Zum Jahresabschluss

Volkswagen: Bernd Osterloh im großen AZ/WAZ-Interview

Klare Worte zum Jahresabschluss: VW-Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh (li.) im Interview mit WAZ-Redakteur Florian Heintz.

Klare Worte zum Jahresabschluss: VW-Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh (li.) im Interview mit WAZ-Redakteur Florian Heintz.

Wolfsburg. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh ist bekannt für klare Ansagen. Auch im großen AZ/WAZ-Interview zum Jahresende redet er nicht um den heißen Brei herum. Leiharbeit soll es nach dem Willen des Betriebsrats bei Volkswagen künftig nicht mehr geben. Stinksauer sei er über den Umgang mit den Beschäftigten der Autovision, sagt Osterloh. Deutlich mehr Engagement am Konzernsitz fordert er vom Unternehmen beim Thema Digitalisierung. In der Stadt Wolfsburg müsse VW zeigen, wie die Mobilität der Zukunft aussieht.

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Herr Osterloh, kurz vor Weihnachten haben viele Leiharbeiter ihre Beschäftigung bei Volkswagen verloren, etwa in Wolfsburg und Hannover. Besonders sozial ist das nicht, oder?

Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Wäre es nach uns als Betriebsrat gegangen, dann wären die Kolleginnen und Kollegen noch an Bord. Aber das Management hat aufgrund der Auslastungssituation für das kommende Jahr so entschieden. Sie können mir glauben, dass mir das auch persönlich an die Nieren geht. Ich kenne einige Betroffene persönlich oder kenne Verwandte von ihnen. Wir haben uns bis zuletzt bemüht, dass möglichst viele der Kolleginnen und Kollegen der Autovision möglichst lange an Bord bleiben können. Nehmen Sie das Beispiel, über das zuletzt viel in der Öffentlichkeit diskutiert wurde: die 200 Kolleginnen und Kollegen mit Leiharbeitsverträgen in Hannover, deren Verträge auslaufen. Von den 200 haben 60 eine Vertragsverlängerung bekommen und 47 Kolleginnen und Kollegen wechseln zu Volkswagen nach Kassel. Am Ende reden wir also über 93 Beschäftigte in Hannover, deren Verträge nicht mehr verlängert werden. Diese Menschen brauchen jetzt natürlich Unterstützung, damit ihnen eine Beschäftigungsalternative angeboten werden kann. Und die Autovision arbeitet daran, dass hier für die Betroffenen an VW-Standorten Angebote gemacht werden können.

„Einen Drehtüreffekt wird es mit uns nicht geben“

Es sind aber auch Leiharbeiter in Wolfsburg, die gehen müssen...

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Ja, auch am Standort Wolfsburg laufen Verträge aus. Im Übrigen wird ja immer behauptet, dass hätten wir im Zukunftspakt so vereinbart. So einfach ist das aber nicht. Entscheidend ist die Auslastung unserer Werke. Und in Wolfsburg haben wir in den kommenden zwei Jahren zu kämpfen. Wenn wir mehr Kundenaufträge für den Golf hätten, dann könnten wir auch mehr Menschen in Wolfsburg beschäftigen. Es ist ja kein Geheimnis, dass in diesem Jahr und auch im nächsten Jahr ein paar Golf aus dem Programm genommen wurden. Das schlägt sich natürlich auf den Personalbedarf nieder. Weil der Tiguan besser läuft als der Golf, werden Kolleginnen und Kollegen innerhalb der Produktion zum Tiguan wechseln. Außerdem nehmen wir in Wolfsburg auch Stammbeschäftigte von Volkswagen aus Braunschweig auf, weil es dort einen Personalüberhang gibt. Fakt ist: Wenn der Kunde mit Auftrag drohen würde, dann hätten wir alle weiterbeschäftigen können. Dass die Leiharbeit heruntergefahren wird, hat der Vorstand so entschieden. Da sagen wir als Betriebsrat aber ganz klar: Einen Drehtüreffekt wird es mit uns nicht geben – dass also die einen gehen müssen und dafür neue eingestellt werden. Deshalb haben wir auch den Pool für studentische Hilfskräfte ausgesetzt. Sie sehen: Die Gesamtsituation ist momentan nicht einfach. Trotzdem werden wir als Betriebsrat weiterhin alles tun, was in unserer Kraft steht, um die Kolleginnen und Kollegen mit Leiharbeitsverträgen, die wir noch an Bord haben, möglichst lange zu halten. Und für diejenigen, die uns jetzt verlassen mussten, erwarten wir vom Unternehmen, dass sie als erste ein Angebot bekommen, wenn Volkswagen wieder Personalbedarf hat.

Sehen Sie denn da schon Licht am Ende des Tunnels?

Wir haben uns in dieser Planungsrunde extrem für eine gute Produktverteilung auf die Standorte eingesetzt. Gerade für den Standort Wolfsburg gibt es dadurch eine gute Perspektive. Unser sächsisches Werk in Zwickau wird der erste Produktionsstandort für unsere neuen Elektrofahrzeuge auf Basis des Modularen Elektro Baukastens. Die Golf-Volumen, die bislang in Zwickau gebaut wurden, kommen dann ab dem Jahr 2019/2020 nach Wolfsburg. Damit steigen die Volumen hier im Stammwerk nach heutigem Planungsstand sogar in einem Jahr auf über 900.000 Fahrzeuge, zumindest liegen wir aber wieder deutlich oberhalb der 800.000 Fahrzeuge. Dann wird es in Wolfsburg wieder einen Personalbedarf geben. Und dann werden wir darauf achten, dass die Kolleginnen und Kollegen, die heute von Bord gehen, zumindest zuerst ein Angebot von VW erhalten.

„Menschen wieder direkt befristet einstellen“

Warum sagen Sie von VW und nicht von der Autovision?

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Weil wir uns als Betriebsrat genau überlegen werden, wie wir künftig mit dem Thema Leiharbeit weiter machen. Volkswagen hat in den vergangenen Jahren mehr als 17.000 Kolleginnen und Kollegen, die als Leiharbeitnehmer bei uns eingesetzt waren, eine feste Perspektive gegeben. Ich glaube, kein anderes Unternehmen hat das so sozial verantwortlich gemacht. Aber: unter dem neuen Management geht man anders damit um. Das ist doch für jeden sichtbar. Deshalb brauchen wir bei Volkswagen auch neue Spielregeln, wie wir künftig mit der Leiharbeit umgehen. Wenn es nach uns als Betriebsrat geht, würde es die Leiharbeit generell nicht geben. Und wir werden das Unternehmen im ersten Halbjahr 2018 zu Gesprächen auffordern, wie wir künftig mit dem Einsatz von Leiharbeit umgehen wollen. Ich sage klar: Volkswagen soll künftig die Menschen wieder direkt befristet einstellen. Dann kommt vielleicht wenigstens das Werkmanagement zur Verabschiedung der Kolleginnen und Kollegen, wenn die Verträge auslaufen.

Wieso ist das heute denn nicht so?

Ich bin am Donnerstag vor Weihnachten fast vor Wut geplatzt. Die Autovision hat Veranstaltungen für die Kolleginnen und Kollegen am Standort Wolfsburg organisiert, deren Verträge jetzt auslaufen. Auch um andere Job-Perspektiven aufzuzeigen. Meine Betriebsratskollegen von VW waren selbstverständlich auch dabei. Glauben Sie vielleicht, dass sich dort mal der Werkleiter hätte blicken lassen? Um sich bei den Kolleginnen und Kollegen der Autovision zu bedanken? Fehlanzeige. Das ist aus meiner Sicht eine Riesensauerei, dass sich dort kein Topmanager von VW blicken lassen hat. Wenn das die neue Unternehmenskultur ist, dann können wir als Beschäftigte von Volkswagen darauf pfeifen...

Die schwierige Lage beim Golf haben Sie bereits angesprochen. Wie fällt denn die Bilanz für das Werk Wolfsburg aus?

2017 werden die Kolleginnen und Kollegen hier im Werk Wolfsburg rund 790.000 Fahrzeuge bauen. Das sind zwar 19.000 weniger als im Vorjahr, aber angesichts der schwierigen Lage ist das dennoch ein ordentlicher Wert. Und diesmal gibt es noch eine Besonderheit: Tiguan und Touran gemeinsam haben bei der Stückzahl zum allerersten Mal die Golf-Klasse überholt. Bis Ende des Jahres werden fast 401.000 Tiguan und Touran in Wolfsburg vom Band rollen.

„Der Zukunftspakt ist ein Erfolg“

Das Jahr 2017 war auch geprägt von der Umsetzung des Zukunftspakts. Hat die Marke ihre Ziele erreicht?

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Der Zukunftspakt ist ein Erfolg. Damit haben wir bereits rund zwei Milliarden Euro Einsparungen realisiert. Für unser anspruchsvolles Ziel in diesem Jahr ist damit eine Punktlandung geglückt. Auch bei der Altersteilzeit ist Volkswagen auf Kurs: 9200 Kolleginnen und Kollegen haben sich für Altersteilzeit entschieden. Das Ziel für 2020 ist bereits heute zu weit über 90 Prozent erreicht. Und auch für den weiteren Fortlauf des Zukunftspaktes sind wir voll auf Kurs. Im Übrigen: der Zukunftspakt stellt damit vor allem sicher, dass die Marke VW die Finanzkraft hat, um in ihre Zukunftsprodukte zu investieren. Und damit auch in die mittel- und langfristige Sicherheit unserer Arbeitsplätze.

Die Marke VW hat dieses Jahr einen neuen Absatzrekord aufgestellt. Ist Dieselgate also abgehakt?

Die Marke Volkswagen hat sich besser geschlagen als erwartet, das stimmt. Allerdings vor allem außerhalb unseres Heimatmarktes Deutschland. Wir verringern die Verluste in Brasilien und in Nordamerika, in Russland sind wir leicht im grünen Bereich. Das Geld verdienen wir aber mit dem T-Roc

aus Palmela, mit dem Polo aus Spanien, mit dem Tiguan, dem Golf und dem Sportsvan aus Wolfsburg und mit den Fahrzeugen aus Zwickau und Emden. Das Geld verdienen wir also vor allem in Europa. Und hier haben wir auf dem wichtigsten Markt in Deutschland leider immer noch ein Imageproblem. Ich erwarte von Herrn Stackmann (Marken-Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann; Anm. d. Red.), dass er sich dafür einsetzt, dass sich das Image der Marke Volkswagen in Deutschland verbessert. Wir müssen die Kunden in unsere Autos bekommen und die Wertigkeit unserer Produkte wieder in den Vordergrund stellen. Nur dann werden wir auch unsere Fabriken vernünftig ausgelastet bekommen.

Wenn sich das Ergebnis der Marke VW 2017 verbessert hat, wird dann auch der Bonus im nächsten Frühjahr wieder höher ausfallen?

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Ich will jetzt keine zu hohen Erwartungen wecken. Aber ich gehe davon aus, dass der Bonus höher ausfallen wird als im Vorjahr (2905 Euro; Anm. d. Red.).

„Wir müssen Einigkeit erzielen“

Wenn Volkswagen auf einem guten Weg ist, warum knirscht es dann weiterhin zwischen Betriebsrat und Management? Beim Adventsgespräch der Stadt Wolfsburg haben Sie den Vorstand scharf kritisiert. Worauf zielt Ihre Kritik?

Die vergangenen zwei Jahre waren für alle Entscheidungsträger bei Volkswagen die wohl schwierigste Phase, die wir je erlebt haben. Statt die Kräfte in der Krise zu bündeln, gibt es immer wieder vollkommen unnötige Auseinandersetzungen – auch um die Frage, wie die Beschäftigten und damit der Betriebsrat an Entscheidungen beteiligt werden. Natürlich hat es immer unterschiedliche Positionen zwischen Betriebsrat und Vorstand gegeben. Aber wir haben die in der Vergangenheit immer gemeinsam gelöst. Und dann sind wir den Weg auch gemeinsam gegangen. Mit wem das momentan wirklich gut gelingt ist Herbert Diess (VW-Markenchef; Anm. d. Red.). Wir führen hinter verschlossenen Türen immer noch kontroverse Debatten. Einigen uns dann aber auf einen gemeinsamen Weg und gehen den dann auch. Sonst hätten wir die Planungsrunde für die Marke Volkswagen nicht so erfolgreich gestalten können. Fakt ist: wir müssen im Jahr 2018 Einigkeit erzielen, wie wir Volkswagen bei wichtigen großen Themen weiterentwickeln wollen. Und dabei spreche ich vom Konzern. Und deshalb wäre es unverantwortlich, wenn nicht alle Handelnden an der Sache orientiert an einem Strang ziehen. Wir haben gemeinsam eine Verantwortung für mehr als 600.000 Beschäftigte weltweit.

Sie haben aber auch kritisiert, dass Volkswagen sich nicht genug für Wolfsburg engagieren würde…

Wissen Sie, ich bin ja für klare Worte bekannt. Und mich hat einfach gewurmt, dass Volkswagen beim Thema Wolfsburg Digital aus unserer Sicht als Betriebsrat bisher nicht engagiert genug ist. Wir erwarten, dass VW gerade an seinem Konzernsitz Wolfsburg eine besondere Verantwortung übernimmt. Mir liegt unsere Stadt hier besonders am Herzen und ich will, dass wir gerade hier zeigen, wie die Mobilität der Zukunft aussieht. Nicht nur in Städten wie Hamburg. Ich denke, dass gerade Matthias Müller sich jetzt dafür einsetzen wird, dass Volkswagen hier im neuen Jahr mit mehr Schwung dabei sein wird. Und ich gehe davon aus, dass Herbert Diess für die Marke Volkswagen die Realisierung eines Experience Centers am Nordkopf vorantreiben wird.

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Ein Konflikt droht auch bei den Tarifverhandlungen, die im Januar fortgesetzt werden. Haben Sie noch eine Neujahrsbotschaft für den Vorstand?

Als ich 20 war, hat mich meine Rente relativ wenig interessiert. Aber viele erschrecken sich, wenn sie älter sind und sehen, wie wenig dann übrig bleibt. Deshalb ist eine unserer klaren Forderungen in dieser Tarifrunde, dass die betriebliche Altersvorsorge verbessert wird. Da erwarten wir, dass sich das Unternehmen daran beteiligt. Der andere wichtige Punkt ist das Thema Ausbildung. Dieses Unternehmen hat eine gesellschaftspolitische Verantwortung, nämlich jungen Leuten zu einer vernünftigen Ausbildung zu verhelfen. Da rede ich von zehn Standorten in Deutschland und sechs Standorten in Niedersachsen. Falls das Unternehmen tatsächlich auf den Gedanken kommt, einen Anlauf zu nehmen, die Zahl der Ausbildungsplätze zu reduzieren, dann gibt es sicher genügend Mütter und Väter, die für ihre Töchter und Söhne noch keinen Ausbildungsplatz haben und die bereit sein werden, vor das Hochhaus zu ziehen. Und noch eines: nach den zwei Jahren und der Leistung der Mannschaft, Volkswagen trotz Krise halbwegs auf Kurs zu halten, erwarten wir in jedem Fall ein anständiges Plus bei Löhnen und Gehältern.

Von Florian Heintz

AZ/WAZ

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