Springer-Chef Döpfner im Fokus: Reichelt-Affäre beim Verlag hat wohl größere Ausmaße
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Der damalige Vorsitzende der Chefredaktion der Bild-Zeitung Julian Reichelt während Termins in Düsseldorf im Jahr 2020. (Archivbild)
© Quelle: imago images/Jörg Schüler
Hannover. Die Affäre um den mutmaßlichen Machtmissbrauch des 2021 gefeuerten „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt hat offenbar größere Ausmaße, als zunächst gedacht. Tiefer involviert war dabei offenbar auch Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel-Springer-Verlagsgruppe, zu der auch das Boulevardblatt gehört. Er soll Reichelt länger geschützt haben, als bisher bekannt. Das geht aus Recherchen der ARD-Sendung „Reschke Fernsehen“ hervor.
Reporterinnen der Sendung haben die Aussagen von 13 Frauen gesammelt, die anonymisiert zu Wort kommen. Sie berichten über mutmaßliche Fälle von Affären, Anmachen und beruflichen Auswirkungen. Die Vorwürfe waren Springer demnach bereits im Herbst 2019 bekannt. Zwei Mitarbeiterinnen von „Bild“ hätten damals über Einsendungen in den anonymen Briefkasten der Zeitung schwere Vorwürfe erhoben. In ihren Schreiben hätten sie von Machtmissbrauch, Drogenkonsum und Affären des Chefredakteurs berichtet. Die Einsendungen wurden demnach dem Vorstand vorgelegt.
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Die Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen Reichelt waren im März 2021 bekanntgeworden. Wie der „Spiegel“ damals berichtete, soll Reichelt Affären mit jungen Kolleginnen gehabt haben, die ihn anschließend des Mobbings und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen bezichtigt hätten. Reichelt hat die Vorwürfe stets dementiert.
Nach einer unternehmensinternen Compliance-Untersuchung hielt der Verlag zunächst an Reichelt fest. Als im Oktober 2021 jedoch auch die „New York Times“ über die Vorwürfe berichtete, entband der Konzern den „Bild“-Chefredakteur mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben. Reichelt wurde vorgeworfen, er habe „Privates und Berufliches nicht klar getrennt“ und dem Verlagsvorstand im Compliance-Verfahren darüber die Unwahrheit gesagt.
Frauen sprechen von „Angst vor Repressalien“
Gegenüber „Reschke Fernsehen“ berichtete eine der zitierten Frauen von ihrem anonymen Brief. Sie habe Affären Julian Reichelts mit Praktikantinnen und Redakteurinnen beschrieben und „dass Frauen unter Druck gesetzt werden, da mitzumachen, weil sie sonst beruflich abgestraft werden. Dass die Frauen sehr unter der Situation leiden“, wird sie in der Sendung zitiert.
Doch Konsequenzen habe es nicht gegeben – und das, obwohl der Springer-Vorstand offenbar Kenntnis von dem Schreiben hatte. Erst ein Jahr später begann der Konzern dann, sich mit den Vorwürfen zu beschäftigen. Die internationale Anwaltskanzlei Freshfields hat daraufhin die Vorfälle untersucht. Auch in den Gesprächen mit den Juristen sollen einige der betroffenen Frauen die Vorwürfe bestätigt haben. Erneut wird von „Angst vor Repressalien“ gesprochen, hätten sie die Kontaktaufnahmen Julian Reichelts abgewiesen, zitiert „Reschke Fernsehen“ aus dem Freshfields-Bericht.
Gegenüber der ARD-Sendung sagten einige Betroffene zudem aus, Reichelt habe von Details aus ihren vertraulichen Gesprächen mit der Anwaltskanzlei erfahren. Die Untersuchung durch Springer sei „eine reine Farce“ gewesen, wird eine Frau zitiert. Eine weitere sagte demnach, dass sie mehrfach von Reichelt nahestehenden Personen kontaktiert worden sei, von denen sie „Vorschläge, was ich aussagen soll“, bekommen habe. Noch eine Frau spricht davon, dass Reichelt schon während der Untersuchungen Informationen bekommen habe, „die er nicht hätte haben dürfen“. Zudem sollen mindestens zwei Frauen im Anschluss ihren Job verloren haben.
Springer-Boss Döpfner soll Dossiers für „Gegenermittlungen“ in Auftrag gegeben haben
All das wirft kein gutes Licht auf die Konzernleitung um Mathias Döpfner, die Reichelt erst im Oktober 2021 vor die Tür setzte. Bereits die „Financial Times“ (FT) hatte berichtet, dass Döpfner Dossiers über Ex-Mitarbeitende, „politische Gegner“ und insbesondere Frauen in Auftrag gegeben habe – als sogenannte „Gegenermittlungen“. Laut Aussagen einer an der Recherche beteiligten FT-Journalistin gegenüber der ARD-Sendung wollte sich der Vorstand gegen „eine bestimmte Gruppe von Leuten wappnen“.
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Springer-Chef Mathias Döpfner beim Global Media Forum zum Thema Shifting Powers im ehemaligen Plenarsaal des Bundestages im World Conference Center Bonn.
© Quelle: imago images / Future Image
Auch „Reschke Fernsehen“ zitiert aus Gesprächsnotizen einer entsprechenden Vorstandssitzung. „Wir brauchen eine Mischung aus Wehrhaftigkeit und Unerschütterlichkeit“, soll Döpfner in dieser gesagt haben. Mit Blick auf die Vorwürfe um Machtmissbrauch, wollte es der Vorstandschef „ganz weit weg halten von dieser Sexismusgeschichte“, heißt es zudem. Er wollte demnach die Affäre „auf die politische Ebene bringen“, da man mit der „Sexismusgeschichte“ nichts gewinnen könne. Stattdessen solle man sich auf das „unbestrittene Narrativ“ zurückziehen, „dass Sexismus und sexuelle Belästigung niemals Gegenstand der Vorwürfe“ gewesen seien. „Mit ‚MeToo‘ hat das ganze nichts zu tun“, wird Döpfner weiter zitiert, das müsse für Springer „immer die Haltung sein“.
Mit Blick auf die in Auftrag gegeben Dossiers soll Döpfner zudem die Fahrtrichtung für künftige Reaktionen vorgegeben haben. „Wenn wir noch einmal angegriffen werden, dann dürfen wir zwar immer noch nicht die direkte Herleitung zu den Hinweisgebern machen, aber dann können wir es in Kauf nehmen, wenn das dann andere tun“, soll der Springer-Chef gesagt haben. In solchen Fällen solle dann das Dossier genommen und an „wichtige, einflussreiche Journalisten“ gegeben werden - insbesondere, wenn es Berichterstattung darüber geben sollte, dass manchen Opfern die bisherigen Reaktionen nicht ausreichen würden.
Opfer fordern Entschuldigung von Döpfner und dem Springer-Verlag
Die Betroffenen unterdessen fordern eine Entschuldigung vom Springer-Verlag und dessen Vorstandschef Mathias Döpfner. Denn bisherige Äußerungen Döpfners kämen lediglich einer „Verhöhnung“ der Vorfälle gleich und seien zutiefst verachtend und beleidigend den Frauen gegenüber, wird eine Betroffene von „Reschke Fernsehen“ zitiert. Auch der Rechtsanwalt Christian-Oliver Moser, der eine weitere Frau vertritt, schließt sich den Forderungen nach einer Entschuldigung an: Es habe „systematisches Fehlverhalten im Verlag“ gegeben.
Der Springer-Verlag antwortete laut ARD auf einen umfassenden Fragenkatalog mit einer generellen Stellungnahme: „Wir haben unsere Lehren aus der Vergangenheit gezogen, was die kulturelle Entwicklung betrifft, bereits viel verändert, und schauen jetzt wieder nach vorne.“
Bisher hat erst eine Frau rechtliche Schritte gegen den Springer-Verlag eingeleitet. Sie reichte im vergangenen August bei einem Gericht in Los Angeles eine Klage ein. Doch der Prozess wurde nie eröffnet, das Verfahren wurde noch zuvor eingestellt. Laut „Reschke Fernsehen“ soll die betroffene Frau von Springer eine Geldzahlung erhalten haben – und dürfe laut einer Vereinbarung nun nicht mehr über den Fall sprechen.
Mit epd