.-Brice‘s Day-Massaker, bei dem alle auf der Insel lebenden Nordmänner, -frauen und -kinder getötet werden sollen.
Dass die im sogenannten Danelag siedelnden Wikinger die Engländer in jenen Tagen mit Überfällen nervten, es mit den Tributen übertrieben und es mit der Loyalität gegenüber der Krone nicht allzu genau nahmen, wird von der Serie galant verschwiegen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Der Wikingerprinz Harald Sigurdsson kommt knapp davon, sein Bruder stirbt. Rache wird das Movens der Serie von Showrunner Jeb Stuart (Drehbücher zu den Actionklassikern „Stirb langsam“ und „Auf der Flucht“) und „Vikings“-Erfinder Michael Hirst, der hier unter den ausführenden Produzenten auftaucht.
So mancher Tod wird als Vergeudung empfunden
Es geht in medias res. Am Anfang sprießen überall potenzielle Charaktere auf dem Bildschirm, von denen ein Teil sogleich wieder gemeuchelt wird, so dass man den Eindruck eines allzu geschwinden Erzählens und auch einer gewissen Vergeudung von Personal bekommt – wobei Letzteres bis zum Ende der ersten Staffel von acht Folgen (vorerst sind 24 insgesamt anvisiert) zunimmt und man das Ableben so mancher Figur als krasse Fehlentscheidung empfindet.
Der Wikimaniac sieht im Übrigen, was er liebt: Wikingerboote in stürmischer See, Äxte, die kraftvoll auf Schilde geschlagen werden, markig aufsprechende Führer und potenzielle Helden. Mehr noch als König Knut (Bradley Freegard mit Sean-Connery-Charisma) und Harald (Leo Suter) sind das Leif Eriksson (Sam Corlett) und seine Schwester Freydis (Frida Gustavsson), die Kinder des verbannten Eriks des Roten. Während Leif vor allem das ihm unbekannte, menschenreiche (und fiktive) Kattegat bestaunt, hält Freydis Ausschau, um eine persönliche Rechnung zu begleichen – sie wurde von einem christlichen Wikinger vergewaltigt, der ihr ein Kreuz in den Rücken ritzte.
Die Wikinger versammeln sich für eine Rachefahrt
Die Wikingerstämme versammeln sich in der (fiktiven) norwegischen Hafenstadt Kattegat, um unter Führung von Knut Vergeltung zu üben. Man glaubt, gute Chancen zu haben, als der Tod des Wikingermörders Aethelred bekannt wird und ihm mit seinem Sohn Edmund (Louis Davison) in London ein als schwächlich eingeschätzter Teenager auf den Thron folgt.
Eigentlich bedürfte man keines englischen Feinds, denn Zeter und Mordio herrschen in den eigenen Reihen. Die konvertierten Wikingerstämme haben den Untergang ihrer altgläubigen Brüder und Schwestern bereits beschlossen. Vom bärigen Auftreten von Olav II. Haraldsson (Jóhannes Haukur Jóhannesson) darf man sich nicht täuschen lassen – hinter dem Bud-Spencer-artigen Lächeln steckt immer auch das Kalkül des Verrats. Und Jarl Kore (Asbjörn Krogh Nissen) ist dann ein Hasssammler ersten Ranges – ein Schurke von „Game of Thrones“-Kaliber. Der hochgewachsene christliche Fanatiker in seinem Nosferatu-haftem schwarzen Kriegermantel scheint unbesiegbar und begeht im Namen Christi Unvorstellbares.
Das Autorenteam akzentuiert in „Vikings: Valhalla“ immer wieder den brutalen Alleinvertretungsanspruch des Neuen, der das bedächtigere, gesetztere Alte verdrängt. Die religiöse Engstirnigkeit der Wikingerchristen wird den Ideen religiöser Toleranz, des „offenen Lands“ Norwegen als moralisch unterlegen entgegengestellt. Sind die alten Wikis rabiate Haudraufs, so fehlt ihren getauften Brüdern in ihrer Gier nach fortgesetzter Christianisierung jedes Bewusstsein dafür, dass sie eigentlich für einen Gottessohn streiten, dessen Kernbotschaft und oberstes Kirchenprinzip die Liebe ist – ein Verweis wohl auch auf bis heute nach Kräften zum Falschen missbrauchte christliche Macht.
Frauen sind die wahren Heldenfiguren von „Vikings: Valhalla“
Die Frauen sind die wahren Helden in „Vikings: Valhalla“. Ob nun mit Emma von der Normandie (Laura Berlin) oder König Knuts erster Gattin Aegilfu (Pollyanna McIntosh) zwei Ladys unnachgiebig und fintenreich um das Sagen in England ringen, oder die weise Jarl Haakon (Caroline Henderson) in Kattegat den Frieden zu bewahren sucht. Frida Gustavsson ist als Freydis noch vor ihrer harten Ausbildung zur schwertgewandten Schildmaid die wohl wehrhafteste Wikingerin, die man je auf dem Bildschirm sah. Sie fordert körperlich deutlich überlegene Hünen zum Kampf, wenn ihr Unrecht geschieht und in der Verteidigung der ihr Schutzbefohlenen gereichen ihr selbst Lederschnüre zur tödlichen Waffe. Irgendwer in der Quere? Auf ihn mit Gebrüll!
Frauen hatten in Wikingerlanden zwar eine relativ hohe Stellung, das scheint von der Forschung gedeckt. In „Vikings: Valhalla“ scheint sich aber das emanzipatorische Vorwärts unserer Gegenwart zu spiegeln. Wie in früheren Wikingerauftritten in der Popkultur wie „Die Wikinger“ (1958, mit Kirk Douglas) und „Raubzug der Wikinger“ (1965, mit Richard Widmark) Frauen eher beschützte Heimchen am Herd waren, und auch die Krieger im Comicband „Asterix und die Normannen“ (1971) unbeweibt zu den Galliern kamen, um durch Kennenlernen der Angst endlich fliegen zu lernen.
Immer wieder bezieht sich die Serie auf die Helden von „Vikings“
Überhaupt wird das mit der historischen Korrektheit nicht so ernst genommen. „Vikings: Valhalla“ basiert auf geschichtlichen Ereignissen, hat auch einiges an historisch verbürgtem Personal, nimmt sich jedoch dramaturgische Freiheiten, würfelt mit den Jahreszahlen und eignet sich gewiss nicht, wissenschaftliches Arbeiten über das späte Frühmittelalter zu stützen. Mehr als ein Gefühl für die damalige Zeit ist hier nicht zu haben – das indes gelingt abermals. Und mit der fünften Episode spätestens, hat einen das Spiel der Throne am Wickel.
Immer wieder scheint es allerdings, als traue die Serie sich selbst nicht, als brauche sie zum aufrecht Stehen die Krücke ihrer Vorgängerin. Denn einmal zu oft werden die Helden von einst beschworen, voran Ragnar, Lagertha, Björn Eisenseite und Yvar, der Knochenlose. Dass man Ragnars Sohn Ubbe beim Lobpreis außen vorlässt, mag damit zusammenhängen, dass er in der letzten Staffel von „Vikings“ (hundert Jahre zu früh) Amerika entdeckte – was von den beiden isländischen Vinland-Sagas Leif Eriksson zugeschrieben wird. Wahrscheinlich wird diese Fahrt auch noch Thema der neuen Serie.
Nach dem, was ihm in den ersten acht Folgen alles zugestoßen ist, könnte Eriksson auch keiner verdenken, wenn er einen Tapetenwechsel benötigt.
„Vikings: Valhalla“, erste Staffel, acht Episoden, von Jeb Stuart, mit Sam Corlett, Frida Gustavsson, Laura Berlin, Caroline Henderson, Leo Suter, Asbjörn Krogh Nissen (ab 25. Februar bei Netflix)