Toxische Männlichkeit im Film

Journalistin unter Sexisten – Keira Knightley geht im Drama „Boston Strangler“ auf Mördersuche

Der Mörder hat ein Muster: Jean Cole (Carrie Coon, links) und Loretta McLaughlin (Keira Knightley) recherchieren zum Fall des Boston Strangler.

Der Mörder hat ein Muster: Jean Cole (Carrie Coon, links) und Loretta McLaughlin (Keira Knightley) recherchieren zum Fall des Boston Strangler.

Der Fall des Boston Stranglers gehört zu den bekanntesten in der Kriminalgeschichte der USA. Albert Henry DeSalvo, dem 13 Strangulierungs­morde zugeschrieben werden, wurde bald nach seiner Einlieferung in eine Nervenheil­anstalt erstochen. Ungeklärt bleibt bis heute, warum der Täter sein Opferprofil radikal änderte, und nach einer Reihe von Morden an allein­stehenden älteren Frauen und einer Tatpause plötzlich junge Frauen tötete.

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War der Boston Strangler nur ein einziger Täter?

Ungeklärt blieben auch mehrere Morde in Michigan, die nach dem Strangler-Muster durchgeführt wurden. Ungeklärt auch, ob in einem Fall ein gewalttätiger Ex das Mordmuster des Stranglers kopierte, weil er sich an der Frau, die ihn verlassen hatte, rächen wollte. Und ob in einem anderen Fall eine schwangere Geliebte von ihrem verheirateten Chef Strangler-like getötet wurde, weil sie keine Abtreibung vornehmen lassen wollte. Matt Ruskins Film „Boston Strangler“ ist – unter anderem – eine Geschichte polizeilichen Desinteresses und Versagens.

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Eine Frau stellt den Zusammenhang zwischen den Taten her

Und zugleich ein – wenn auch düsteres – Hohelied auf den investigativen Journalismus. Es ist die Journalistin Loretta McLaughlin (Keira Knightley), die in den Mordfällen, die 1962 in ihrer Stadt beginnen, die Chance sieht, vom ungeliebten Lifestyle-Desk der Tageszeitung „Record American“ wegzukommen, wo sie sich unter anderem darüber auslassen soll, welche Garderobe die Frauen örtlicher Politiker bevorzugen. In der Redaktion für Kriminalfälle – einem spannenderen Bereich des Berichterstattens – sitzen ausschließlich sogenannte „gestandene Mannsbilder“, für die Frauen im Journalistenberuf nur jene sind, die sich einbilden, schreiben zu können.

Aber es ist Loretta, die den Zusammenhang zwischen den Taten herstellt, der eigentlich nur blinden Polizisten und ignoranten Polizeiredakteuren entgehen konnte: Ida Urga, Anna Sleser, Helen Blake – die drei Ermordeten sind auf dieselbe Weise ums Leben gebracht worden. Jede Tote hatte eine Schleife um den Hals – der Tod legt in Boston „Geschenke“ aus.

Keira Knightley lässt ihr doppelbödiges Lächeln strahlen

Weil sie ihrem Chefredakteur (Chris Cooper) versichert, die Recherchen in ihrer Freizeit zu erledigen und während der offiziellen Arbeitszeit wie gehabt das „weibliche Themenfeld“ zu beackern, bekommt die ehrgeizige Loretta den Zuschlag. Hartnäckig recherchiert sie, erhält – oft nur auf Umwegen – Antworten, zieht die richtigen Schlüsse und hat dann die erste Story über den Mörder in Boston.

„Du warst am schnellsten“, sagt Ehemann James (Morgan Spector) nicht ohne Stolz. Und da ist es wieder – dieses vielsagende Keira-Knightley-Lächeln, das hier zugleich Freude über die Bestätigung und das Wissen darüber ausdrückt, dass sie unterschätzt wird, dass ihr Geschlecht unterschätzt wird.

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Der Film ist vordergründig einer der schon länger äußerst beliebten Real-Life-Serien­mörder­thriller wie David Finchers „Zodiac“ (2007), Fatih Akins „Der Goldene Handschuh“ (2019) oder jüngst die Netflix-Serie „Dahmer – Monster“ (2022). Von Mörder und Morden wird hier aber vergleichs­weise wenig gezeigt. Der Täter ist ein hoch­gewachsener Schemen mit dunklem Haar. Von seinen angerichteten Gräueln sind meist nur Fotografien des Tatorts zu sehen. Wenn mehr gezeigt wird, erfolgt dies mit Distanz.

Die Kamera hält so etwa auf die Badewanne einer ältlichen Frau zu, in die warmes Wasser einläuft, während es an der Tür klingelt, dann ein kurzes Gespräch zu hören ist und Schreie gellen. Es gelingt Ruskin, Regisseur des Gefängnisdramas „Crown Heights“ (2017), durch Nichtzeigen eine sich allmählich steigernde hitchcockeske Atmosphäre der Bedrohung zu schaffen, die die weibliche Hälfte einer Großstadt gefangen nimmt. Und man wundert sich, dass überhaupt noch jemand einem Unbekannten die Tür öffnet, der vorgibt, Handwerker zu sein und irgendetwas überprüfen zu wollen. Ruskin verstärkt diese Stimmung durch dunkle Räume, winterliche Schneelandschaft, durch schwere Gewitter, die wiederholt nächtens über Boston hinwegrollen.

Für die beiden Journalistinnen gibt es nie Dialog auf Augenhöhe

Die Journalistin Loretta, und die ihr zur Seite gestellte Kollegin Jean Cole (Carrie Coon) wollen an die Wahrheit gelangen und müssen sich zugleich in ihrem beruflichen Umfeld behaupten. Loretta ist das „Weibsbild“, wegen der der örtliche Commissioner beim Chefredakteur des „Record American“ vorstellig wird. Dafür, dass einigen seiner Polizisten bei ihren Recherchen Morddetails entlockt wurden, hat er auch eine Erklärung: „Das waren ein paar Volltrottel, die Ihre Reporterin vögeln wollten.“ Es geht nie um Kompetenz und Dialog auf Augenhöhe. Das Grinsen der männlichen Kollegen ist so abwertend wie die Zweifel des Verlegers, der es unbotmäßig findet, dass ein „girl“ die Granden der Bostoner Verbrechens­bekämpfung in Misskredit bringen und damit das patriarchalische System ankratzen könnte.

Es ist eine Welt, in der sich nur ein aufgeplusterter Gockel bei einem anderen aufgeplusterten Gockel über ein vermeintlich dummes Huhn beschweren muss, um weibliche Arbeit ins Lächerliche zu ziehen und zu verunmöglichen. Es ist eine Welt, in der eine Journalistin von einem Hausmeister gierig auf Reaktionen belauert wird, nachdem dieser ihr explizit die grausigste Einzelheit seines Leichenfunds erzählt hat. In der anonyme Anrufer Journalistinnen ins Ohr stöhnen. Und in der der aufgeschlossene Ehemann nach einer längeren Abnutzungs­phase seiner Geduld eben doch offenbart, dass er ein ganz normaler piefiger Sechzigerjahre­gatte ist – ein Pascha, dessen moderne Verstellungskünste nicht ewig halten.

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Alle männlichen Rollen bleiben klein gegenüber Knightleys Part

Es ist – so sang’s James Brown „a man’s, man’s man’s world“. Die – heute würde man sagen: toxische – Männlichkeit, die in den Bluttaten des Würgers ihren äußersten Ausdruck findet, ist überall in diesem Film zu finden, in jedem Mann, der sich einer Frau zuwendet. Sexismus ist somit das eigentliche Thema dieses Films. Und es erscheint wie eine Art Rache des Filmemachers, gestaltet sich aber auch als Problem, dass alle männlichen Rollen klein bleiben gegenüber Knightleys Figur. Zusammen ergeben sie das Prinzip Mann.

Die Mörderjagd ist nur der Anreiz für den Betrachter. Sie ist freilich spannend, in dem Moment, als eine aufziehbare Kinderpuppe mit der Stimme eines Mordopfers „Please take me with you“ sagt, ist sie sogar richtig gruselig (nein, es ist nichts Paranormales in dem Film) und geht aufgrund fortgeschrittener Erkenntnisse zu dem Fall deutlich über das hinaus, was der Fan des Thrillersubgenres von Richard Fleischers „Der Frauenmörder von Boston“ (1968) weiß, in dem Henry Fonda den Ermittler spielte und Tony Curtis den mordverdächtigen De Salvo.

Reichelt, Canonica und Co. – Sexismus in Redaktionen ist immer noch aktuell

So zielt dieser Thriller in seiner Tiefe auf ein Problem, das auch heute noch brandaktuell ist. Vor ziemlich genau zwei Jahren erschien ein Bericht der Organisation Reporter ohne Grenzen unter dem Titel „Wie Sexismus Journalistinnen bedroht“, der die Situation von Journalistinnen zu Beginn der Zwanzigerjahre beschrieb. Die Frauen­verachtung, ihre sexualisierte Betrachtung durch männliche Kollegen ist längst nicht aus allen Redaktionen verschwunden, sie schlägt ihnen auch bei Gesprächs­partnern entgegen und das Internet ist voller geschlechts­bezogener Hass­kommentare der widerwärtigsten Ausführung.

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Zuletzt schrieb die Schweizer Journalistin Anuschka Roshani im „Spiegel“ über Mobbing, Macht­missbrauch und Sexismus bei der Schweizer Publikation „Das Magazin“. Der Chefredakteur Finn Canonica (bis 2022) habe ihr in einer Konferenz unterstellt, sie habe sich journalistische Ergebnisse durch Sex erschlichen. Höchste Verbal­auszeichnung: „Obwohl du eine Frau bist, hast du brilliert“. Wenig hat sich offenbar geändert seit den Zeiten von Loretta McLaughlin und Jean Cole. Nur, dass in Zeiten von #MeToo juristische Gegenwehr möglich ist, die Sexpredatoren ihren Job verlieren und bestraft werden können. Auch der „Bild“-Chef­redakteur Julian Reichelt musste 2021 seinen Posten räumen. Es gibt eine Aufmerksamkeit für Sexismus, er wird nicht mehr abgetan.

So ist es Ruskin im Abspann notwendig zu erwähnen, dass McLaughlin sich später scheiden ließ. Das deutet sich an, als sie zum Ende des Films hin mit ihrem Auto vor dem Haus hält, das blaue Fernseherlicht im Wohnzimmer flackern sieht, und beschließt, sich nicht ein weiteres Mal den Vorwürfen ihres Gatten zu stellen. Sie fährt lieber auf einen Drink in eine Bar, und als die Kamera ihr Gesicht zeigt, ist es Keira Knightleys „vorbei“-Blick.

Cheers, Loretta!

Boston Strangler“, Film, 111 Minuten, Regie und Drehbuch: Matt Ruskin, mit Keira Knightley, Carrie Coon, Chris Cooper, Alessandro Nivola, David Dastmalchian, Rory Cochrane (ab 17. März bei Disney+)

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