Propaganda per Fernbedienung

Wie Polens Regierung mit Medienkontrolle die Wahlen gewinnen will

Der öffentlich-rechtliche Kanal TVP soll gefördert, der private TVN24 möglichst abgeschafft werden – das ist das Ziel der polnischen Regierung.

Der öffentlich-rechtliche Kanal TVP soll gefördert, der private TVN24 möglichst abgeschafft werden – das ist das Ziel der polnischen Regierung.

Auf der eins die ARD, auf der zwei das ZDF, auf der drei das Landesprogramm der ARD (NDR, WDR und Co.) – traditionell war das die Programmierung auf den ersten Fernsehkanälen. Ein Überbleibsel aus der Zeit, als es nur drei Programme gab, das sich bis heute in vielen Haushalten in Deutschland so findet.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Während hierzulande aber jeder die Möglichkeit hat, die Fernsehprogramme individuell anzuordnen und nicht automatisch bei ARD zu landen, wenn das TV-Gerät angestellt wird, soll das in Polen künftig anders sein. Nach einem Vorstoß der rechtskonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) müssen die ersten fünf Kanäle künftig mit den fünf Programmen des öffentlich-rechtlichen Senders TVP belegt werden. Ein Einwand der Opposition im polnischen Parlament gegen den Gesetzesentwurf wurde am Freitag abgelehnt. Wann das Gesetz indes inkrafttreten soll, ist noch unbekannt.

Propaganda per Fernbedienung: Auf Platz eins bis fünf nur regierungstreue Kanäle

Bisher standen laut der Zeitung „Gazeta“ nebst TVP1, TVP2 und TVP3 auch TVN, Polsat, TV4, TV Plus und TVP Antenna auf der Liste der Programme, die an die erste Stelle dürfen. Nun soll in die gesetzliche Liste mit den fünf staatlichen Kanälen sowie in eine Ergänzungsliste unterteilt werden.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auf Platz eins bis fünf sind die digitalen Sender TVP1, TVP2, TVP3, TVP Info und TVP Kultura vorgesehen. Danach folgen die analogen Angebote der TVP-Gruppe, erst danach dürfen die Senderplätze auf der Fernbedienung mit privaten Sendern wie etwa TVN belegt werden. Die Reihenfolge der privaten Sender legt laut des Artikels der PiS-Politiker Maciej Świrski als Vorsitzender des polnischen Rundfunkrates fest. Er kann auch entscheiden, dass sie keinen zugewiesenen Platz bekommen.

Regierung versucht, sich Macht im Wahlkampf zu sichern

Kritikerinnen und Kritiker sehen nach 2005 und 2021 einen erneuten Eingriff in die Pressefreiheit und warnen gleichzeitig davor, dass der öffentlich-rechtliche Kanal als Propaganda für die im Herbst anstehende Parlamentswahl missbraucht werden könnte. Fernsehzuschauerinnen und Fernsehzuschauer wären dann direkt beim Anschalten mit regierungsnahen Nachrichten und Verleumdungen der Opposition konfrontiert.

Die führende unabhängige Zeitung Polens, „Gazeta Wyborcza“, gibt an, dass das Vorgehen nicht EU-konform sei und der PiS eine „privilegierte Stellung“ gegenüber der Opposition verschaffen würde – und das im Wahljahr. Auch Piotr Bogdanowicz von der Fakultät für Recht und Verwaltung an der Universität Warschau zweifelt an der Rechtmäßigkeit. „Die Regelung der Programmreihenfolge wird negative Auswirkungen auf den Medienpluralismus haben und nicht zu dessen Stärkung beitragen, wie es das EU-Recht verlangt“, sagte er „Gazeta“.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Beauftragter für Bürgerrechte zweifelt an Schutz der Menschenrechte

Der Beauftragte für Bürgerrechte, Marcin Wiacek, kritisierte, dass es im Kern darum gehe, „die dominante Rolle von Informationen, die von einem von der Regierung kontrollierten Sender ausgestrahlt werden, sicherzustellen.“ Er ließ in einem Brief an die Sprecherin des Parlaments, aus dem die Zeitung „Rzeczpospolita Gazeta“ zitiert, ausrichten, dass er an der „Einhaltung der verfassungsmäßigen Standards zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte“ zweifle. Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit seien von dem geplanten Gesetz betroffen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Polen steht schon länger in der Kritik. Die Organisation Reporter ohne Grenzen befindet, dass PiS den öffentlichen Rundfunk „zielstrebig zu einem Sprachrohr ihrer Politik umgebaut“ hat, das „unverhohlen einseitig Stimmung“ macht. Sowohl Opposition als auch unabhängige Expertinnen und Experten kritisieren, dass TVP seit der Machtübernahme der PiS als Regierungspartei 2015 radikale konservative Inhalte, Hassreden und Regierungspropaganda verbreite. Die Europäische Kommission hielt in ihrem neuesten Bericht fest, dass der Medienpluralismus in Polen bedroht sei – das war vor dem jüngsten Vorstoß.

Polens PiS setzt den unabhängigen Rundfunkrat ab

Bereits 2016, kurz nach dem Regierungswechsel, erließ PiS ein Mediengesetz, wonach die Regierung direkten Zugriff auf die öffentlich-rechtlichen Medien hat, die fortan als „nationale Kulturinstitute“ gesehen wurden, wie „taz“ berichtet. Die Vorstands- und Aufsichtsgremien sind seither nicht mehr vom bis dato unabhängigen, dann ruhig gestellten Rundfunkrat ausgewählt, sondern vom Minister für Staatsvermögen, die Partei darf zudem über die Spitzenpositionen entscheiden.

In Warschau kam es daraufhin zu Demonstrationen von um die Pressefreiheit besorgten Bürgerinnen und Bürgern. Laut der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg verließen 140 Journalistinnen und Journalisten ihren Arbeitsplatz in den ersten Monaten nach dem Regierungswechsel, teils freiwillig, teils wurden sie gekündigt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

TVP verliert vor Gericht: „Einseitige“ und „rassistische“ Berichterstattung

Größere Aufmerksamkeit erhielt der Sender TVP nach dem tödlichen Attentat auf den Danziger Stadtpräsidenten Pawel Adamowicz 2019. Adamowicz, öffentlicher Kritiker der PiS, hatte in Danzig einen Immigrationsrat gegründet und Menschen verschiedener Nationen in der Stadtpolitik zu Wort kommen lassen. Ein 2016 gedrehter Beitrag von TVP Info erweckte den Eindruck, Adamowicz setze sich für unkontrollierte Migration nach Polen ein, Aussagen wurden aus dem Kontext gerissen, es wurden wütende und aggressive Geflüchtete gezeigt.

Auch wenn TVP den Beitrag wegen „handwerklicher Mängel“ zurückzog, wie MDR berichtet, verklagte Adamowicz den TV-Kandal. Noch während des Gerichtsprozesses wurde Adamowicz Opfer des Attentats, seine Frau gab TVP eine Mitschuld am Tod ihres Mannes, da der Sender gezielt Hasskampagnen gegen ihn initiiert habe. 2021 schließlich erhielt Adamowicz vor Gericht recht, die Richterin bescheinigte, dass der Bericht „rassistisch“ und „einseitig“ gewesen sei. Die Informationen seien auf „inakzeptable Weise“ erstellt worden, sie würden nicht „der Ernsthaftigkeit und dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens“ gerecht werden.

Polens Versuch, den privaten Big Player auszuschalten

2021 ging Polen erneut einen Schritt weiter und erneuerte das Mediengesetz. Demnach werden Rundfunklizenzen nur noch zu 49 Prozent an Ausländerinnen und Ausländer verteilt, die ihren Wohnsitz oder ihre Zentrale im europäischen Wirtschaftraum haben. Das wurde als direkter Angriff auf den beliebten privaten Kanal TVN, der als regierungskritisch gilt, gewertet. TVN und das Nachrichtenportal TVN24 gehören zu 100 Prozent dem US-Konzern Discovery – mit Inkrafttreten wäre TVN entweder die Lizenz entzogen worden oder der Sender hätte verkauft werden müssen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nachdem das Gesetz zum Bruch der Koalition, zu landesweiten Protesten mit Zehntausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern und Kritik aus den USA und der EU führte, legte Polens Staatspräsident Andrzej Duda sein Veto ein und verhinderte das Inkrafttreten. Der parteilose Duda gilt als enger Verbündeter der PiS, ist aus der Partei allerdings ausgetreten, als er zum Staatschef gewählt wurde.

Gegen das neue Mediengesetz 2021 demonstrierten Zehntausende Polinnen und Polen, hier mit Plakaten mit der Aufschrift „TVP lügt“.

Gegen das neue Mediengesetz 2021 demonstrierten Zehntausende Polinnen und Polen, hier mit Plakaten mit der Aufschrift „TVP lügt“.

Polnische Propaganda für die Welt – mit einem englischen Kanal

Ebenfalls 2021 startete TVP mit einer internationalen Kampagne. Nicht nur die Bevölkerung im Land sollte mit den gefilterten Nachrichten konfrontiert werden, sondern auch im Ausland lebende Polinnen und Polen sowie Unterstützende. Dafür wurde der englischsprachige TV World initiiert. Die „taz“ sieht in der Einführung einen Zusammenhang zwischen kritischen Berichten von BBC und CNN an der polnisch-belarussischen Grenze – ein Gebiet, das Polen zum medialen Sperrgebiet erklärt hatte. Erst als Belarus Journalistinnen und Journalisten ins Land ließ, wurde kritisch über den polnischen Umgang an der Grenze berichtet. Erster Interviewgast des neuen Senders war ein deutscher AfD-Poltiker.

Hoffnung gab es, als im vergangenen September der bisherige Chefredakteur Jacek Kurski überraschend abtreten musste und Mateusz Matyszkowicz für ihn übernahm. Doch schnell zeigte sich, dass es keinen Wandel geben würde. Das katholische Magazin „Tygodnik Poweszechny“ zitierte aus einer internen Mail und resümierte, dass sich nichts ändern werde. „Eine solch ,starke und stabile‘ Propagandamaschine darf nicht ins Wanken geraten. Sie wird weiterhin zeigen, was der wichtigste Zuschauer, Jaroslaw Kaczynski, wünscht.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Polen rutscht im Ranking der Pressefreiheit auf Platz 66 ab

Doch auch wenn der Fokus von PiS klar auf dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk liegt, der sich leichter kontrollieren lässt, hat die Regierungspartei auch private Medien im Blick. Private und unabhängige Medientitel werden mit Klagen überhäuft, jüngst kaufte ein staatlich finanzierter Mineralölkonzern den Verlag Polska Press – mehrere kritische Journalistinnen und Journalisten wurden entlassen und durch regierungstreue ersetzt.

In einem Bericht des Internationalen Presse Instituts hieß es bereits 2021, Polens Regierung habe durch „juristische Schikanen und physische Angriffe“ und Manipulationen beim Vertrieb die Pressefreiheit umfassend geschrumpft. Die Folge: Polen rangiert bei der Pressefreiheit nur noch auf Platz 66.

Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken