Viele Fragen nach Scholz-Interview

Linda Zervakis, eine Kostenpauschale und das große Schweigen

Linda Zervakis und Kanzler Olaf Scholz auf der Republica.

Linda Zervakis und Kanzler Olaf Scholz auf der Republica.

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Hannover. Was die frühere „Tagesschau“-Sprecherin Linda Zervakis für ihre Moderationsauftritte bekommt, hätte bis vor ein paar Wochen wahrscheinlich kaum jemanden interessiert. Doch dann war da eben noch dieses eine Interview auf der Digitalmesse Republica.

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Zervakis sitzt da zusammen mit Bundeskanzler Scholz in Sesseln auf einer spärlich eingerichteten Bühne. Man frotzelt ein bisschen über Hamburg und den HSV – sowohl die Journalistin als auch der Kanzler kommen von dort. Man spricht über die Digitalpolitik im Land, mögliche Cyberangriffe, die umstrittene Chatkontrolle. Und Scholz wird gefragt, ob er lieber bei Flink und Gorillas einkauft – oder lieber beim Späti um die Ecke.

Sonderlich konfrontativ ist das rund halbstündige Gespräch nicht, im Gegenteil: Es wird immer wieder gelacht und gescherzt. Man wolle „ja auch gute Stimmung verbreiten“, so Zervakis. Das Medienecho fällt entsprechend aus: Scholz sei von Zervakis „geschont“ worden, heißt es in einer Zusammenfassung des Gesprächs beim RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die „Wirtschaftswoche“ schreibt über einen „inhaltsleeren“ Auftritt des Kanzlers unter der Überschrift „Verloren im Neuland“.

Nun ist das freilich noch kein Skandal. Mittelmäßig geführte Interviews gibt es wie Sand am Meer, inhaltsleere Antworten vermutlich noch öfter. Einen faden Beigeschmack bekommt der Auftritt nun erst durch eine Recherche der „taz“: Demnach wurde Moderatorin Linda Zervakis vom Kanzleramt höchstpersönlich als Fragestellerin für das Interview ausgesucht. Und: Sie hat offenbar sogar Geld vom Kanzleramt erhalten.

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Gezielte PR-Aktion

Ersteres hatte die Zeitung bereits im Januar berichtet. Zervakis sei zwar als unabhängige Journalistin aufgetreten, so der Vorwurf – in Wirklichkeit habe aber Scholz seine Fragestellerin „selbst mitgebracht“. Kommuniziert worden sei das auf der Bühne nicht.

Die „taz“ schreibt von einer gezielten „PR-Aktion“ und beruft sich auf interne Unterlagen. Demnach habe das Kanzleramt die Bedingung gestellt, die Moderatorin selbst auszusuchen. Das Kanzleramt habe schließlich auch Zervakis‘ Management angefragt und angeboten, „die inhaltliche Vorbereitung“ mit der Moderatorin „eng“ zu „begleiten“. Im Team der Republica sei das kontrovers diskutiert worden – auf den Kanzlerbesuch habe man aber nicht verzichten wollen.

Was schon damals im Artikel zur Sprache kam, aber stets unbeantwortet blieb: Was hat Zervakis für diese Moderation eigentlich bekommen? Laut „taz“ habe das Kanzleramt die Auskunft darüber mit Verweis auf das „Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“ wochenlang strikt verweigert. Die Zeitung zog daraufhin vor das Verwaltungsgericht. In der vergangenen Woche kam dann – noch vor dem Gerichtsurteil – doch die Antwort eines Regierungssprechers.

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Was für Kosten?

Sie lautet: Die Moderatorin erhielt für den Auftritt eine Kostenpauschale von 1130,50 Euro. Damit sollten „pauschal alle anfallenden Kosten der Moderatorin und ihres Teams abgedeckt werden“, bestätigt eine Regierungssprecherin auch auf Anfrage dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Was genau das für Kosten gewesen sein sollen, darüber allerdings schweigen sich alle Beteiligten hartnäckig aus – und sorgen zugleich für viel Raum an Spekulationen.

Der „taz“ erscheint die Summe recht üppig für eine Kostenpauschale – und wirft die Frage auf, ob es sich nicht viel mehr ein „getarntes Honorar“ handele. Die Reisekosten, so hatte Zervakis zuvor bereits erklärt, habe schließlich ihr Sender Pro Sieben bezahlt. Die Moderatorin war laut der Zeitung mit dem ICE an- und abends wieder abgereist – eine Übernachtung in Berlin habe nicht stattgefunden. Wie kommt man also auf Kosten von mehr als 1000 Euro, die – wohlgemerkt – von öffentlichen Geldern bezahlt wurde?

Dem Bundeskanzleramt, so erklärt eine Sprecherin auf RND-Anfrage, liege eine Aufschlüsselung aufgrund des Pauschalbetrags gar nicht vor – man könne dazu also keine Angaben machen. Die Gestaltung des Auftritts sei nach einem „üblichen Verfahren“ vorbereitet und gebilligt worden. Schon in der Vergangenheit habe sich die Bundesregierung an der Digitalmesse Republica beteiligt – dafür seien auch Moderationsleistungen beauftragt worden.

Management beteuert: Es war kein Honorar

Ähnlich bedeckt hält sich Zervakis‘ Management. Dieses reagiert zwar auf eine RND-Anfrage, beantwortet allerdings keine einzige Frage. Der „taz“-Artikel enthalte eine „Verdachtsberichterstattung“, heißt es in der Antwortmail – man gehe davon aus, dass dies bei Veröffentlichung eines Artikels zum Thema entsprechend berücksichtigt werde.

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Vorwürfe, bei der Kostenpauschale handele es sich um ein getarntes Honorar, tritt Zervakis Management aber entschieden entgegen – und zwar in einer eidesstattlichen Versicherung gegenüber dem Landgericht Hamburg. Dort soll Zervakis laut der „taz“ versucht haben, die Berichterstattung über eine Bezahlung ihres Republica-Auftritts zu verhindern.

„Die Kostenpauschale beinhaltete – ausschließlich – Kosten, die Linda Zervakis im Zusammenhang mit der Moderation des Gesprächs mit Bundeskanzler Olaf Scholz auf der re:­pu­bli­ca Berlin am 9. Juni 2022 entstehen“, versicherte das Management demnach dem Gericht. Welche Kosten genau entstanden sind, beantwortete der Sprecher der „taz“ nicht.

Eine simple Erklärung?

Wie gerechtfertigt diese Geheimniskrämerei ist, steht auf einem anderen Blatt Papier. Denn eigentlich gäbe es für einen Betrag von rund 1000 Euro durchaus plausible Erklärungsansätze.

Zervakis Sender Pro Sieben zum Beispiel suggeriert in einer Antwort an die „taz“, es könnte sich um Kosten für „Styling und Maske“ gehandelt haben. „Mit der Kostenpauschale von 1.130,50 Euro können wir für einen Moderationsauftritt nicht die Kosten für Styling und Maske bezahlen – weder für Frau Zervakis noch für eine andere Moderator:in“, so der Sender. Das Branchenmagazin „DWDL.de“ hält das für „plausibel“ – und die Spekulationen über ein angeblich verstecktes Gehalt für nicht haltbar.

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Dass das Geld vom Kanzleramt kam, könnte zudem den Gesamtumständen geschuldet sein. Von der Republica selbst erhalten Vortragende auf der Bühne grundsätzlich kein Geld – so ist es nachzulesen in den FAQs der Digitalmesse. Hier wird auch betont: „Wir übernehmen auch keine Kosten für Anreise, Übernachtung, Honorar der Mitwirkenden oder für die Moderation.“ Dass sich eine bundesweit bekannte Fernsehmoderatorin wie Zervakis ihre Arbeitszeit dann wenigstens von ihrem Auftraggeber entschädigen lassen möchte, ist nicht sonderlich abwegig.

Journalistin im Dienste der Politik

Die Intransparenz um den Fall allerdings wirft weder auf den Kanzler noch auf die Journalistin Zervakis ein gutes Licht. Der eine steht nun im Verdacht, sich kritischen Fragen nicht stellen zu wollen und darum seine eigenen Interviewer einzukaufen. Die andere hat möglicherweise den Journalismus beschädigt – so zumindest vereinzelte Stimmen in den sozialen Netzwerken. Dass Journalistinnen und Journalisten Aufträge aus der Politik annehmen, über die sie sonst unabhängig und kritisch berichten sollen, gilt eigentlich als unredlich.

Ob man das im Falle Zervakis auch so kritisch sehen muss, ist wohl Auslegungssache. Ihren Job als „Tagesschau“-Sprecherin hatte Zervakis bereits 2021 an den Nagel gehängt – seitdem berichtet die Journalistin zumindest nicht mehr über das harte politische Nachrichtengeschehen. Bei ihrem neuen Sender Pro Sieben hat Zervakis eine wöchentliche Magazinsendung mit Matthias Opdenhövel. Hier geht es zwar auch um Politisches – häufiger ist der Themenmix allerdings gesellschaftlicher Natur.

In den aktuellen Ausgaben geht es etwa um Lehrermangel, künstliche Intelligenz, Hassbotschaften im Netz, Drogenkauf im Internet, die Letzte Generation, Tiktok und das Erdbeben in der Türkei. Interviewgäste sind zwar mitunter auch Politikerinnen, aber mindestens genauso häufig sind es Expertinnen, Journalisten oder Scooter-Frontmann H.P. Baxxter. Bundeskanzler Scholz war bislang nicht zu Gast.

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Von Kanzlertriell zum bezahlten Interview

Nebenbei moderiert Linda Zervakis unterhaltsame Podcasts – lange Zeit etwa das Format „Gute Deutsche“, inzwischen den Podcast „Stardust“, in dem sie sich laut Eigenbeschreibung mit den „großen und kleinen Fragen des Lebens auseinandersetzt“.

Etwas relevanter bei der Frage der journalistischen Unabhängigkeit dürften wohl die Interviews sein, die Zervakis außerhalb der Reihe führt. So war die Journalistin etwa auch beim Kanzlertriell von Pro Sieben und Sat. 1 im Einsatz, das sie zusammen mit Claudia von Brauchitsch moderierte – Scholz war seinerzeit noch Kanzlerkandidat.

Zervakis‘ Sender Pro Sieben teilte der „taz“ mit, man könne ein solches Interview, wie das auf der Republica, „mit unseren journalistischen Werten sehr gut vereinbaren“. Nun sagt das allerdings womöglich mehr über die journalistischen Werte des Unterhaltungssenders als über den Sachverhalt selbst.

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Die Sache mit den Nebenjobs

Ganz neu sind Diskussionen um die Nebentätigkeiten bekannter TV-Journalistinnen und -Journalisten nicht. Zervakis‘ Kollegin Dunya Hayali stand vor einigen Jahren in der Kritik, weil sie den Kongress der Deutsche Automatenwirtschaft moderiert hatte, also: der Glücksspielbranche. Hayali rechtfertige sich damals damit, sie praktiziere auf der Bühne „kritischen Journalismus“, wie sonst auch – nicht jeder konnte dem zustimmen.

Auch der frühere „Tagesschau“-Sprecher und heutige RTL-Moderator Jan Hofer hatte wiederholt Talkrunden der Glücksspielbranche moderiert. Seine Kollegin Judith Rakers hatte vor Jahren eine McDonalds-Filiale eröffnet – und auch dafür Kritik geerntet. Fälle bezahlte Moderationsjobs für hochrangige Politiker waren bislang allerdings nicht bekannt.

Klar ist: Für leidenschaftliche Gegnerinnen und Gegner der Medienbranche dürfte der neue Fall rund um Linda Zervakis ein gefundenes Fressen sein. Die AfD hat sich inzwischen mit einer Kleinen Anfrage erkundigt, ob denn nicht auch andere Journalistinnen und Journalisten vom Kanzleramt ausgewählt und engagiert wurden.

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